Diego Rodriguez, IDEO partner und Professor des Hasso Plattner Institute of Design an der Stanford Universität schreibt den schönen Blog metacool.
In vielen seiner Artikel zu den Themen Innovation und Design Thinking verweist er auf 20 Innovationsprinzipien, mit deren Beachtung man seiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit zu Innovation zu kommen deutlich erhöhen kann. Jedes dieser Prinzipien hat Rodriguez ausführlich erklärt und mit vielen Beispielen unterfüttert. Viele dieser Prinzipien decken sich mit Elementen aus unserer Arbeit und kommen in unseren Kreativitätstrainings und Innovationsworkshops zum Einsatz. Die Lektüre dieser Prinzipien auf Rodriguez englischsprachigem Blog lohnt sich für jeden, der mit Innovation zu tun hat und Neues in die Welt bringen möchte.

Ich möchte die Prinzipien in freier Übersetzung auf Deutsch in Kürze vorstellen:

Innovationsprinzip 1: Erfahre die Welt, anstatt darüber zu reden, dass man die Welt erfahren müsse

Anstatt Marktforschungsberichte und Studien zu lesen, sollte man die Welt selbst erleben. Zusammenfassungen aus Studien sind immer mit Verlusten behaftet und liefern nicht die Erkenntnisse und Einsichten, die man beim eigenständigen Beobachten von Nutzer bekommt.

Innovationsprinzip 2: Sehe und höre mit dem Geist eines Kindes

Kinder, bevor es ihnen in der Schule abtrainiert wird, sind offen und neugierig gegenüber der Welt. Dadurch, dass sie noch wenige Beurteilungskriterien haben, die sie an Dinge anlegen, fällt Ihnen auch das divergierende Denken besonders leicht. Rodriguez betont, dass es sich dabei um eine (wieder)erlernbare Fähigkeit handelt: „Having an open mind requires one to suspend (or at least defer) judgment. This is an acquired skill.“ Eine Möglichkeit, seine Neugier zu trainieren ist es viel und vielfältig zu lesen.

Innovationsprinzip 3: Frage immer: „Wie möchten wir, dass sich die Leute fühlen, nachdem sie das erlebt haben?“

Beim Entwerfen von Erlebnissen (bei Produkten und Dienstleistungen) ist es wichtig, das gesamte Nutzererlebnis im Auge zu haben, nicht nur einen begrenzten Ausschnitt. Ein interessantes Beispiel, das er nennt ist das Erlebnis einer Trekkingtour in Bhutan im Vergleich zu einer Trekkingtour in Nepal.

Innovationsprinzip 4: Erstelle Prototypen als ob du Recht hättest. Höre zu als ob du daneben liegen würdest

Im Design Thinking Vorgehen versucht man Ideen möglichst schnell konkret erfahrbar zu machen durch das Erstellen von Prototypen. Ein Ziel des Prototypen ist es eine Antwort dafür zu bekommen, ob eine Idee funktioniert. Beim Erstellen des Prototypen geht es darum, diesen nach bestem Wissen und Gewissen zu bauen, so als wüsste man, wie die Idee richtig funktionieren wird.
Beim Testen des Prototypen mit Nutzern geht es darum, sehr offen zu sein für die Rückmeldung die man bekommt, auch wenn es nicht das ist, was man sich vielleicht als Antwort wünschen würde. Nur so lernt man und kann eine Idee verbessern.

Innovationsprinzip 5: Von allem kann ein Prototyp erstellt werden. Du kannst mit allem einen Prototypen erstellen.

Ein Satz aus Rodriguez Beschreibung drückt es schön aus: „Prototyping is the lingua franca of innovation“. Je schneller man einen Prototypen von einer Idee erstellt, egal um welche Art von Idee es sich handelt, desto schneller bekommt man ein konkretes Gespür für die Stärken und Schwächen der Idee. Man kann auch Ideen, die nicht greifbar Sinn als Prototyp darstellen, zum Beispiel, indem man Rollenspiele etc. nutzt.

Innovationsprinzip 6: Lebe dein Leben am Schnittpunkt…

…von Verlangen, Rentabilität und Machbarkeit. Gute Innovation berücksichtigt alle drei Aspekte: Das Verlagen von Menschen (was wollen wir wirklich?), die technische Machbarkeit (was lässt sich machen?) und die wirtschaftliche Rentabilität. Das Besondere am Design Thinking Ansatz ist es, das Verlangen von Menschen als Ausgangspunkt des Innovationsprozesses zu stellen.

Innovationsprinzip 7: Entwickle ein Gespür für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen der Innovation

Man kann Innovation nach dem Grad der Neuheit und Radikalität unterscheiden. So gibt es neben der inkrementellen schrittweisen Innovation, die evolutionäre (semi-radikale) und die revolutionäre (radikale) Innovation.
Diese unterschiedlichen Arten der Innovation erfordern unterschiedliche Rahmenbedingungen in Organisationen, um diese hervorzubringen. Sehr empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang das Buch „The Other Side of Innovation„.

