Wenn in Firmen das Wort Design verwendet wird, dann haben viele Menschen die Assoziation der Designer als derjenigen, die ein technisches Konzept am Ende hübsch machen, so dass es optisch attraktiv ist.
Dies ist ein Verständnis von Design, nach Roberto Verganti, dem Autor des Buches Design Driven Innovation, eine viel zu eng und zu kurz gegriffene Definition.

Eine weitere Auffassung des Designs, die aber ebenfalls zu kurz greift, ist die dem Prozessmodell des Design Thinking zugrunde liegende Definition: Hier wird Design vor allem als nutzerzentriert betrachtet. Durch die genaue Beobachtung und dem Verständnis von Nutzern, werden Innovationsstoßrichtungen abgeleitet, die im nächsten Schritt mit originellen Ideen beantwortet werden. Das Design Thinking argumentiert dabei, dass damit Produkte und Dienstleistungen entstehen, die die (teilweise nicht bewussten) Bedürfnisse der Nutzer wirklich adressieren und befriedigen. Für Verganti führen Herangehenweisen wie das Design Thinking mit seinem nutzerzentrierten Ansatz lediglich zu inkrementellen Verbesserungen des bereits Bestehenden.

Damit ist auch das Design Thinking nach Verganti zu kurz gedacht. Er orientiert sich an der Definition des Designers als jemand, der „Dingen Sinn und Bedeutung gibt“ (making sense of things) und bewusst (!) neue Bedeutungen schafft und diese Bedeutungen in Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle gießt. Dadurch unterscheidet sich Design-getriebene Innovation vom nutzerzentrierten Ansatz. Der nutzerzentrierte Ansatz verstärke eine bestehende Bedeutung lediglich, schaffe aber keine neuen Bedeutungen.
Ein Beispiel ist es, die Bedeutung einer Lampe nicht nur als etwas zu sehen, das Licht ins Dunkel bringt, sondern z.B. eine neue Bedeutung in eine Lampe zu geben, als etwas, das eine Wohlfühlstimmung erzeugt. Basierend auf dieser anderen Bedeutung einer Lampe hat die Firma artimede aus Italien die metamorfosi „Lampe“ auf den Markt gebracht, die sich radikal von anderen Lampen unterscheidet, weil mit metamorfosi ein völlig anderer Sinn adressiert wird.

Diruptive Innovation verbindet eine neue Technologie mit einer neuen Bedeutung

Unternehmen, die einen pull-Ansatz in Ihrer Innovationsstrategie verfolgen, orientieren sich an dem was im Moment am Markt gefragt ist oder was die Technologie hergibt. Dadurch entstehen inkrementelle Innovationen, die sich sehr nah am bereits bestehenden bewegen und den Firmen nur begrenzte Innovationsvorteile bringen.

Bereits radikaler (auch semi-radikal genannt) ist der Ansatz des Technology-push. Hierbei wird eine neue Technologie in den Markt eingeführt, die dem jeweiligen Unternehmen einen Technologievorsprung bringt. Nach Verganti betreiben die meisten Unternehmen allerdings lediglich eine Technologie-Substitution ohne dabei die Bedeutung eines Produktes zu verändern. So wird aus einem Röhren-Fernseher ein Plasma- oder ein LCD-Fernseher, die Bedeutung des Fernsehers verändert sich jedoch nicht. Es wird „lediglich“ eine bestehende Technologie durch eine neuere Technologie ersetzt.
Einen wesentlich durchschlagenderen Erfolg haben die Unternehmen, die zeitgleich mit einer neuen Technologie auch eine neue Bedeutung eines Produktes in den Markt einführen. Der Knackpunkt liegt nun darin, dass diese neue Bedeutung nicht unbedingt offensichtlich ist, sondern dass diese neue Bedeutung entdeckt oder geschaffen werden muss. Und dazu benötigt es Designer. Wenn nun also bereits mit dem Aufkommen einer neuen Technologie auch eine neue Bedeutung geschaffen werden soll, dann wird klar, dass die Designer nicht erst am Ende des Innovationsprozesses zum Einsatz kommen, um das Produkt aufzuhübschen, sondern bereits ganz am Anfang, teilweise bereits in der Grundlagenforschung!

