In unserem neuen Buch „Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation“ stellen wir als eine Technik der Ideenentwicklung die Fluchtmethode vor. Teil der Fluchtmethode ist es, Grundannahmen zu etwas Bestehendem bewusst in Frage zu stellen. Dann stellt man sich die provozierende Frage, wie eine Lösung aussehen müsste, bei welcher eine Grundannahme nicht mehr gültig ist.

Für die Arbeitswelt könnten einige Grundannahmen, die die meisten Menschen in Deutschland als gegeben hinnehmen wie folgt lauten:

  • Unternehmenserfolg bedeutet, dass Umsatz und Wachstumszahlen stimmen.
  • Berufstätige mit kleinen Kindern können ihre Kinder nicht mit an den Arbeitsplatz bringen.
  • Unternehmen sind hierarchisch organisiert.
  • Handlungen der Mitarbeiter müssen von der Unternehmensführung kontrolliert werden.
  • Mitarbeiter, die eine bestimmte Position inne haben möchten, müssen die geforderten Voraussetzungen dafür erfüllen.
  • Die Mitarbeiter müssen sich den Erfordernissen der Organisation anpassen.

Wie müssten Unternehmen aussehen, in welchen alle diese Grundannahmen nicht gelten? „Utopisch“, „unmöglich“ oder „geht nicht“ werden nun vielleicht manche Leser denken. Auf der gestrigen Veranstaltung „Neue Arbeitswelten“ im Rahmen des Münchner Klimaherbst 2014 wurden einige Unternehmen vorgestellt, in welchen diese Grundannahmen tatsächlich nicht gelten und für die das völlig normal ist.

An dem zweistündigen, von Hermann Sottong moderierten, überhaupt nicht kontroversen Gespräch, nahmen teil:

  • Helmut Lind (Vorstandsvorsitzender Sparda-Bank München eG)
  • Regina Kapsner (Initiatorin „Rockzipfel e.V.“)
  • Uwe Lübbermann (Geschäftsführer Premium Cola)
  • Sven Franke (Initiator Film-Projekts „Augenhöhe“)
  • Detlef Lohmann (Geschäftsführer allsafe Jungfalk GmbH & Co. KG)

Alle Diskutanten sind selbst Teil von „Unternehmensperlen“, die Richtungen und Wege in eine neue, wieder mehr am Menschen orientierte Arbeits- und Unternehmenswelt aufzeigen. Diese wenigen Unternehmen stellen den positiven Gegenpol dar zu einer lediglich an Zahlen orientierten Unternehmenswelt, die mit Druck und Kontrolle arbeitet, wie im Film „work hard play hard“ porträtiert.

Ein anderes Erfolgsverständnis

Gemeinsam war allen teilnehmenden Unternehmensvertretern ein anderes Verständnis von Unternehmenserfolg. Kundenzufriedenheit und ein finanziell tragfähiges Konzept sind dabei wichtige Bewertungskriterien, ob ein Unternehmen stabil weiter existieren kann, spielen jedoch nicht die Hauptrolle. Besonders die Frage, ob ein Unternehmen wächst und hohe Profite macht, ist zweitrangig. Ob eine Firma oder eine Organisation erfolgreich ist, hängt davon, ob die in einem Unternehmen arbeitenden Menschen Sinn und Erfüllung in ihrer Arbeit sehen und ihre Stärken und Talente in die Organisation einbringen können. Erfolgreich ist ein Unternehmen dann, wenn es „die Potenziale aller Mitarbeiter zusammenfassen kann“, wie Sven Franke es ausdrückte. Für Detlef Lohmann von der allsafe Jungfalk GmbH war der große wirtschaftliche Erfolg seines früheren Arbeitgebers sogar Auslöser dafür, die bewusste Entscheidung zu treffen, es anders zu machen. Lohmanns früheres Unternehmen war wirtschaftlich sehr erfolgreich, dennoch war ein Großteil der Mitarbeiter unzufrieden und unerfüllt.