Innovationsprinzip 8: Die meisten neuen Ideen sind es nicht

Dieses Prinzip kann ich aus eigener Erfahrung mit Kunden nur bestätigen. Es ist immer die radikal neue Wow-Idee gesucht. Oft stellen die Leute dann fest, dass es fast alles irgendwie schon gibt, oder schon einmal angedacht wurde. Damit müssen wir leben! Ideen, die noch nie vorher gedacht wurden, sind äußerst selten.
Wichtig ist nun zu verstehen, dass eine Idee haben und eine Idee wirklich zur Umsetzung zu bringen zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Die eigentliche Innovationsleistung steckt meist nicht in der Idee, sondern in der Arbeit von dieser Erst-Idee zu einer konkreten Lösung zu kommen. Und diese Schritte des Innovationsprozesses bedürfen einer Menge Kreativität!

Innovationsprinzip 9: Gute Ideen zu verwerfen ist eine gute Idee

Es gibt zwei große Stolpersteine auf dem Weg zu Innovation. Ideen zu schnell zu verwerfen („das geht nicht“ oder „das haben wir noch nie so gemacht“) und sich zu schnell in Ideen zu verlieben und damit zu schnell an einer Idee festzuhalten und nicht mehr offen zu sein, für andere möglicherweise noch bessere Ideen. Aus diesem Grund kann es gut sein Ideen, die Liebe auf den ersten Blick darstellen, zu verwerfen, um nach noch besseren Lösungen zu suchen.

Innovationsprinzip 10: Babyschritte führen oft zu großen Sprüngen

Statt im Innovationsprozess große Sprünge zu machen, kann es sinnvoll sein, Aufgaben in kleine einfache Schritte herunterzubrechen. Nach jedem Babyschritt ist nämlich eine Anpassung und Veränderung des Kurses möglich. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit in die richtige Richtung zu gehen. Viele kleine und günstige Iterationen sind besser als ein großer „durchdachter“ Wurf.

Innovationsprinzip 11: Jeder benötigt Zeit zum innovieren

Dieses Prinzip weißt auf zwei wichtige Aspekte hin. Einmal die Tatsache, dass Innovation Zeit benötigt. Zeit ist das was die meisten Menschen in Unternehmen empfinden nicht zu haben, wie wir von creaffective in einer Umfrage herausgefunden haben. Je höher der Radikalitätsgrad einer Innovation sein soll, desto mehr Zeit wird benötigt.
Der zweite Aspekt, der in diesem Prinzip steckt ist, dass Innovation nicht nur Aufgabe von bestimmten Leuten im Unternehmen ist, sondern jeder – egal ob unten oder oben – zur Innovationskraft beitragen kann.

Innovationsprinzip 12: Anstatt zu managen, versuche zu kultivieren

Dieses Prinzip richtet sich an Führungskräfte.
Managen ist nach Rodriguez Definition das Vorgeben von Dingen. Das ist es jedoch nicht, was Innovation hauptsächlich benötigt. Innovation benötigt also weniger Innovationsmanagement und dafür mehr Innovationskultivierung. Unter Kultivierung versteht Rodriguez, die Rahmenbedingungen und Ressourcen so zu gestalten, dass die Kreativität der Leute zum Tragen kommen kann und Innovation möglich wird. Dies beinhaltet, um im Bild des Gärtners zu bleiben, die gegenseitige Bestäubung von Innovations-Pflänzchen zu ermöglichen, sowohl von Ihnen als auch von außen.

Innovationsprinzip 13: Mache alles richtig und du wirst trotzdem Scheitern

Innovation, definiert als das Einführen von etwas Neuem, schließt auch immer die Möglichkeit ein zu Scheitern. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass man scheitert, denn es handelt sich bei Innovation ja oft um etwas Neues, bisher nicht Dagewesenes. Erfahrungswerte aus der Vergangenheit sind da nicht unbedingt verlässlich. Wichtig sei es nun aus diesen Erfahrungen zu lernen und diese nicht zu verdrängen oder zu vertuschen.

Innovationsprinzip 14: Fehler sind unangenehm aber lehrreich

Dieses Prinzip schließt an das vorherige an. Keiner macht gerne Fehler oder scheitert gerne. Aber wenn man schon Fehler macht, dann sollte man diese wenigstens dazu nutzen, um daraus zu lernen. Dazu bedarf es eines entsprechenden Mindsets, das man kultivieren kann.

Innovationsprinzip 15: Feiere Fehler, die durch Tun zustande kommen. Merze Fehler des Unterlassens aus.

