Wie Design und Prototyping zu nachhaltiger Innovation führen

Design und Prototyping sind eng miteinander verbunden. Design liefert Antworten auf menschliche Bedürfnisse – und steht damit im Zentrum von erfolgreicher Innovation. Methoden wie Design Thinking verpacken die Vorgehensweise von Designern, sodass sie für Unternehmen nutzbar werden. Im Zentrum steht dabei die Idee des Prototypings – dem spielerischen Experimentieren mit Lösungen, bevor sie ausgerollt werden. Der Gedanke muss aber weiter gehen als dem Kunden eine 90%ige Lösung zu präsentieren. Prototyping muss ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden, mit allen Veränderungen, die es mit sich bringt!

Design Thinking war die letzten Jahre über als Buzzword sehr beliebt. Es ist sogar ein regelrechter Hype darum entstanden. Damit einher ging auch die Idee des Rapid Prototyping – dem schnellen Ausprobieren von neuen Ideen. Nach hunderten von Trainings, Workshops, Projekten und Ausbildungsprogrammen muss ich aber ein ernüchterndes Fazit ziehen: Echtes Prototyping ist in den meisten Firmen nicht angekommen. Der Hauptgrund dafür: Wenn wir in einer Organisation wirklich mit Prototying arbeiten wollen, muss sich die dortige Kultur ändern, vor allem in Bezug auf Kreativität und Entscheidungsfindung.

Was sich hinter dem Begriff Prototyping versteckt

Ein Prototyp ist ein noch nicht fertiges Exemplar einer finalen Lösung. So weit so gut. Es gibt aber sehr unterschiedliche Formen von Prototyping. Allen gemein ist das Ziel, versteckte Probleme ans Licht zu bringen. Ingenieure denken bei Prototypen aber oft an einen 90%-Prototyp, der also schon sehr nach am fertigen Produkt steht. Und natürlich ist das ein völlig legitimer Prototyp, oft auch als Work-a-like bezeichnet. Der Prototyp arbeitet schon genauso, wie es die spätere Lösung auch tun wird.

Vor dem Work-a-like stehen zwei frühere Formen von Prototypen: Der Look-a-like und der Behave-a-like. Der erste Typ simuliert Aussehen, Form, Farben, Haptik der finalen Lösung. Er sieht so aus wie das Produkt, hat aber noch keinerlei Funktionen. Der zweite, der Behave-a-like, simuliert das Verhalten der späteren Lösung. Die Interaktion ist, aus Sicht der Nutzer, schon vollständig – auch wenn die echte Funktionalität dahinter noch fehlt. Ein Behave-a-like wird in der Regel manuell betrieben, ist also nicht skalierbar. Dafür liefert er Nutzern und Kunden bereits ein echtes Nutzererlebnis, was uns wiederum einen realitätsnahen Test erlaubt. Wir lernen dadurch früh im Entwicklungsprozess, was aus Sicht der späteren Nutzer funktioniert und was nicht. Und wir mussten noch nicht in die Entwicklung der Funktionalität investieren.

Die Herausforderung bei frühen Prototypen liegt im dahinterstehenden Mindset. Damit wir wirklich früh testen, experimentieren und auch scheitern können, braucht es eine Geisteshaltung, die auf Prototyping ausgerichtet ist.

Warum im Design so viel mit Prototyping gearbeitet wird

Design versteht sich als die Lösung von Problemen, die aus menschlichen Bedürfnissen hervorgehen. Der Gedanke ist: Wir Menschen haben in unserem Arbeits- und Privatleben viele Bedürfnisse, die oft nicht erfüllt werden. Manche sind unerfüllbar, andere haben einfach noch keine passende Lösung. Oft arbeiten wir Menschen daher mit Workarounds: Mit individuellen, improvisierten Lösungen, bei denen wir oft Produkte für nicht vorhergesehene Einsatzzwecke verwenden. Genau auf diese Workarounds achten Designer, und genau deshalb spielen sie auch eine so große Rolle im Design – und im Innovationsbereich allgemein.