Zwei Beispiele für solche Kombinationen aus neuer Technologie und neuer Bedeutung (diese beschreibt Verganti in seinem Buch ausführlich):

  • Swatch
Quelle: http://de.wikipedia.org

Hier wurde die neue Technologie der Quarz-Uhren mit einer neuen Bedeutung versehen. Anstelle der Uhr als reines Zeitmessinstrument (wie es die japanischen Uhrenhersteller vertraten) oder als Luxusobjekt (wie es die schweizer Hersteller vertaten) hat swatch aus einer Uhr eine Modeassecoire gemacht. Wie Hemden oder Armbänder kann man sich nicht nur eine swatch-Uhr, sondern viele swatch-Uhren kaufen (was der Preis auch erlaubt) und je nach Stimmung und Style eine andere Uhr tragen. Diese neue Bedeutung war vorher nicht im Markt vorhanden, war aber genau das, worauf viele Menschen gewartet hatten.

  • Nintendo Wii
    Hier wurde die neue Technologie der Bewegungssenoren (MEMS Accelerometer) mit eine neuen Bedeutung von Spielkonsole verknüpft. Anstelle des daumengestützten Eintauchens in eine künstliche Welt für die Zielgruppe der jungen Männer, wurde eine Spielkonsole hier als etwas definiert was es Jung und Alt gemeinsam ermöglicht, mit Hilfe von Bewegungen in der realen Welt Spaß zu haben.
    Spannend ist dabei, dass die reinen technischen Leistungsdaten (in Hinblick auf Prozessoren und Grafikleistung) deutlich unterhalb der Konkurrenz waren, was auch zu deutlich günstigen Herstellungskosten und viel höheren Margen für Nintendo führte.

Radikale Innovation nutzt keine Marktforschung

Gemeinsam ist beiden Beispielen, dass Marktforschung im traditionellen Sinne und Nutzerbeobachtung keine Rolle gespielt haben. Auch die ersten Produkttests und Analystenkommentare waren anfangs negativ, wohl auch deshalb, weil die Bedeutung zu neu war und als Bewertungs-Kriterien immer das Bestehende herangezogen wurde.

Bedeutungsinnovation ist keine Reaktion auf den Markt, sondern ein Angebot für den Markt! Trotzdem kommen diese Innovation natürlich durch begründbare und bewusste Entscheidungen zustande, folgen einer Art von Prozess und es findet Forschung vorher statt, allerdings weniger Marktforschung und Nutzerbeobachtung sondern Forschungen zu Bedeutungen, Bedeutungstrends und Bedeutungskontexten.

Viele Nutzer des Design-Thinking Ansatzes der nutzerzentrierten Innovation werden für sich durchaus reklamieren, dass sich mit Hilfe dieses Vorgehens radikale Innovation hervorbringen lässt und nicht nur inkrementelle Ergebnisse geschaffen werden.
Hier sehe ich auch die Möglichkeiten, die von Verganti so stark argumentierte Trennung zwischen Design-getriebener Innovation und nutzerzentrierter Innovation zu durchbrechen. So ist es durchaus möglich bei der Beobachtung von Nutzern eines Produktes, einer Dienstleistung oder einer Technologie über den unmittelbaren Nutzungskontext hinaus zu gehen und den breiteren Kontext zu betrachten und nach neuen Bedeutungen zu suchen, die ein Produkt oder eine Technologie in diesem breiteren Kontext haben könnte. Für viele Unternehmen braucht es für dieses Vorgehen allerdings ein radikal anderes Verständnis von Design und Ihres Innovationsprozesses.