„Wir müssen lernen uns voranzuscheitern!“, sagte Sascha Lobo kürzlich in einem Podcastinterview. Er bezog diese Aussage auf Innovation, also die Entwicklung neuer Angebote und Geschäftsmodelle.
Was für Innovation absolut richtig ist, gilt auch für Veränderungen der Organisation!
Ähnlich wie bei der Innovation handelt es sich bei der Veränderung von Organisationen um komplexe nicht-triviale Systeme.
Komplex heißt, es entstehen Effekte, Verhaltensweisen und Ergebnisse, die sich im Vorhinein nicht prognostizieren lassen. Diese entstehen durch die Interaktion der einzelnen Elemente. Nicht-trivial heißt, dass es keine klaren und wiederholbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt:
Wenn ich eine Regel in Team A einführe, kann diese zu ganz anderen Effekten führen, als wenn ich diese in Team B einführe.
Organisationsveränderung wird notwendig
Wenn sich äußere Rahmenfaktoren wie Geschäftsmodelle und Märkte verändern, dann gerät auch die Organisation unter Veränderungsdruck. Sie muss sich im Inneren den äußeren Rahmenbedingungen soweit effektiv anpassen, dass sie weiterhin erfolgreich am Markt agieren kann und mit den dynamischen Veränderungen und der Komplexität gut umgehen kann.
An der Automobilindustrie zeigt sich das aktuell ganz deutlich.
Neben Veränderungsdruck, der vor allem auf äußere Umstände zurückzuführen ist, können auch Entwicklungen im Inneren einen Zustand erreichen, der sich auf die Handlungsfähigkeit eines Unternehmens auswirkt und damit auf das Überleben am Markt.
Die Firma Bayer ist aktuell ein Beispiel hierfür. Die Anzahl der Regeln und Entscheidungsebenen wird von Entscheidern als so erdrückend wahrgenommen, dass sie sich entschlossen haben, die Art wie Entscheidungen getroffen werden und von wem, radikal anders aufzustellen.
Das „Experiment“ mit Dynamic Shared Ownership bei Bayer dauert an.
Unterschiedliche Gründe für einen Wandel der Organisation
Die konkreten Ausgangssituationen und Handlungsanlässe können in Unternehmen sehr unterschiedlich sein. In manchen Organisationen stellen die Menschen zum Beispiel fest, dass Entscheidungen nicht schnell genug in guter Qualität herbeigeführt werden können.
Andere merken, dass ihr bisher sehr arbeitsteiliges sequenzielles Vorgehen der Produktentwicklung dazu führt, dass am Ende sich niemand verantwortlich fühlt und am Markt vorbei entwickelt wird. In wieder anderen Unternehmen stellen Menschen fest, dass aufgrund starker Silobildung in der Organisation Informationen nicht mehr ausreichend fließen und die Geschwindigkeit und Qualität leidet.
All dies sind Beispiele aus vergangenen Projekten der Organisationsentwicklung (oder auch Transformation, wie es manche Kunden nannten) von creaffective.
Für manche Unternehmen ergeben sich daraus noch überschaubare Organisationsentwicklungsbedarfe für andere ist eine umfassendere Veränderung der Organisation notwendig.
Gemeinsam ist allen Handlungsanlässen, dass die Notwendigkeit einer Veränderung der Organisation, von Praktiken der Zusammenarbeit oder der Kultur gesehen wird.
Abbildung 1 zeigt eine Übersicht häufiger Anlässe.
Gemeinsamkeiten von Veränderungsprozessen einer Organisation
Egal, was die konkrete Ausgangssituation ist, alle organisationalen Veränderungsprozesse haben Gemeinsamkeiten:
- Es handelt sich um Veränderungen an menschlichen Systemen. Diese sind komplex. Es entstehen nicht vorhersehbare Effekte und es herrscht Ungewissheit. Jedes Unternehmen, seine Historie und sein Kontext sind zu einem gewissen Grad einzigartig. Das bedeutet, dass Veränderung nicht rezeptfähig ist! Deshalb sind fixe Frameworks und Vorgehensweisen der Veränderung von Organisationsdesigns meist nicht eins zu eins anwendbar. Werden sie übergestülpt, ist die Gefahr des Scheiterns und dysfunktionaler Nebenwirkungen groß. Das Spotify-Modell (das es übrigens nie gab) funktioniert nur bei Spotify.
