Radikale Innovation

Innovation ist das Einführen von etwas Neuem, das Nutzen bringt in einen Markt oder eine Gesellschaft. Dabei lassen sich in Hinblick auf den Grad der Neuheit zwei Arten von Innovation unterscheiden: Inkrementelle Innovation und radikale Innovation.

Bei der inkrementellen Innovation handelt es sich um eine graduelle Veränderung. Ein bestehendes Problem wird besser gelöst: Eine elektrische Zahnbürste, die noch schneller oder besser putzt oder eine Glühbirne, die noch energiesparender ist. Der Großteil der auf den Markt eingeführten Innovationen ist inkrementeller Natur.

Bei der radikalen Innovation handelt es sich um eine Veränderung der Art. Die Glühbirne ist also nicht aus der kontinuierlichen Verbesserung der Kerze entstanden.

Varianten der radikalen Innovation

Eine Innovation kann auf verschiedenen Arten radikal sein und damit zu einer Veränderung der Art sorgen.

Es kann eine neue Technologie zum Einsatz kommen. Die ersten Elektroautos, ein neuer Medikamenten-Wirkstoff oder die large language generating AI-Modelle können hier als Beispiel dienen.

Radikal kann eine Innovation auch sein, weil eine neue Bedeutung von etwas geschaffen wird, was das Produkt oder Dienstleistung darstellt. Statt Stimmung lediglich durch schönes Licht zu erzeugen, können Kerzen Stimmung vor allem durch Gerüche erzeugen, die durch das Verbrennen eines bestimmten Wachses entstehen, wie bei den Yankee-Candles.

Barfußschuhe definieren neu, wofür ein Schuh da ist. Anstatt den Fuß bestmöglich vom Boden abzuschirmen, soll ein Barfußschuh einen möglichst guten Kontakt mit dem Boden ermöglichen. Dadurch erlauben sie auch eine natürlichere Art des Gehens und Laufens.

Manch radikale Innovation kombiniert neue Technologie mit der Schaffung einer neuen Bedeutung. So geschehen zum Beispiel bei den Swatch Uhren oder Nintendo Switch.

Die damals neue Quartz-Technologie hat Uhren so günstig gemacht, dass es für den Normalverbraucher möglich war, mehrere Uhren zu haben. Swatch hat nun die Bedeutung einer Uhr von einem Zeitmesser zu einem Modezubehör umdefiniert und die Uhren entsprechend gestaltet. Dadurch war es für die Zielgruppe nicht nur möglich, mehrere Swatches zu besitzen, sondern sogar wünschenswert.

Nintendo Switch nutzte die Möglichkeiten der Bewegungssensoren, um die Bedeutung von Videospielen neu zu definieren. Anstatt tiefer in die virtuelle Welt einzutauchen, verband Nintendo die reale Welt mit der virtuellen Welt. Dadurch erschloss sich das Unternehmen ganz neue Zielgruppen und schuf einen neuen Markt.

Ein Beispiel für diese markterschaffenden radikalen Innovationen ist auch das iPhone. Durch den cleveren Einsatz von Technologie und einer neuen Bedeutung eines Mobiltelefons wurde die Grundlage für ein komplett neues Ökosystem und neue Geschäftsmodelle gelegt, die Apple zum wertvollsten Unternehmen des Planeten machten.

Die 3M Post-its sind ein Beispiel für eine auf den ersten Blick als low-tech anmutende, radikale Innovation. Durch die neue Klebetechnologie wurden andere Verwendungsmöglichkeiten für Papier geschaffen. Die bunten Post-its sind aus vielen Workshops heute nicht mehr wegzudenken. Dass die Lösung so low-tech nicht ist, zeigt sich mir immer dann, wenn ich für Workshops ab und zu Klebezettel von anderen Herstellern nutze. So einfach scheint es nicht zu sein, ein Haftmittel herzustellen, dass sich zigfach wiederverwenden lässt, dabei nach wie vor haftet und das Papier nicht zum Einrollen bringt.

Design Thinking und Co?

All diesen Beispielen für radikale Innovation ist gemein, dass sie nicht in ein oder zweitägigen kreativen Problemlöseworkshops oder Innovationsworkshops entstanden sind, wie auch wir von creaffective diese oft moderieren.

Ich bin sehr überzeugt von diesen Workshops und sehe seit 16 Jahren, welchen Mehrwert sie bei Kunden schaffen. Dazu nutzen wir Methoden, die alle auf einer Variante des Creative Problem Solving Modells basieren, egal ob Systematic Creative Thinking oder Design Thinking. Diese Vorgehensweisen sind jedoch für radikale Innovation wenig angemessen. Workshops moderieren wir zwar auch hier, aber eben anders.

Was macht radikale Innovation anders?

Der Grad der Ungewissheit ist bei radikaler Innovation hoch. Das heißt, es gibt viele Aspekte, die wir nicht wissen und aktuell nicht wissen können. Treffen bestimmte Annahmen zu oder auch nicht?

Informationen sind mehrdeutig. Was bedeutet die neue Technologie oder was könnte sie bedeuten?

Es gibt oft nicht einmal ein klares Ziel, möglicherweise noch nicht einmal eine Absicht. Die oben erwähnten Post-its waren nicht geplant bzw. es war etwas ganz anderes geplant. Im Verlauf der Klebstoffentwicklung und einiger unerwarteter Ereignisse hat sich daraus ein Potenzial ergeben, dass einige bei 3M bewusst nutzen wollten.

Das „Problemgrenzen“ ändern sich ständig, ebenso wie die Definition dessen, was Teil der Frage ist und was nicht.

