Neben der technischen Innovation lässt sich Innovation auch in Hinblick auf Prozesse und Geschäftsmodelle unterscheiden. Relativ neu ist der Begriff der sozialen Innovation, bei der es darum geht, etwas Neues und Nutzenbringendes für die Gesellschaft zu schaffen.
Otto Scharmer spricht in seinem neuen Buch Leading from the Emerging Future von einer weiteren Art der Innovation, die er als zentral für die kommende Zeit erachtet: Die institutionelle Innovation. Institutionelle Innovation beschreibt die Erneuerung unser nationalen und internationalen Governance-Systeme, so dass diese in die Lage versetzt werden, bei einer Lösung der den Planeten gefährdenden Probleme zu unterstützen. Im Moment sind sowohl nationale als auch internationale Regierungsinstitutionen strukturell, organisational und kulturell nicht in der Lage, wichtige, die Zukunft der Menschheit betreffende Herausforderungen anzugehen.
So viele Vorteile demokratische Staatsverfassungen auch bringen, die Regierungen werden sich immer um ihre unmittelbar anstehende Wiederwahl kümmern und auf Themen setzen, die im Moment mehrheitsfähig sind. Viele notwendige Veränderungen (z.B. in Hinblick auf den Klimawandel) können von diesen Regierungen nicht angegangen werden, weil sie unbequem sind und daher Wählerstimmen kosten könnten. Nach Scharmer sind unsere Institutionen vor allem deshalb unfähig, weil diese Systeme in Ego-Systemen und nicht in Eco-Systemen denken und handeln. Die weltweiten institutionellen Systeme sind menschengeschaffen und können daher auch von Menschen wieder verändert werden.
Drei große Brüche als Startpunkt für institutionelle Innovation
Otto Scharmer beginnt sein Buch mit einer Analyse der drei großen Brüche unseres Planeten. Diese sind ökologischer, sozialer und spirituell-kultureller Art.
Viele andere Autoren und Vordenker teilen diese Analyse. Ich habe dazu auch zwei verwandte Artikel auf diesem Blog veröffentlicht. Einmal geht es darum, wie einzelne Menschen Hebel für Veränderung sein können. Im zweiten Artikel bin ich der Frage nachgegangen, was es neben Erfindungen und Patenten für Innovaiton braucht.
Der ökologische Bruch beschreibt die Tatsache, dass wir trotz aller Anstrengungen immer mehr nicht regenerative Ressourcen verbrauchen, auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen und unseren Planeten entsprechend verschmutzen. Die „Technikutopisten“ glauben, dass man das Problem dadurch lösen könne, in dem wir einfach noch mehr High-Tech auf das Problem werfen. Damit werden wir zwar etwas effizienter, der absolute Verbrauch steigt aber trotzdem an: „all advances in increased resource efficiency have been overshadowed by the so-called rebound effect: that is, by higher levels of total output (GDP) that lead to higher absolute numbers of resource use. Today we overuse the regeneration capacity of our planet by 50 percent.“ Scharmer nennt diesen ökologischen Bruch die Trennung zwischen dem Selbst und der Natur.
Der soziale Bruch beschreibt die Tatsache, dass die Schere zwischen den Wohlhabenden und den Armen in den meisten Staaten weiter aufgeht. Dies wird auch begünstigt durch unser globales Geld- und Finanzsystem, dass für eine gigantische Umverteilung von unten nach oben sorgt (wen es interessiert, findet weitere Infos auf Monneta ). Scharmer spricht hier von der Trennung des Selbst von den anderen.
Der spirituell-kulturelle Bruch beschreibt die Trennung zwischen dem was Menschen sind und was sie sein wollen oder könnten. Salopp gesagt sind viele Menschen in Jobs, die sie nicht als sinnvoll erachten, sich aber nicht trauen auszusteigen, mangels Alternativen oder Angst vor den Konsequenzen.
Auch dieser Bruch hängt nach Scharmer mit institutionellen Rahmenbedingungen zusammen, die unsere konsumfördernde Wirtschaft, die Verteilung der Eigentumsrechte und die Repräsentation von Minderheiten betrifft.