Aus der Nutzer- und Kundensicht sind nämlich nicht die Produkte die Basis für Entscheidungen, sondern die zu lösenden Probleme. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür liefert Clayton Christensen in seiner Case Study über Milchshakes, und warum Menschen sie kaufen und trinken:

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Finden wir bei unseren Nutzern und Kunden einen Workaround, können wir ein Produkt konzipieren, das dasselbe Bedürfnis adressiert – nur im Idealfall besser, nachhaltiger, verlässlicher. Dafür zahlen Kunden dann im Idealfall, weil ihnen die Lösung etwas wert ist. Weil ein Workaround aber auch eine sehr individuelle Lösung ist, und weil die dahinterliegenden Bedürfnisse nicht immer so klar erkennbar sind, kann das Produkt auch scheitern. Bevor ich also das Risiko eingehe, etwas zu entwickeln, was am Ende doch keiner haben will, teste ich mein Produkt. Und, was noch viel wichtiger ist: Ich teste die Annahmen hinter meinem Produkt.

Prototyping bedeutet das Prüfen von Annahmen

Diese Vertestung von Annahmen steht im Kern des Mindsets von Prototyping. Sie bildet den Kern von Methoden des Prototyping wie Design Thinking und Lean Startup. Die eigenen Annahmen prüfen bedeutet auch, sich selbst und eigene Ideen kontinuierlich hinterfragen. Diese selbstkritische Einstellung ist in der Geschäftswelt selten, zeichnet aber innovative Vordenker aus – darunter auch bekannte, historische Persönlichkeiten wie Thomas Edison oder Steve Jobs.

Erfolgreiche Innovatoren setzen sich für ihre Ideen ein, sie bringen ihr Herzblut ein und arbeiten mit Nachdruck an einer Lösung. Gleichzeitig wissen sie, dass am Ende die Sichtweise der Kunden zählt – denn ohne zahlende Kunden scheitert die Lösung am Ende. Und auch dann, wenn wir uns selbst als Kunden unserer Lösung sehen – vielleicht, weil wir schon lange mit einem entsprechenden Workaround gearbeitet haben – kommen wir nur mit einem gesunden Maß an Selbstkritik, Bescheidenheit und Offenheit zur erfolgreichen Innovation.

Prototyping kann damit ein emotional schmerzhafter Prozess sein. Wir setzen uns Feedback und Kritik aus, die schonungslos die Schwächen unserer Idee offenlegt. Vielleicht werden wir auch missverstanden, oder gar nicht verstanden. Auch das ist wertvolle Erkenntnis, weil ein verwirrendes Produkt keinen Erfolg haben wird.

Wie können wir Design und Prototyping einsetzen?

So viel zur Geisteshaltung, und dazu, was wir alles falsch machen können. Wie arbeiten wir denn jetzt im Design mit Prototyping?

Designer stetzen stark auf Kreativität, und damit auch auf Kreativprozesse. Auch das Design Thinking ist mittlerweile als Kreativprozess beschrieben, weil es uns eine klare Anleitung zur Problemlösung gibt. Sämtliche Kreativprozesse bestehen immer mindestens aus dem Problem Finding Space, mit dem wir unsere genaue Herausforderung definieren, und dem Solution Finding Space, in dem wir nach möglichen Lösungen suchen. Prototyping wird vor allem bei letzterem relevant. Wenn wir interessante Ideen gefunden haben, gehen wir möglichst schnell in die Vertestung – am besten noch bevor wir uns zu sehr in eine der Lösungen verlieben können.

Für die Vertestung von Ideen gibt es eine gewisse Logik. Der erste Test, den wir durchführen, zielt auf den Point-of-sale ab. Wir fragen nach der Akzeptanz unseres Wertversprechens. Sind Kunden überhaupt bereit, für unsere Lösung Geld auszugeben? Nehmen sie unser Produkt überhaupt als passende Lösung war? Ist das Problem auf Kundenseite wirklich relevant? Hier sind Look-a-likes und Behave-a-likes am interessantesten, weil wir mit einfachen Mitteln den Punkt des Verkaufs simulieren können.