Mitarbeiterführung vom Menschen her denken

In den gestern vorgestellten Unternehmen gibt es keine Human Resources Abteilungen. Es gibt Abteilungen, die sich um die Mitarbeiter kümmern, ähnlich wie es eine HR-Abteilung tut, nur wird schon im Sprachgebrauch darauf wert gelegt, dass es sich nicht um menschliche Ressourcen handelt, über die man wie Maschinen disponieren und optimieren kann. Statt dessen ist die Organisation zuerst an individuellen Menschen ausgerichtet. Es wird zuerst auf die Person und ihre Stärken und Talente geachtet und dann die Arbeit und die Organisation an diese Menschen angepasst und nicht anders herum. Helmut Lind erzählt die Geschichte seiner heutigen Vorstandsassistentin, die keine der damals für die Stelle geforderten Kriterien erfüllte, aber eine große Gabe für das Formulieren von Texten und Berichten hat. Aufgrund dieser besonderen Fähigkeit erhielt sie die Stelle und sorgt nun für außerordentliche Ergebnisse.

Führungskräfte als Moderatoren

Wenn es überhaupt noch Führungskräfte im traditionellen Sinne gibt, dann begreifen diese sich als diejenigen, die den Rahmen schaffen dafür, dass andere erfolgreich sein können. Dies bedarf einer Menge Vertrauen, Menschen Freiheit und Autonomie für ihr Handeln zu geben. Bei allsafe Jungfalk gibt es zum Beispiel keine Unterschriftenmappen für die Geschäftsführung mehr. Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit, eine Anlage für eine halbe Million selbst zu bestellen. Diese Freiheit sorge auch dafür, dass Menschen ihre Verantwortung ernst nehmen. Gleichzeitig, gibt es im Unternehmen Strukturen, die dafür sorgen, dass eine Maschinenbestellung noch einmal durch die Buchhaltung läuft und eine zweite Person drüber schaut.
Uwe Lübbermann Geschäftsführer der Firma Premium Cola begreift seine Rolle in dieser sehr ungewöhnlichen Firma als Moderator, da alle Entscheidungen im 100% Konsens getroffen werden: „Ich habe meine Sache gut gemacht, wenn ich nicht alleine entscheiden muss“.

Erfolgsfaktoren der neuen Arbeitswelt

Sven Franke begleitete für sein Filmprojekt Augenhöhe fünf dieser „Unternehmensperlen“ über einen längeren Zeitraum, um deren Funktionsprinzipien besser zu verstehen.
Bei aller Unterschiedlichkeit, gibt es gemeinsame Erfolgsfaktoren, die all diese Firmen auszeichnen:

  • Es gibt eine gemeinsame Vision, die Vertrauen und Richtung schafft.
  • Es gibt eine Kohärenz von Werten und Glaubenssätzen im Führungskreis des Unternehmens.
  • Profit ist nie Ziel, sondern ein Nebeneffekt.
  • Mitarbeiter werden als Mensch in ihrer Einzig- und Andersartigkeit betrachtet. Es geht nicht darum, Menschen zu standardisieren.
  • Den Menschen wird Vertrauen entgegen gebracht, Kontrolle wird reduziert.
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Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder so machen würde?

Diese Frage bildete den Abschluss der Diskussion.
Die anwesenden Firmenvertreter waren der Meinung dass eine hochranginge Person im Unternehmen hier bereits einen großen Unterschied machen kann und eine Art Bewegung auslösen kann. Hier liegt dann wohl auch der Knackpunkt. Diese Person, muss einen gewissen Einfluss haben, um Veränderungen auslösen zu können.

Sven Franke hofft mit seinem Projekt „Augenhöhe“ bald Material für Schulen entwickeln zu können, so dass die „Firmen dann gar nicht mehr anders könnten, als sich zu wandeln“, weil junger Mitarbeiter ein anderes Arbeiten verlangen werden, ähnlich wie dies jetzt mit der Generation Y in bestimmten Aspekten deutlich wird.

Vertreter der harten, von Sachzwängen und Zahlen dominierten Wirtschaft würden die meisten der oben genannten Aspekte wohl als Wunschdenken und irrelevantes Gefasel abtun.
Es ist schön zu sehen, dass es andere Unternehmen gibt, dass diese erfolgreich sind und dass es Alternative Modelle zu einem angeblich „alternativlosen“ System gibt.