Innovation und Organisationsentwicklung werden oft getrennt gedacht. Hier die Entwicklung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle. Dort die Weiterentwicklung der Organisation hin zu mehr Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Dabei haben beide einige Gemeinsamkeiten: Im Kern Ungewissheit und Komplexität. Die Vorgehensweisen aus der Innovation bieten sich geradezu an, um diese in Organisationsentwicklungsprozessen zu nutzen.

Dadurch wird Veränderung in Unternehmen beherrschbarer und besser steuerbar, ohne Menschen zu frustrieren und zu überfordern. Außerdem erhöht es die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende wirklich funktioniert.

In diesem Artikel zeige ich, wie Prinzipien und Methoden aus der Innovationspraxis genutzt werden können, um Organisationen wirksam zu verändern – nicht über Masterpläne, sondern über Experimente und Partizipation.

1. Die Gemeinsamkeiten von Innovation und Organisationsentwicklung

Sowohl Innovation als auch Organisationsentwicklung (OE) wollen Veränderung / Neuerung erreichen – unter Bedingungen von Unsicherheit. Innovation zielt auf Neues im Markt, OE auf Veränderungen in der Zusammenarbeit und den formalen und informellen Strukturen des Unternehmens.

Gemeinsam ist beiden:

  • Beides braucht Lernen. Manche bestehenden Dinge müssen bewusst verlernt werden, anderes muss neu hinzugelernt werden.
  • Veränderung der Organisation und Innovation sind in die Zukunft gerichtet. Von einem Status Quo möchten wir zu einem anderen Zustand in der Zukunft. Damit kommt Ungewissheit ins Spiel. Es gibt viele Einflussfaktoren in der Zukunft, die wir nicht wissen können.
  • Menschen spielen eine zentrale Rolle (einmal als Teil einer Organisation, einmal als Nutzer in einem Markt).
    Dies ist aus zwei Gründen relevant: Menschen sind körperliche Wesen! Die Körperlichkeit des Menschen beeinflusst das Denken und die Frage, was wir überhaupt wahrnehmen können. Menschen sind zwar fähig zum rationalen Denken, gleichzeitig sind wir emotionale Wesen. Das hat großen Einfluss auf unser Denken und Handeln.
    Der zweite Grund: Menschen sind keine Maschinen und sind nicht wie Maschinen steuerbar. Dadurch entsteht Komplexität! Das Zusammenspiel der Menschen führt zum Entstehen von Verhalten (Emergenz), das nicht im Vorhinein vorausgesagt werden kann. Es könnte immer auch anders kommen als gedacht.
  • Menschen sind in eine Umwelt eingebunden, die gewisse Handlungsmuster und Denkweisen wahrscheinlicher macht. Das ist sowohl für Innovation als auch Veränderung der Organisation relevant. Gleichzeitig steht diese Aussage im Spannungsfeld zur vorherigen: Es kann auch anders kommen.
  • Neues (sowohl Produkte / Dienstleistungen als auch Organisationsmuster) entstehen meist durch ein Zusammenspiel derjenigen die verändern oder innovieren möchten und denjenigen, auf die sich die Veränderungen auswirken sollen.
    Man spricht hier auch von Co-Emergenz und Co-Evolution. Das heißt konkret, dass nicht alles planbar ist und einem stringenten Prozess folgen kann. Daraus wiederum folgt, dass alles Geplante meist unintendierte Effekte, Konsequenzen, Nebenwirkungen hat. Mit diesen muss man dann erneut umgehen. (Zwei Beispiele hierfür: der Like-Button auf Social Media Plattformen, der Einsatz eines Bonussystems in Unternehmen). Eine Veränderung ohne unintendierte Nebeneffekte ist nicht wahrscheinlich.
  • Sowohl in der Innovation als auch in der Organisationsentwicklung kann man das Ergebnis nicht garantieren. Man kann eine gewünschte Richtung nur wahrscheinlicher machen.
    Daraus folgt wiederum: Man kann Veränderung nur zum Teil bewusst entwickeln. Vieles entwickelt sich zum Teil auch selbst, sowohl in der Innovation als auch besonders in der Organisation. Es gibt keine Durchgriffskausalität!

Abgeleitet aus dem obigen ergibt sich: Die zentralen gemeinsamen Eigenschaften von Innovation und Organisationsentwicklung sind damit Ungewissheit (man kann vieles nicht wissen und vorhersagen) und Komplexität (das große Ganze und das Verhalten des Ganzen ist mehr als die Summe seiner Teile sichtbar macht).

2. Wie Organisationsentwicklung heute oft verstanden wird

Ich behaupte, dass sich einige Vorgehensweisen aus der Innovation gut auf Organisationsentwicklung übertragen lassen. Bevor ich zeige welche, lohnt es sich kurz auf den der Status Quo der Organisationsentwicklung zu schauen.

