In einer Organisation erfolgreich Ideen entwickeln und Lösungen umsetzen ist ein langfristiges Unterfangen. Es braucht nicht nur Kreativität und Inspiration, sondern auch Geduld und Hartnäckigkeit. Vor allem aber brauche ich eine solide Vorgehensweise, mit der ich immer wieder neue Herausforderungen angehen kann. Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl an Methoden und Werkzeugen, auf die wir zurückgreifen können.

Grundlagen der Ideenentwicklung

In meiner Arbeit als Innovation Coach bin ich oft in der Rolle eines Facilitators tätig. In dieser Rolle begleite ich einen Innovationsworkshop als Prozessmoderator und helfe damit einer Gruppe von Experten bei der Entwicklung von neuen Lösungen – ohne mich inhaltlich zu beteiligen. Auch im Rahmen unserer Innovationsberatung findet oft eine moderierte Lösungsfindung statt, die wir auch als Facilitator begleiten.

Im März 2013 fand mit unserem Kunden ProSiebenSat.1 Media AG ein Innovation Camp statt. Im Rahmen dieses Camp-Formats entwickeln wir in einer gesetzten Anzahl an Tagen – in unserem Fall 10 Tage – ganz konkrete Lösungen auf Herausforderungen des Kunden. Dabei nutzen wir einen Co-Creation Ansatz. Das bedeutet, dass das Camp neben 6 Vertretern des Kunden auch aus 3 Vertretern von creaffective besteht, die zusammen durch den Innovationsprozess laufen und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Wir denken, dass diese Mischung aus internen Fachexperten und externen Beratern mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass wirklich neue Lösungen entwickelt und auch umgesetzt werden.

Für uns von creaffective bringt das die Herausforderung mit sich, nicht mehr die alleinige Moderationshoheit zu haben, sondern Teil der Gruppe zu sein. Für mich gab es während des letzten Camps ein paar Erlebnisse, die mir noch einmal die elementare Bedeutung der Grundlagen des kreativen Denkens deutlich gemacht haben. Die Beachtung dieser Grundlagen – auch trotz Widerständen – entscheidet darüber, wie effektiv ein Innovationsprozess läuft und vor allem was heraus kommt: „How you innovate determines what you innovate“ (aus dem Buch Making Innovation Work).

Ideen im Unterschied zu Lösungen und Prototypen

Prozessmodelle des kreativen Denkens und der Innovation wie Creative Problem Solving oder Design Thinking unterscheiden zwischen der Entwicklung von Ideen und der Entwicklung von Lösungen (so benannt im Creative Problem Solving) oder Prototypen (im Sprech des Design Thinking). Beide Begriffe meinen essenziell das gleiche. Zuerst findet immer der Schritt der Entwicklung von Ideen statt, dann folgt der Schritt der Weiterentwicklung hin zu Lösungen oder Prototypen.

Bei Ideen handelt es sich um grobe und relativ einfache mentale Bilder, wie ein Problem gelöst werden könnte bzw. eine Frage beantwortet werden könnte.
Lösungen oder Prototypen bezeichnen schon sehr konkrete Vorstellungen, wie genau ein Problem gelöst werden könnte. Ideen wollen wir sehr viele. Quantität erhöht die Wahrscheinlichkeit auf Qualität. Dabei sind die Ideen bewusst oberflächlich gehalten, da es darauf ankommt, erst einmal möglichst viele Optionen in der Breite anzudenken. Bei der Entwicklung von Lösungen wiederum geht es darum, basierend auf einigen wenigen ausgewählten Ideen ausführliche detaillierte und tiefgehende Konzepte zu entwickeln, wie ein Problem konkret gelöst werden könnte.

Bei der Ideenentwicklung ist es gut möglich, dass wir in einer Stunde hunderte von Ideen generieren. Bei der Erarbeitung von Lösungen sitzt eine Gruppe möglicherweise zwei Tage an der Ausgestaltung von nur einer Lösung (wie bei uns im Camp geschehen).

Ideenentwicklung ist wie das Bohren von vielen nicht sehr tiefen Löchern, wohingegen das Entwickeln von Lösungen mit dem Bohren von einigen wenigen, aber tiefen Löchern vergleichbar ist. Zentral ist dabei, dass erst mit dem Bohren der tiefen Löcher begonnen wird, wenn vorher eine Vielzahl an Löchern probegebohrt wurde.

