Kürzlich war ich auf einer Fachtagung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur zukünftigen Innovationspolitik in China eingeladen. Die Frage der Tagung war, ob durch den Führungswechsel in China eine neue Innovationspolitik zu erwarten ist und welchen Beitrag Deutschland dazu leisten kann.
Interessant war für mich zu sehen, dass das Innovationsverständnis der meisten Tagungsteilnehmer vor allem ein technisches war. Innovation ist dabei das Ergebnis von Forschungsbemühungen in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen, die dann zu Patenten angemeldet werden. Diese Patente können nach Aussage einiger Referenten die Grundlage für den Wohlstand einer Gesellschaft darstellen, besonders, wenn es sich dabei um sogenannte Basispatente handelt, wie zum Beispiel grundlegende Patente für Verbrennungs- oder Elektromotoren. Vor dem Hintergrund, dass viele der Teilnehmer aus Forschungsinstituten kamen, ist diese Sichtweise nicht verwunderlich.
Erfindungen und Patente als begrenzte Innovationsindikatoren
In dem Artikel „Vom Sinn und Unsinn von KPIs für Innovation“ habe ich mich vor einigen Monaten schon einmal mit der Sinnhaftigkeit von Patenten als Innovationsindikator auseinandergesetzt. Die Diskussion auf der Tagung hat gezeigt, dass die Anzahl der angemeldeten Patente in Hinblick auf die Bewertung der Innovationsfähigkeit Chinas mit noch größerer Vorsicht zu genießen ist, als in Deutschland. Der chinesische Staat gibt zum Beispiel Patentquoten für Staatunternehmen vor, die jedes Jahr erreicht werden müssen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welch kreative Lösungen da gefunden werden, um diese Quoten zu erreichen und wie sinnvoll damit die Anzahl der Patente als Indikator für die Innovationskraft ist.
Andere Arten der Innovation
Für mich weit spannender ist die Frage, ob die Sichtweise von Innovation als etwas, dass sich vor allem durch Technik und Forschung bestimmt, sinnvoll ist.
Klar liefern neue Technologien oft den Ausgangspunkt für ganz neue Märkte, dennoch gibt es andere Arten von Innovation, wie Innovation auf der Ebene von Prozessen und besonders von Geschäftsmodellen die zwar oft eine Technologie beinhalten, die Technologie jedoch nur ein Baustein ist.
Hier nenne ich immer wieder die in Städten im Moment populären Car-Sharing Systeme, deren Erfolg nicht auf einer Technologie beruht, sondern auf einem neuen Geschäftsmodell, welches das Bedürfnis nach Mobilität in einer bis dato nicht dagewesenen Weise adressiert und löst. Die Technologie dahinter ist genau die gleiche, die es bereits vorher auch schon gab.
Innovation als Grundlage für Wohlstand und Wachstum?
Viele Artikel und Bücher beschäftigen sich mit Innovation. Wenn einem Autor so gar nichts einfällt, dann beginnt der Artikel mit einer Formulierung ähnlich wie „Innovation ist die Grundlage für Wachstum und damit zentrale Herausforderung für jedes Unternehmen und jedes Land…“
Für manche Länder auf diesem Planeten ist Wachstum sicherlich nach wie vor wichtig, um ein grundlegendes Wohlstandsniveau zu erreichen. In unseren Breiten, so argumentieren viele Autoren, die keineswegs als weltfremde Utopisten oder pauschale Wachstumskritiker abgetan werden können, stellt sich die durchaus Frage, ob ständiges Wirtschaftswachstum die richtige Antwort für die Zukunft sein kann und sollte?
Um nur einige dieser Bücher zu nennen:
- Prosperity without growth von Tim Jackson
- Economics of good and evil von Tomas Sedlacek
- How Much is Enough? von Robert und Edward Skidelsky
- Befreiung vom Überfluss, von Niko Paech
Aufgrund des momentanen menschengemachten Designs des Wirtschaftssystems ist Wachstum in der Tat eine Voraussetzung für das Wohlergehen von Staaten, daher gibt es einen Wachstumszwang für moderne Wirtschaften, mit all seinen Folgen für den Planeten. Allerdings ist der Wachstumzwang kein Naturgesetz, wie die Autoren der oben genannten Bücher schön herausarbeiten. Das System ist von uns entwickelt worden und kann auch verändert werden. Die Frage ist ob es Veränderung „by design“ oder „by desaster“ (Nico Paech) geben wird. Die „Technikillusionisten“, deren Innovationsverständnis ein rein technisches ist, setzen darauf, dass alles so weiter gehen wird wie bisher, nur das die Technologien umweltfreundlicher (Stichwort Energieeffizienz) werden.
Die meisten der oben genannten Autoren glauben nicht an diese These, da zwar der relative Resourcenverbrauch durch diese Technologien in der Tat weniger wird, der absolute aber weiter steigen wird.
Daher stellt sich die Frage, ob nicht in Zukunft auch eine andere Art der Innovation wichtiger werden wird: Innovation auf der sozialen oder politischen Ebene, um eine Alternative für das bisherige System zu entwickeln, so dass die Menschen heute und in weiteren Generationen in Würde auf diesem Planeten leben können. Ein im Juni erschienener Artikel in der Wirtschaftswoche „Warum wir ein falsches Bild von Innovationen haben“ hat sich ebenfalls mit der Bedeutung der sozialen Innovation beschäftigt.