- Veränderungsprozesse lösen aufgrund ihrer Ungewissheit Ängste und Bedenken aus bei den Betroffenen und den Entscheidern. Dies führt dazu, dass Veränderungen oft lange hinausgezögert werden.
Dies kann man aktuell auch sehr gut in der politischen Sphäre in Deutschland sehen. Die tatsächliche Dimension der notwendigen Veränderung möchte keine Partei dem Wähler zumuten. - Daher funktioniert Veränderung einer Organisation immer über Verunsicherung und Irritation. Es gibt keinen reibungslosen Übergang von einem geordneten Zustand in einen anderen.
Planerisches Change Management ist nicht hilfreich
Dadurch eignet sich ein planerisch-kontrollierendes Vorgehen für Organisationsentwicklungsprozesse nicht oder nur sehr bedingt. Wie sagte Mike Tyson mal so schön: „Everyone has a plan until they get punched in the face“. Es lässt sich einfach zu wenig verlässlich planen, beziehungsweise der Plan wird zu schnell von den aktuellen Entwicklungen überholt. Bei vielen Veränderungen ist schlecht vorhersagbar, was in der konkreten Umsetzung dann wie konkret funktionieren wird.
Es ist also davon auszugehen, dass der Plan schnell obsolet wird und es einfach nicht nach Plan läuft.
Was braucht es stattdessen?
Sinnvolle Prinzipien für Veränderung
Es gibt Vorgehensweisen, die sich mit dem Umgang mit Komplexität und Ungewissheit beschäftigen, die auch für Organisationsveränderungen hilfreiche Prinzipien bieten können. Diese gelten übrigens auch für die Arbeit an der Innovation. Sie ermöglichen eine gewisse Sicherheit im Umgang mit Unsicherheit. Sich machen den Wandel damit beherrschbar!
Die Prinzipien lauten:
- In komplexen Situationen ist es sinnvoll, mit mehreren hypothesenbasierten safe-to-fail Experimenten zu arbeiten. Da ungewiss ist, was funktionieren wird, müssen Dinge ausprobiert werden. Aus diesen Experimenten kann die Organisation lernen. Das ist es auch, was der eingangs zitierte Sascha Lobo meinte mit „voranscheitern“.
- Unter Bedingungen von Ungewissheit kann nicht im Sinne von „Return on invest“ gedacht werden und geplant werden. Stattdessen sollte man in „leistbarem Verlust“ denken. Das bedeutet sich zu überlegen, was man bereit wäre zu tun und zu investieren, um etwas auszuprobieren und Ungewissheit zu reduzieren. Im schlimmsten Fall ist dieser Invest zu 100% verloren. Das ist es was Amy Edmonson in ihrem Buch „Right kind of wrong“ unter intelligentem Scheitern versteht.
- Bei Ungewissheit, wie zum Beispiel im Innovationskontext, gibt es meist verschiedene Annahmen, die noch nicht verifiziert wurden. Hier können Prototypen helfen, um zu lernen was wie funktioniert und welche Annahmen zutreffen und welche nicht. (siehe safe-to-fail Experimente)
- Basierend auf Lernergebnissen durch Exerimente kann iteriert werden. Es wird also eine Anpassung des Grundkonzepts vorgenommen, um den Umständen besser gerecht zu werden.
- Diese Prinzipien bilden den Kern des unseres Vorgehens der Begleitung von Organisationsentwicklungs– und Transformationsprozessen.