Trennung von divergierendem und konvergierendem Denken

Obwohl die beiden Schritte Ideen erkunden und Lösungen entwickeln vom Charakter her ziemlich unterschiedlich sind, leben jedoch beide von der bewussten Trennung von divergierendem und konvergierendem Denken. Es werden immer zuerst Möglichkeiten angedacht, ohne diese zu bewerten (divergieren). Dann werden auf positiv wertschätzende Weise zielgerichtet Optionen ausgewählt (konvergieren), ohne zu schnell voreilig Ideen zu verwerfen (avoiding premature closure). Diese bewusste Trennung von divergierendem und konvergierendem Denken und die mit den beiden Denkarten verbundenen Grundregeln sind intellektuell einfach zu verstehen und wirken geradezu banal. Regelmäßig Leser dieses Blogs sind vielleicht schon davon genervt, dass ich das Thema so oft auf die Agenda bringe. Andererseits ist genau dieser Aspekt in der Umsetzung eine sehr herausfordernde lebenslange Übung, in der man nie perfekt sein wird, aber jeden Tag besser werden kann. Diese Trennung im Kopf bewusst vorzunehmen ist für mich ein zentraler Aspekt eines Mindsets von Innovatoren. Ob dieses Prinzip den einzelnen Teilnehmer eines Innovationsprozesses wirklich gelingt, ist aus meiner Erfahrung der entscheidende Erfolgsfaktor für den Erfolg.

Diskussionsstil als die gewohnte Denkweise vieler Menschen

Edward de Bono hat schön herausgearbeitet, dass das aus der griechischen Naturphilosophie abgeleitete Vorgehen einer Diskussion mit den Elementen These – Antithese und Synthese – der Art und Weise entspricht, wie die meisten Menschen in unseren Breiten der Gewohnheit nach denken und arbeiten. Hier findet allerdings die Trennung zwischen divergierendem und konvergierendem Denken gerade nicht statt. Wie de Bono sagt, ist auch diese Art des Denkens wichtig und hat ihre Berechtigung (sogar in Innovationsprozessen). Der Diskussionsstil ist dabei jedoch nur eine von mehreren Arten des Denkens. Sowie ein Auto vier Reifen hat, braucht es auch verschiedene Arten des Denkens. Das Diskussionsmuster ist nur eine Art und für Innovationsprozesse eine meist unpassende Art. Das generative und kreative Denken mit der Trennung von divergierender und konvergierender Phase stellt ein anderes Muster da, für Innovationsprozesse das wichtigere.

Ideen nicht zu schnell verwerfen

Für mich war während unseres Innovation Camps der Schritt der Entwicklung von Lösungen oder Prototypen noch einmal eine wichtige Erinnerung für die Bedeutung der oben genannten Prinzipien. Der Schritt der Lösungsentwicklung hat oberflächlich Ähnlichkeiten mit dem Diskussionsprinzip, da wir auch hier sehr fokussiert und in einem engeren Rahmen an einer konkreten Lösung arbeiten. Diese Ähnlichkeit kann dazu führen, dass eine Gruppe schnell wieder in den gewohnten Diskussionsmodus gerät, in dem auf eine These schnell eine Antithese folgt. Dies wiederum kann dazu führen, dass eine Gruppe eine Idee bei Schwierigkeiten zu schnell verwirft und nicht lange und hartnäckig genug dran bleibt. Dies deshalb, weil wir zu schnell die Probleme und Schwierigkeiten der Idee in den Fokus nehmen zu wenig in Möglichkeiten denken, wie die Idee konkret realisiert werden könnte. Dabei ist es gerade jetzt wichtig in vielen Möglichkeiten zu denken (zu divergieren), wie diese eine Idee konkret aussehen könnte. Im Unterschied zur Ideenentwicklung bewegen wir uns jedoch hier in einem relativ engen Rahmen und zwar dem von nur einer Idee.

Für mich war es sehr spannend zu erleben, wie die Gruppe einige Male an der Klippe stand, eine Idee zu schnell zu verwerfen und wir uns wirklich zwingen mussten, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, die scheinbar nicht machbare Ideen doch zu realisieren. Das hartnäckige Dranbleiben hat sich sehr gelohnt. Von den Lösungen sind sowohl die Gruppe als auch die Auftraggeber beim Kunden begeistert.