Danach folgt die Frage nach der Usability. Erfüllt die Lösung die Erwartungen unserer Nutzer, wenn sie sie erstmal einsetzen? Verstehen unsere Kunden das Produkt und können sie damit arbeiten? Das ist die Domäne des Behave-a-like.

Prototyping setzt auf Pragmatismus

Erst dann prüfen wir die Machbarkeit. Damit mich niemand falsch versteht: Natürlich können wir uns vorher Gedanken zur Machbarkeit machen. Aber Studien oder aufwendige Projekte bezüglich der Machbarkeit sind nur dann interessant, wenn wir schon geprüft haben, ob jemand die Lösung überhaupt kaufen möchte und sinnvoll einsetzen kann!

Je früher wir testen, desto pragmatischer gehen wir vor. Im positiven Sinne hemdsärmelige Prototypen sind wertvoller als aufwendige, teure Studien, die deutlich mehr Ressourcen verschlingen. Wichtig ist dabei nur, dass wir eine Hürde einbauen, damit wir ehrliches Feedback bekommen. Machen wir es bei der Vertestung unseren Nutzern zu einfach, „Ja“ zu sagen, ist diese Antwort nichts wert. Nur wenn Zustimmung Überwindung kostet, können wir uns darauf verlassen, dass sie ernst gemeint ist.

Sehr empfehlenswert ist hier auch das Buch The Mom Test von Rob Fitzpatrick. Er beschreibt dort auf sehr pragmatische Art und Weise, wie wir ehrliche Rückmeldung bekommen können, bevor wir Ideen umsetzen.

Die wichtigsten Aspekte für erfolgreiches Prototyping

Wenn wir uns die Denkweise aus Design und speziell dem Prototyping zunutze machen wollen, gibt es also ein paar grundlegende Aspekte, auf die wir achten können:

  • Auf Workarounds achten. Workarounds sind Hinweise auf Bedürfnisse unserer Nutzer und Kunden, die noch nicht über formelle Lösungen adressiert sind. Hier gibt es daher Ansätze für neue Angebote. Umso wichtiger ist aber eine Überprüfung unserer Annahmen, denn: Nur weil Nutzer einen Workaround verwenden, heißt das nicht, dass sie auch für ein Produkt zahlen wollen!
  • Eine Geisteshaltung der Bescheidenheit und Offenheit entwickeln. Kritik an unseren Ideen, sogar Unverständnis, sind wertvolle Erkenntnisse, die uns zu Innovation verhelfen können. Wir müssen eine Balance schaffen: Einerseits brauche gerade neue Ideen viel Unterstützung und, in der Umsetzung, Herzblut. Andererseits landen neue Ideen ohne Feedback von außen oft auf der Müllhalde gescheiterter Innovationen.
  • Point-of-Sale und Usability vor der Machbarkeit testen. Mit Look-a-likes und Behave-a-likes können wir sowohl Point-of-Sale und Usability testen, um die Akzeptanz einer Lösung bei den anvisierten Nutzern zu prüfen. Erst danach beschäftigen wir uns intensiver mit Machbarkeitsstudien und Work-a-likes.
  • Pragmatisch bleiben, aber ehrliches Feedback einfordern. Im Zweifelsfall führen wir lieber einen kurzen, schnellen, hemdsärmeligen Test durch, als viel Ressourcen in halbfertige Produkte investieren. Gleichzeitig achten wir darauf, dass wir es unseren Test-Nutzern nicht zu leicht machen, „Ja“ zu sagen. Ehrliches Feedback kann zwar demotivieren, hilft uns aber auf Dauer weiter.

Mit diesen einfachen Vorgehensweisen verhelfen wir unseren Innovationsaktivitäten zu mehr Wirkung und Erfolg – und lernen gleichzeitig auch noch eine ganze Menge über unsere Kunden!

Für weitere Inspiration empfehle ich auch diesen kurzen Talk von Eric Ries, dem Gründer von Lean Startup:

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