Wir reflektieren dabei eine Erkenntnis, die Dave Snowden, der Entwickler des Cynefin-Frameworks in einem Interview wie folgt formuliert hat:„Complexity can be managed but it cannot be managed in terms of output! You cannot determine an outcome in a complex system. But you can determine a vector: ‚Am I going in the right direction at the right speed with the right resources.'“
Das Vorgehen: Organisationale Experimente
Das Vorgehen ist so gestaltet, dass
- Unternehmensveränderung beherrschbar wird;
- die Organisation in überschaubaren Schritten starten und vorgehen kann;
- die Beteiligten flexibel auf Veränderungen reagieren können;
- die Notwendigkeit des Reagierens mitgedacht wird;
- trotz aller Flexibilität zu Beginn klar ist, wie wir grundsätzlich vorgehen werden;
- jederzeit auch abgebrochen werden kann;
- die Sorgen und Ängste der Menschen deutlich reduziert werden können, weil nächste Schritte zumindest „gangbar“ sind;
- die Organisation gleichzeitig ausreichend Irritationen ausgesetzt wird, um Veränderung zu ermöglichen;
- die Betroffenen aktiv in den Prozess eingebunden werden und Experimente mitgestalten und entwickeln;
- die Motivation für Veränderung dadurch erhöht werden kann;
- die Erfolgswahrscheinlichkeit insgesamt erhöht wird, weil das gesamte Vorgehen besser mit Ungewissheit und Komplexität umgehen kann als traditionelle Planungsphantasien.
Wir arbeiten mit dem Kunden dabei immer co-kreativ. Das bedeutet, dass alle Experimente im Rahmen der Veränderung immer gemeinsam mit Vertretern des Kunden erarbeitet werden. Die Betroffenen sind aktiver Teil des Prozesses. Sie werden gehört und ernst genommen, was nicht heißt, dass den Betroffenen alle Entscheidungen auf dem Weg gefallen werden und ihren Interessen entsprechen. Jede Entscheidung, die getroffen wird, kann für manche Menschen Nachteile haben. Diese werden bewusst und reflektiert in Kauf genommen und vertestet. Organisationsveränderung wird zu einem gewissen Grad unangenehm sein.
Wir von creaffective sind in verschiedenen Rollen beteiligt, als Berater, Facilitator und Coach. Wir geben Impulse, spiegeln unsere Resonanz von außen, definieren die konkreten Handlungen jedoch mit den Beteiligten. Damit fungieren wir wie ein Katalysator. Wir beschleunigen und vereinfachen den Veränderungsprozess.
Kernelement der Veränderung: Das Experiment
Die gesamte Transformation / der Veränderungsprozess oder auch Organisationsentwicklungs-Prozess setzt sich aus mehreren Experimenten zusammen. Diese können zeitlich versetzt oder teilweise auch parallel durchgeführt werden.
Das Grundmuster wird in Abbildung 2 dargestellt.
Die Situation verstehen
Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme des Status Quo: Analyze & Assess. Dies wird zu Beginn der Zusammenarbeit ein größerer Kick-Off zur Diagnose sein, um die Ziele des Entwicklungsprozesses zu definieren und die generellen Leitplanken festzulegen, innerhalb derer wir Experimente durchführen können. Hier sprechen wir darüber, was verändert werden soll und was konstant bleiben soll. Wir starten immer mit einem Diagnose-Workshop als erstem separatem Schritt. Die Einstiegshürde hierzu ist äußerst niedrig. Danach entscheiden Unternehmen, ob sie weitere Schritte gehen wollen.
Für den Fall, dass bereits einige Experimente durchgeführt wurden, schauen wir mit dem Kunden auf die aktuelle Situation und die jetzt relevanten Herausforderungen, die im Sinne der gewünschten Gesamtrichtung angegangen werden sollten. Diese sind möglicherweise durch den gemeinsamen Kick-off schon bekannt.
Inspiration zur Veränderung anbieten
Basierend auf der nun konkret anstehenden Fragestellung beginnt nun der erste Schritt eines Experiments: Inspire & Educate.
In der Berater-Rolle stellt creaffective nun als Inspiration verschiedene Praktiken, Muster und Werkzeuge der Zusammenarbeit vor, die für die Fragestellung Mehrwert bieten könnten.