Für Scharmer folgt daraus die Notwendigkeit einer Erneuerung unser institutionellen Rahmenbedingungen. Schön an den Vorschlägen des Buches ist jedoch, dass es nicht bei Appellen an die Regierenden bleibt a la „man müsste und man sollte mal.“ Die soziale Technologie zur Lösung wird vom Presencing Institute auch konkret angewandt:
Ein anderes Level des Bewusstseins erreichen
Trotz all der global nötigen Veränderungen beginnt die Veränderung auf einer sehr konkreten Ebene: Bei jedem Einzelnen. Die Lösung der oben beschriebenen Probleme liegt also nicht in einem effizienteren weiter so, sondern in einer Veränderung des Bewusstseins der handelnden Akteure: „The gist of this framework is simple: The quality of results produced by any system depends on the quality of awareness from which people in the system operate.“
Die Denkmodelle der Menschen beeinflussen nicht nur die soziale Realität, sondern auch unsere Zukunft, da Denkmodelle unser Handeln beeinflussen. Daher geht es für Scharmer darum, das Bewusstsein der Menschen weg von einer Ego-Zentriertheit (ich, mein Unternehmen, mein Land) hinzu einem Bewusstsein für das Eco-System zu schaffen. Dieses Verständnis sieht die Zusammenhänge zwischen mir und meinen Handlungen und den Auswirkungen auf andere und das große Ganzen.
Als Beispiele können zum Beispiel gelten die LOHA-Bewegung, die slow food und fair trade Bewegungen und das Münchner Kartoffelkombinat einer gemeinschaftsunterstützten Landwirtschaft.
Ein zentraler Hebel der Veränderung werden Unternehmen sein. Ziel muss es sein, die Auffassung, von dem was ein Unternehmen tut und was KPIs sind weiter zu entwickeln. Als zukunftsweisend sieht Scharmer hierzu Unternehmen 4.0: „4.0. companies try to serve the well-being and shared ownership of all. They are fuction as a business, and they are inspired and energized by a social mission.“ Als Beispiele nennt er hier das amerikanische BALLE, das brasilianische Unternehmen Natura, und das chinesische Unternehmen Alibaba. 4.0. Unternehmen operieren nach einer sogenannten Triple Bottom Line: Neben dem Profit müssen die Kriterien People und Planet erfüllt werden.
Prototypen für institutionelle Innovation schaffen
Aus meiner Sicht eine zentrale Herausforderung wird sein, Prototypen institutioneller Innovation zu erschaffen und zu testen. Institutionelle Innovation hat eine deutlich größere Tragweite als andere Arten der Innovation. Es wird zu einer Verschiebung von Machtverhältnissen kommen und die Konsequenzen sind alles andere als bekannt. Sicher ist nur, dass es welche geben wird und dass diejenigen, die vom Status Quo profitieren, diesen erhalten möchten.
Aus meiner Sicht, sind diese Faktoren auch ein zentraler Grund, warum sich hier so wenig tut. Ein schönes Beispiel ist die Forderung des bedingungslosen Grundeinkommens, das nun seit einigen Jahren eine immer breitere Diskussionsbasis bekommt. Die Kritiker monieren, dass es nicht finanzierbar und umsetzbar ist. Gleichzeitig gab es bisher keinen Versuch, das Konzept zu testen. Wenn es klappen würde, wären die positiven Konsequenzen ja die Mühe wert. Die Befürworter argumentieren, dass es sehr wohl finanzierbare ist und auch funktionieren würde.
Beim Prototyping solch weit reichender Veränderung können uns die Palchinski Prinzipien leiten:
- Probiere Neues aus!
- Teste es in überschaubarem Umfang, so dass Fehler verkraftbar sind.
- Hole Rückmeldung ein und lerne daraus. Versuche also nicht recht zu haben, sondern zu lernen und Anpassungen vor zu nehmen.
- Definiere Kriterien anhand derer ein Scheitern erkannt werden kann.
Ein Land, das diese Prinzipien in der Vergangenheit erfolgreich eingesetzt hat und institutionelle Prototypen geschaffen hat ist China mit seinen damaligen Sonderwirtschaftszonen Shanghai und Shenzhen, die dann als Modell für das ganze Land Anwendung gefunden haben.