Wenn wir über Organisationsentwicklung sprechen, zeigt sich schnell: Die Herangehensweisen sind deutlich weniger standardisiert als im Bereich der Innovation. Wie ein Unternehmen Veränderungen angeht, hängt stark von seiner Geschichte, den handelnden Personen in der Führung und nicht zuletzt von den Beratern ab, die es ins Haus holt. Und welche Berater engagiert werden, sagt meist schon einiges über das zugrunde liegende Organisationsverständnis der Entscheider aus.

In vielen Unternehmen begegnet uns nach wie vor ein mechanistisches Bild von Organisation. Die Organisation wird hier als eine Art Maschine verstanden, die sich durch gezielte Eingriffe umbauen lässt. In diesem Denken lässt sich eine gewünschte Veränderung herbeiführen, indem man an Stellschrauben dreht, Abläufe neu justiert oder Verantwortlichkeiten verschiebt. Veränderungen werden in dieser Logik meist als formale Umstrukturierungen gedacht, die sich durch einen Plan umsetzen lassen.

Aus der systemtheoretischen Organisationsforschung wissen wir inzwischen ganz gut, dass Veränderungen auf der formalen Seite zu Gegenbewegungen auf der informellen Seite führen. Diese werden in der mechanistischen Logik meist wenig bis gar nicht mitgedacht. Die Organisation entscheidet, was sie wie verändern will, nicht der Plan des Beraters oder Organisationsentwicklers.

Die bereits erwähnten systemtheoretisch arbeitenden Organisationsberater (wie auch wir von creaffective) gehen hier bereits deutlich anders vor.

Wir gehen davon aus, dass Organisationen komplexe soziale Systeme sind, die sich nicht vollständig steuern lassen. Jede Intervention ist ein Impuls, der bestimmte Entwicklungen wahrscheinlicher machen kann, ohne sie garantieren zu können.

Daraus ergeben sich erhebliche und vielfältige Konsequenzen für die Arbeit an Organisationen und das Verständnis von Beratung. Ungewissheit und Komplexität werden von Anfang an mitgedacht. Damit ist klar, dass Interventionen in der Organisation manche Entwicklungen wahrscheinlicher und erwartbarer machen. Eine für den Organisationsentwickler nutzbare Theorie (wie die von uns genutzte Metatheorie der Veränderung) bietet fundierte Begründungen und Herleitungen für die Ansatzpunkte einer Veränderung: Wir können begründen, warum wir in einer Organisation an einem bestimmten Aspekt eine Intervention versuchen wollen.
Gleichzeitig ist klar, dass es meist nicht ganz genau so kommen wird, wie gedacht und dass es immer auch noch ganz anders sein könnte. Auf diese Effekte müssen wir uns einstellen und damit Komplexität ernst nehmen.

3. Vorgehensweisen für Innovation

Bei der Innovation kommt es sehr darauf an, um welche Art von Innovation es sich bei der angestrebten Innovation handelt. Dabei lassen sich grundlegend zwei Arten unterscheiden:

Change in degree: Es handelt sich um eine Weiterentwicklung des Bestehenden. Das Neue ist ein Veränderung des Grades des Bestehenden. Man spricht auch von inkrementeller Innovation. Der Großteil alle Innovationsbemühungen in Organisationen beziehen sich auf inkrementelle Innovation.

Change in kind: Hierbei geht es darum eine neue „Art“ zu schaffen, also etwas komplett Neues. Diese Art der Innovation bezeichnet man als radikale Innovation. Hierbei ist die Ungewissheit sehr hoch und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Bemühungen zu nichts führen oder zu etwas völlig anderem als gedacht / geplant.

Die Unterscheidung der beiden Arten von Innovation ist wichtig und relevant, weil die Art und Weise, wie sich Organisationen diesen nähern, deutlich unterschiedlich sein muss.

Ansätze für inkrementelle Innovation

Für inkrementelle Innovation kommen dabei Vorgehensweisen der systematischen kreativen Problemlösung wie das Creative-Problem-Solving-Modell, Design Thinking oder Systematic Creative Thinking zum Einsatz. All diese Methoden verbinden einen kreativen Problemlöseprozess mit einem im Kern planerischen Vorgehen.

Weiter hinten in einem „Entwicklungsprozess“ (hier wurde die Unsicherheit bereits deutlich reduziert) können dann Methoden der adaptiven Produktentwicklung wie z.B. SCRUM angewendet werden. Hierbei fokussiert man sich auf überschaubare Aspekte einer Neuentwicklung, die man jeweils in einer zeitlich überschaubaren Einheit konzentriert entwickelt, um dann das Feedback des Marktes zu prüfen. Dies ermöglicht schnelle Kurskorrekturen.

Ansätze für radikale Innovation

Aufgrund der viel größeren Ungewissheit bei radikaler Innovation kann man viel weniger planerisch herangehen.