Gemeinsam Vorschläge für Veränderung entwickeln
Gemeinsam mit den Vertretern des Kunden, die die Veränderungen später umsetzen müssen, erarbeiten wir im nächsten Schritt Co-Create & Design einen konkreten Vorschlag für ein Experiment, das dann vom Kunden ausprobiert werden kann. Dies können z.B. neue Verfahren der Entscheidungsfindung sein, die Organisation von Arbeit und Aufgaben in Form von flexiblen Rollen anstelle von starren Positionen oder die Nutzung bestimmter Meetingformate. Ziel des Vorschlags ist es, dass die Menschen, die es umsetzen müssen, diesen für gangbar befinden und sich vorstellen könnten, die Veränderung einmal auszuprobieren für einen Zeitraum von Wochen und Monaten. Eine Veränderung als Experiment zu betrachten, senkt die Hürde, Veränderung zu wagen und es auszuprobieren. Ein Experiment kann sich auch immer anders entwickeln als gedacht.
Organisationsveränderungen testen
Im Schritt Prototype & Coach setzen die Beteiligten den Vorschlag um und versuchen das Vereinbarte in der Praxis zu leben. Wir von creaffective stehen als Coach und Ansprechpartner zu Verfügung, um gemeinsam die ersten Schritte zu gehen und die Menschen bei der Veränderung zu unterstützen und zu begleiten. Im Falle von neuen Entscheidungsverfahren kann dies zum Beispiel bedeuten, dass wir die ersten Besprechungen entsprechend moderieren, damit alle Beteiligten ein Verständnis dafür bekommen, wie es laufen könnte.
Experiment bewerten
Mit Beschluss des Experiments im Schritt Co-Create & Design legen wir mit dem Kunden außerdem einen Zeitpunkt fest, wann wir gemeinsam auf das Experiment schauen und beurteilen, wie es läuft. Diesen Schritt nennen wir Review & Adapt. Nach einigen Wochen oder Monaten treffen sich die Beteiligten und wir bewerten gemeinsam anhand vorher festgelegter Beurteilungskriterien wie das Experiment funktioniert und ob und wie stark die erhofften Veränderungen eintreten. Das gemeinsame Festlegen eines zeitnahen Review-Datums ist ganz wichtig für den gesamten Prozess und macht es Menschen leichter möglich Experimenten zuzustimmen.
Wenn die Ergebnisse grundsätzlich den Erwartungen entsprechen, kann die Veränderung weiterhin gelebt werden. Dabei ist es wahrscheinlich, dass einige Aspekte nicht ganz wie erwartet funktionieren. Genau dafür machen wir ein Experiment, um das herauszufinden. Nun werden gemeinsam Veränderungen am ursprünglichen Vorschlag vorgenommen und dieser erneut verabschiedet mit einem neuen Review-Datum. Wir sprechen hier von einer ersten Iteration. Diese kann nun hoffentlich einige der nicht-intendierten Effekte beheben und die Situation weiter verbessern. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Beteiligten das Experiment entweder abbrechen und für beendet erklären, oder die Veränderung institutionalisiert wird und ins Regelwerk der Organisation aufgenommen wird.
Damit ist ein Experiment abgeschlossen.
Den gesamten Veränderungsprozess kann man sich wie eine Versuchsanordnung von mehreren Experimenten vorstellen. Diese kann sich über einen Zeitraum von 9 – 24 Monaten erstrecken, je nach Kontext und Handlungsanlass.
Die Abbildung 3 zeigt den kompletten Prozess.
Fallbeispiel für Organisationsentwicklung
Anwenden lässt sich dieses Vorgehen als Heuristik bei allen Arten von Fragestellungen wo eine Veränderung des Status Quo einer Organisation, eines Bereichs oder auch eines Teams als relevant erachtet wird.
Im Video zeige ich ein Beispiel aus einem kürzlichen Webinar, in dem ich kurz über ein Projekt über einen Organisationsentwicklungsprozess aus der Halbleiterindustrie berichte.
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