Ist das jetzt nicht ein wenig weit hergeholt? Ich denke nicht. In diesem Artikel möchte ich zeigen warum. Ein paar kürzlich erschiene Zeitungsartikel dienen mir als Anlass.

Jeder Mensch hat das Potenzial kreativ zu sein! Auch wenn wir in unterschiedlichen Bereichen kreativ sind. Ob jemand dieses Potenzial auch zur Geltung bringen kann und ausleben kann, hängt auch vom Umfeld und der Sozialisierung eines Menschen ab. Kreativität benötigt unterstützende Bedingungen, um sich entfalten zu können. Nicht ohne Grund versuchen viele Unternehmen eine Kultur der Innovation zu schaffen, um genau dieses Potenzial ihrer Mitarbeiter nutzen zu können.
Ob und wie jemand sein kreatives Potenzial nutzen kann, wird jedoch noch viel früher beeinflusst, durch die Art wie ein Kind erzogen wird und durch das Erziehungssystem durch welches Kinder und Jugendliche gehen.

Tendenz zum auswendig lernen und zur Prüfungsbulimie

Der Brite Ken Robinson spricht in seinen Vorträgen davon, dass die Schulen weltweit den Kindern ihre Fähigkeit zur Kreativität systematisch ab-erziehen, auch wenn das keineswegs vorsätzlich oder böswillig passiert. Wichtig sei es vor allem, die richtige Antwort auf vorher festgelegte Fragen zu wissen. Das Denken in Alternativen und Möglichkeiten spielt kaum eine Rolle. Wir sind gut darin, einen Standpunkt argumentativ und logisch zu verteidigen. Auch das ist wichtig, jedoch nicht ausreichend.
Auch das deutsche Hochschulsystem entwickelt sich immer mehr in diese Richtung, besonders mit der Umstellung auf Bachelor und Master. Jetzt ist vor allem Faktenwissen und auswendig lernen gefragt. Charlotte Haunhorst beschreibt dieses System in einem kürzlich in einem offen Brief, der auf jetzt.de erschienen ist und spricht von einem System der Prüfungsbulimie. Außerdem scheint es möglich und praktikabel sein Studium zu „meistern“ ohne auch nur ein Buch gelesen zu haben, es reicht, den Wortlaut der Vorlesungsskripte in den Prüfungen wieder zu kauen.

Vorbild China?

Das Prüfungsbulimie-System in einer besonders starken Ausprägung haben die Asiaten, egal ob China, Taiwan, Korea oder Japan. Wobei es bei den ersten drei Ländern auch in der Universität noch stärker ausgeprägt ist.
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Vor dem Hintergrund des hervorragenden Abschneidens der Shanghaier Schüler beim letzten Pisa Test könnte man ja durchaus versucht sein, die Chinesen nun als Vorbild für Deutschland zu sehen. Fakt ist, dass die Shanghaier Schüler im Pisa Test hervorragend abgeschnitten haben. Sie haben das gekonnt, was der Pisa Test misst und es gibt sicherlich einiges, was wir vom chinesischen Schulsystem lernen können.

In den USA und langsam auch in Deutschland sorgt das Buch von Amy Chua über ihre „chinesischen“ Erziehungsmethoden für Diskussionen, in dem sie davon berichtet, dass man als Elternteil wie ein wohlmeinender Diktator den Willen seiner Kinder brechen müsse, damit Sie im Kampf ums Überleben bestehen. Schließlich wüssten Kinder nicht, was gut für sie sei. Das Chua über das Ziel hinaus schießt und es ganz so schlimm in China nicht ist, hat der Pädagogik Professor Yang Dongping auf seinem Blog und übersetzt in der Zeitung „Die Welt“ beschrieben.

Fakt ist, dass das chinesische Schulsystem sehr konkurrenzbetont ist, mit hohem Leistungsdruck arbeitet, alle „gleich“ behandelt und Auswendiglernen von Fakten eine große Rolle spielt.
Unter dem Gesichtspunkt kreatives Denken zu fördern, bewirkt dieses System das genaue Gegenteil.
In einer Unterhaltung, die ich kürzlich mit einer taiwanischen Violinistin hatte, bestätigte auch sie, dass sehr viele Musiker in Asien zwar perfekte Techniker seien, man in deren Stücken aber wenig „Seele“ und wenig „Eigenes“ entdecken könne.

Schule als Grundstein für Innovationsfähigkeit

Die Fähigkeit und die Gewohnheit kreativ denken zu können und zu wollen, ist eine (nicht die einzige!) wichtige Grundlage für die Innovationsfähigkeit einer Organisation und eines ganzen Landes. Wenn diese Fähigkeit nach Abschluss von Schule und Universität erst mühsam wieder hergestellt werden muss, oder sogar die Meinung vorherrscht, dass es nicht relevant sei, hat dies keine positiven Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit eines Landes.
In den Medien und auf Konferenzen wird momentan häufig diskutiert, ob und wie lange Deutschland seinen Innovationsvorsprung vor Ländern wie China noch halten kann und was dafür zu tun sei.
Einen großen Vorteil, den Deutschland (uns sicherlich auch andere westliche Länder) aus meiner Sicht und meiner Erfahrung vor Ort in China haben, ist, dass es kulturell einfacher ist Neues und Ungewöhnliches zu denken und zu äußern. Dass es ist China für viele Menschen so schwer ist, liegt auch an der chinesischen Kultur, die andere Verhaltensweisen wertschätzt und dem chinesischen Erziehungssystem.
Aus dieser Perspektive sind die aktuellen Entwicklungen in Deutschland bedenklich.