Innovation bedeutet für die meisten Unternehmen neue Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. In den letzten Jahren rückt das Thema Geschäftsmodellinnovation stärker in den Fokus, da in vielen gesättigten Märkten über Produktinnovation alleine begrenzt Fortschritte erzielt werden kann.
Schon lange gibt es in vielen Unternehmen ebenfalls eine Kultur der kontinuierlichen Prozessverbesserung. Diese Anstrengungen beziehen sich meist darauf zum Beispiel Produktionsprozesse noch effizienter zu gestalten.
Ein Aspekt in Unternehmen ist interessanterweise seit über 200 Jahren im Prinzip unverändert geblieben: Das Organisationsprinzip des Unternehmens an sich. 98% aller Firmen sind traditionell hierarchisch organisiert mit einer formalen Betriebshierarchie und nach oben hin zunehmenden Entscheidungsbefugnissen und Gestaltungsmöglichkeiten.
Ebenfalls verändert haben sich die Einstellungen und Werte vieler in Unternehmen arbeitender Menschen. Besonders die sogenannten Generationen Y und Z haben oft andere Vorstellungen von Arbeit als die älteren Semester. Sinnstiftendes, selbstständiges Arbeiten mit vielen individuellen Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten sind für viele nicht nice-to-have sondern must-have.
Traditionell hierarchisch organisierte Unternehmen sind für die oben skizzierten Veränderungen schlecht vorbereitet und stoßen an ihre Grenzen. Trotzdem ändert sich im Großen und Ganzen bei den meisten Firmen hier wenig.
Unternehmen anders organisieren
Einige wenige Firmen funktionieren seit Jahrzenten bereits anders, wie zum Beispiel Semco aus Brasilien (demokratisch organisiert) und Gore oder Morning Star (selbstorganisiert).
Gefühlt nehmen in den letzten Jahren jedoch Formen der Selbstorganisation in Unternehmen zu, besonders bei kleinen und mittelgroßen Firmen. Selbstorganisation bedeutet, dass es keine pyramidenförmige Betriebshierarchie gibt, sondern entweder gar keine Hierarchie oder fluide Hierarchien mit verteilter Entscheidungsgewalt.
Einige Firmen experimentieren dabei mit selbst entwickelten Lösungen, andere wiederum nutzen etablierte und kodifizierte Alternativen. Eine dieser Alternativen ist Holacracy, ein System über das ich vor zwei Monaten bereits einen Artikel verfasst habe.
creaffective hat ungefähr zu dieser Zeit beschlossen, dass wir Holacracy als System der Unternehmensorganisation und Entscheidungsfindung bei uns einführen möchten. Diese Woche fand unser Kick off statt und wir haben offiziell den Schalter umgelegt. Nun stehen die ersten Gehversuche an.
Warum Holacracy?
Als Beratungsunternehmen, welches andere Firmen dabei unterstützt, Kreativität in der Organisation, in Teams und in Individuen zu fördern, wollen wir natürlich selbst Neues wagen und hatten daher einfach auch Lust, diese relativ neue Form für uns auszuprobieren, zu verstehen und zu leben. Mittelfristig wird sich daraus für uns vielleicht ein weiteres Feld entwickeln, wie wir unsere Kunden unterstützen können, eine Organisationsstruktur zu entwickeln, die Kreativität fördert.
Wir vollziehen diese Umstellung jedoch nicht nur aus Spaß, sondern noch wichtiger sind uns andere Aspekte, die Holacracy als Form der Organisation unterstützt:
- Klarheit in Tätigkeiten, Abläufen und Zuständigkeiten
In Holacracy werden alle Rollen und Verantwortlichkeiten genau definiert und sind für alle einsehbar. - Schnelle Entscheidungsfindung
Viele Entscheidungen können Menschen, die eine bestimmte Rolle einnehmen eigenverantwortlich treffen, ohne dafür um Erlaubnis fragen zu müssen. Es gibt außerdem speziell definierte Prozesse, wie Entscheidungen getroffen werden, die sehr viel Struktur und Geschwindigkeit reinbringen. - Mehr Kreativität, durch mehr Freiheit
Innerhalb ihrer definierten Rollen sind Menschen sehr frei zu bestimmen, wie sie ihre Arbeit erledigen. Diese Freiräume sorgen dafür, dass Menschen ihre Kreativität einbringen können und mit höherer Wahrscheinlichkeit auch wollen. - Hohe Veränderungsfähigkeit der Organisation
Es gibt den schönen Spruch, dass Menschen sich nicht gegen Veränderung sperren, sie lediglich nicht verändert werden wollen. Holacracy ermöglicht es jedem Menschen im Unternehmen für notwendig erachtete Veränderungen in der Organisationsstruktur und in den Prozessen zu adressieren und zu initiieren. Mit Holacracy können kleine Veränderungen der Organisationsstruktur im Wochenrhythmus durchgeführt werden. Damit entfallen große und schmerzhafte Reorganisationen. Statt alle paar Jahre groß zu verändern, wird in kurzen Abständen klein geändert.
Risiken von Holacracy
Holacracy ist ein Werkzeug, um sehr effektiv im Unternehmen (operativ) und am Unternehmen (strukturell) zu arbeiten. Ein Prinzip von Holacracy ist es in Rollen zu denken und die Rolle vom Menschen, der die Rolle ausfüllt, zu trennen.
Dies kann jedoch zu Konfliktpotenzial zwischen Menschen führen. Holacracy an sich bietet wenig Möglichkeiten, diese Art von Spannungen zu adressieren, da es sich rein auf Inhalte und Strukturen konzentriert. Gleichzeitig gibt es niemanden (wie in hierarchischen Unternehmen), der ein Machtwort sprechen könnte. Mit diesen wahrscheinlichen Herausforderungen muss ein Unternehmen umgehen und die Menschen im Umgang damit schulen.
Unser Coach sagte den Satz „Holacracy is an adults’ game“. Ein weiteres Risiko bei der Einführung von einem System der Selbstorganisation ist, dass diese Art des Arbeitens nicht zu jedem Menschen passt. Es mag Menschen geben, die anderen Menschen gerne sagen möchten, was sie wie zu tun haben und wiederum andere, die gesagt bekommen möchten, was sie zu tun haben. Beide werden sich mit dem Prinzip der Selbstorganisation schwer tun. Führungskräfte, weil sie in vielerlei Hinsicht entmachtet werden und bisher machtlose Menschen, weil sie plötzlich Entscheidungshoheit bekommen und für ihre Entscheidungen plötzlich Verantwortung übernehmen müssen.
Ich persönlich bin sehr gespannt auf die nächsten Monate und unsere Entwicklung. Gleichzeitig haben wir auch in der Vergangenheit nicht „traditionell“ gearbeitet, so dass uns der Übergang hoffentlich leichter fallen wird.