Wenn Menschen Dinge tun, werden Fehler passieren. Fehler sind fast nicht zu vermeiden. Besonders im Hinblick auf Innovation trifft dies zu. Ein viel schlimmerer Fehler, als zu Handeln ist es, nichts zu tun (aus Angst vor Fehlern). Deshalb sollte man durchdachtes und mutiges Handeln, obwohl es zu Fehlern geführt hat, belohnen!
In unseren Kreativitätstrainings bringe ich immer das Beispiel der indischen Firma Tata die einen Preis für den Fehler des Jahres vergibt. Damit soll das mutige und durchdachte Handeln eines Teams belohnt werden, die bewusst ein Risiko eingegangen sind, um zu Innovation zu kommen, dabei aber gescheitert sind. In der Beschreibung der Auszeichnung bei Tata heißt es dazu: „Wir alle wissen, dass intelligente Fehler von heute, die Bausteine für die Erfolge von morgen sind.“

Innovationsprinzip 16: Verstehe die Zusammensetzung von Teams

Innovation ist eine Team-Leistung. Die Zeiten des genialen Denkers im stillen Kämmerchen sind vorbei. Daher ist es wichtig, Innovationsteams richtig zusammen zu stellen. Diese sollten aus Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Fachrichtungen bestehen, sich trotzdem fachlich auskennen und ein Verständnis bzw. eine gemeinsame Sprache in Hinblick auf Kreativprozesse sprechen.

Innovationsprinzip 17: Es sind nicht die Jahre, sondern die Anzahl der zurückgelegten Kilometer, die zählen

Dieses Prinzip ist sehr spannend.
Es gibt Situationen mit geringer Varianz, wo es darauf ankommt, immer die gleichen Aktionen nach einem bestehenden Standard sicher auszuführen. Dazu gehören zum Beispiel das Fliegen eines Flugzeuges oder die Durchführung einer Herz-OP. Je länger ein Mensch bereits Übung in immer der gleichen Situation hat, desto besser und sicherer wird er diese vermutlich bewältigen. Hier zählen Jahre.
Bei Innovation handelt es sich um Situation mit hoher Varianz. Hier geht es nicht um immer die gleichen Aktionen, die einem Standard folgen, sondern stets um etwas Neus und Unbekanntes. Hier nutzt eine Anzahl an Jahren Erfahrung in einem Feld per se erst mal wenig. Hier ist es relevanter, wie viele Erfahrung jemand im Prozess der Innovation hat, das wie oft jemand bereits etwas Neues in die Welt gebracht hat. Die Anzahl der zurück gelegten Innovations-Kilometer spielt die wichtigere Rolle. Rodriguez bringt das schöne Beispiel, dass ein 26 jähriger Ingenieur der mehrmals pro Jahr einen Rennwagen verändern musste mehr Innovations-Kilometer zurück gelegt hat, als ein Ingenieur mit 20 Jahren Berufserfahrung, der in dieser Zeit an der Einführung von drei Fahrzeugserien beteiligt war.

Innovationsprinzip 18: Lerne den Haarball in eine Umlaufbahn zu bringen

Da gibt es sicher bessere Übersetzungen.
Innovation, besonders die ersten Schritte des Prozesses sind eine haarige Angelegenheit, geprägt durch große Unklarheit, großes Durcheinander, wenig Struktur und vielen Mehrdeutigkeiten. Dies ist Teil des Innovationsprozesses. Hier passiert viel Ungeplantes und der Zufall spielt eine Rolle. Diesen Zustand muss man akzeptieren und aushalten. Man sollte nicht versuchen, hier zu schnell Struktur oder Standards hineinzubringen, da man sonst zu schnell in eine Richtung (vermutlich die falsche) festgelegt ist. Auch hier kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass sich viele Menschen in dieser Situation sehr unwohl fühlen und den erst besten Strohhalm greifen, der Stabilität und Richtung verspricht.

Innovationsprinzip 19: Habe eine Meinung

Auch dies kann ich aus eigener Erfahrung in der Moderation von Innovationsworkshops bestätigen: Im Laufe des Innovationsprozesses muss man sich von vielen „tollen“ Ideen trennen. Man generiert zwar viele, das heißt jedoch nicht, dass man alle berücksichtigen kann. Obwohl es darauf ankommt, Idee nicht vorschnell zu verwerfen und sich nicht zu schnell in Ideen zu verlieben, kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo man das Wichtige vom Unwichtigen trennen muss und eine Meinung dazu haben muss, was wichtig und was unwichtig ist.

Innovationsprinzip 20: Sei außergewöhnlich

„Great things come from a total, unwavering commitment to being remarkable.“ In Innovationsprojekten ist es von den Beteiligten wichtig, Willen und Leidenschaft für das Projekt zu zeigen. Nur so kann nach Rodriguez Integrität in Menschen entstehen zu seinen Werten und Vorgehensweisen zu stehen, auch gegen Widerstände. Ohne diesen Willen, das überzeugt sein und die Leidenschaft wird man den steinigen Weg der Innovation vielleicht nicht gehen: „If your boss doesn’t understand your desire to ship something mind-blowing, she may not get why you are „wasting“ valuable project schedule sitting out in a shopping mall, just watching people.“

Wer tiefer einsteigen möchte, dem kann ich die Lektüre der Prinzipien im Original nur empfehlen.