Vorgehensweisen wir der Innovation Design Approach und Effectuation setzen daher viel stärker auf bewusstes Ausprobieren und Lernen. Anstatt von einem konkreten Ziel auszugehen (wie meist in der inkrementellen Innovation), gibt es hier nur eine grobe Zielrichtung und eine sehr hohe Offenheit, wo es sich hinentwickelt. Ausgehend von bestehenden Mitteln „stolpert“ man sich nach vorne und prüft dann, was nun möglich wird. Durch das bewusste Blocken von Kernelementen einen bestehenden Lösung erhöht man die Wahrscheinlichkeit, dass sich deutlich unterschiedliche Pfade herausbilden. Zufälle und Ungeplantes sind hierbei ausdrücklich ewünscht!

Experimente spielen in der radikalen Innovation eine große Rolle. Sowohl Experimente im klassischen Sinne, um eine Hypothesen zu testen, z.B. in Form von Prototypen. Als auch im innovativen Sinne als ein Weg, etwas Neues entstehen zu lassen, von dem wir im Vorhinein keine Ahnung haben, was es ist oder sein könnte.
Gemeinsam haben alle Experimente, dass sie „safe-to-fail“ geplant werden. D.h. ein „Scheitern“ ist immer verkraftbar.

Gerade letztere sind spannend für OE: Wenn wir anerkennen, dass Organisationen nicht vollständig planbar sind, dann brauchen wir Methoden, die mit Unsicherheit und Komplexität umgehen können – nicht trotz, sondern wegen ihrer Offenheit.

4. So kann die Innovation die Organisationsveränderung unterstützen

Elemente der Vorgehensweisen der Innovation lassen sich aufgrund der Gemeinsamkeiten gut auf Organisationsveränderungen, Changemanagement und Unternehmens-Transformation übertragen.

In unserer Arbeit mit Organisationen übertragen wir gezielt Prinzipien aus der Innovationspraxis auf OE-Prozesse:

  • Wir betrachten Organisationsentwicklung als bewusste Safe-to-fail-Experimente (siehe Titelbild). D.h. wir führen parallel und nacheinander verschiedene mit dem Kunden gemeinsam entwickelte Experimente durch (siehe unteres Bild). Diese sind oft hypothesengetrieben, d.h. wir haben Annahmen und Erwartungen was passieren wird und hoffen, dass sich ein von uns gewünschte Effekt einstellt. (Wie genau, habe ich hier beschrieben)

  • Wir arbeiten im Sinne des Effectuation mit Leitplanken. Wir definieren mit dem Kunden, in welchem Rahmen wir uns bewegen und was nicht passieren darf. Innerhalb dieser Leitplanken nutzen wir vorhandene Mittel und Energie aus der Kundenorganisation, um Veränderungen zu initiieren.
  • Die Zielrichtung als auch konkrete Vorschläge speisen sich aus einer Diagnose mit dem Kunden und einem systemtheoretischen Blick von uns als Beratern auf Organisationen. Dieser informiert bei einer Beobachtung einer Organisation, der formalen und informellen Strukturen über erwartbare Konfliktlinien / Probleme. Damit gibt es grundsätzlich eine Richtung für Veränderungsbemühungen. Es ist also keinesfalls beliebig.
  • Die Experimente selbst entwickeln wir mit einem Ansatz der kreativen Problemlösung co-kreativ mit dem Kunden. Dazu greifen wir dann teilweise auf bekannte good practices zurück, z.B. zum Thema Meetings und Entscheidungsfindung.
    Hierzu arbeiten wir mit einem interdisziplinären Team des Kunden mit unterschiedlichen Stakeholdern.

Mit dieser Übertragung von Vorgehensweisen aus der Innovation kombinieren wir – aus unserer Sicht – das Beste aus beiden Welten. Damit schaffen wir eine Art der Organisationsveränderung beim Kunden, bei der die Menschen aktiv beteiligt sind. Die Organisation ändert sich in vielen kleinen Schritten, die grundsätzlich auch jederzeit revidierbar sind. Über einen längeren Zeitraum hinweg kann so aus vielen kleinen Schritte eine große Veränderung werden.

5. Fazit: Organisationen verändern sich anders, als viele denken

Organisationsveränderung lässt sich nicht vollständig planen, aber sie lässt sich gestalten. Wenn wir Denkweisen und Prinzipien aus der Innovation übernehmen, akzeptieren wir Unsicherheit, arbeiten mit Hypothesen. Wir schaffen echte Partizipation, lernen im Tun und können jeder Zeit Anpassungen vornehmen.

Konkret haben wir dies kürzlich z.B. mit der IT-Organisation von ProSiebenSat.1 gemacht. Einen Presseartikel dazu finden Interessierte hier zum Download.

Wie geht es weiter?

Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, was Ihre Organisation wirklich in Bewegung bringt.

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