Zentral ist auch, dass radikale Neuerungen meist nicht einfach erdacht werden können! Die Innovatoren setzten sich selten bewusst hin und überlegen sich die Lösung. Meist passieren mehrere Dinge gleichzeitig: Menschen experimentieren oder erkunden etwas. Auf dieses Tun reagiert die Umwelt. Diese Reaktionen bringen neue Möglichkeiten und Gegebenheiten hervor auf die nun die Innovatoren wiederum reagieren können, auch indem sie sich Gedanken machen und Ideen entwickeln.

Es wird nun hoffentlich deutlich, warum die vor allem auf Denken und Erdenken basierenden Creative Problem Solving Modelle meist nicht ausreichen werden für radikale Innovation.

Allgemeine Prinzipien für radikale Innovation

Das Rezept oder die klare Schrittfolge für radikale Innovation gibt es leider nicht.

Ich möchte drei Konzepte vorstellen, die mich für die Arbeit mit Kunden inspiriert haben. Mehr dazu gleich. Ein paar generelle Prinzipien sind nach meiner Erfahrung auf jeden Fall nützlich:

Lange offenbleiben, was genau rauskommen soll

Die oben beschriebene Planungs- und Kontrolllogik ist in Organisationen weit verbreitet. Diese macht ja schließlich auch im Großteil aller Fälle Sinn. Im Falle von radikaler Innovation nicht.

Unternehmen tun daher gut daran, nicht zu früh zu genau festzulegen, was das Ergebnis sein soll und wie wir das Erreichen des definierten Ergebnisses feststellen. Sinnvoll ist eher ein Vorgehen, das aus der Effectuation (https://effectuation.org/) bekannt ist: Man definiert eine grobe Richtung und gegebenenfalls Leitplanken, was nicht passieren sollte. Alles innerhalb dieser Leitplanken ist möglich.

Schnell ins Tun und Ausprobieren kommen

Der bekannte Spruch „erst denken, dann handeln“ greift bei radikaler Innovation nur bedingt. Vielmehr findet beides meist gleichzeitig statt: Man taucht ein in ein Gebiet, spricht mit Menschen und entwickelt daraufhin eine Vorstellung einer Frage, Ideen oder Lösungsansätze. Diese werden dann schnell wieder mit dem Umfeld in Interaktion gebracht. Dadurch kann sich die Richtung mehrmals ändern. Trotzdem ist das Ganze nicht beliebig oder willkürlich.

In leistbarem Verlust denken

Mir ist klar, dass Innovationsaktivitäten nicht kosten können, was es wolle. Unternehmen überlegen meist sehr genau, wo wie viele Ressourcen reingegeben werden sollen. Dabei bedienen sie sich der Logik des erwarteten Ertrags. Dies setzt voraus, dass ich ein grobes Verständnis habe, was der erwartete Ertrag sein könnte. Das wiederum setzt voraus, dass ich ein Verständnis davon habe, wie mein Angebot aussieht.

Irgendwann sollte ich dies haben, klar! Bis dahin ist es praktikabler, in leistbarem Verlust zu denken. Wir stellen uns die Frage: „Was wäre mir ein Versuch wert?“ oder „Was wäre ich bereit zu verlieren für einen nächsten Schritt?“. Dann können wir versuchen im Rahmen des leistbaren Verlusts ins Handeln zu kommen.

Vorgehensweisen für radikale Innovation

Mich haben in den letzten 10 Jahren vier Ansätze besonders inspiriert.

Die Beschreibung jedes dieser Ansätze füllt mindestens ein Buch. Ich habe mehrere dazu gelesen und vor allem ausprobiert und mit Kunden teilweise damit gearbeitet.

Melden Sie sich, wenn Sie mehr wissen wollen, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte!

Bedeutungs-Innovation: Roberto Verganti

Von Verganti kenne ich die Unterscheidung zwischen Innovationen, die Probleme besser lösen und Innovationen, die neue Bedeutungen schaffen.

Letztere sind für radikale Innovation relevant. Empfohlen seien hierzu seine beiden Bücher overcrowded und Design Driven Innovation.

Frame Innovation: Kees Dorst

Dorst hat mich inspiriert, mich viel mehr damit zu beschäftigen, mit welcher Brille ich auf eine Situation schaue. Menschen haben immer ein Frame, d.h. eine Annahme über Zusammenhänge und Ursache und Wirkung.
Das Buch Frame Innovation beschreibt den Ansatz im Detail.

Reframing: Karim Benammar

Die zwei Fragen „Warum tun wir die Dinge, die wir tun?“ und „Wie könnten wir diese anders tun?“ regen zum Nachdenken über unsere Glaubenssätze an. Diese können uns bewusst sein, oft wirken diese allerdings völlig unreflektiert. Veränderung findet meist durch äußere Einflüsse statt, kann aber auch von innen kommen. Darum geht es im Reframing Ansatz.

Beschrieben ist der Ansatz im gleichnamigen Buch.

Innovation Design Approach: Iain Kerr und Jason Frasca

Erst kürzlich entdeckt habe ich die beiden Gründer des Emergent Futures Lab. Sie argumentieren aus meiner Sicht am provokantesten gegen Design Thinking und andere Creative Problem Solving Modelle und widersprechen dem Glaubenssatz, dass sich Ideen durch Denken alleine erschaffen lassen.

Sie haben den Innovation Design Ansatz entwickelt, der vor allem das praktische Ausprobieren als wichtige Quelle der Innovation betont.

Hier biete ich gleich drei Möglichkeiten, um mehr zu erfahren.

Ich selbst werde auch dabei sein und würde mich freuen einige Leser zu sehen!

Anmeldemöglichkeiten zum Workshop finden sich auf der verlinkten Landingpage.