Wie manage ich Innovationsprojekte?

Für viele Manager ist die Steuerung von Innovationsprojekten eine große Herausforderung. Herkömmliche Steuerungsysteme und Bewertungsmaßstäbe können sehr effizient sein und haben sich im klassischen Projektmanagement bewährt. Gleichzeitig werden sie aber den Anforderungen von Innovation nicht gerecht. Im Vergleich zu Projekten aus dem Kerngeschäft sind Innovationsprojekte inhaltlich nur sehr grob planbar, haben einen sehr langfristigen Return-on-invest (wenn überhaupt) und erfordern ständige Anpassung und Veränderung.

Um dieser Situation Herr zu werden gibt es im Innovationsbereich diverse Methoden (viele aus dem Umfeld von Design Thinking und Lean Startup), die sich alle mehr oder weniger als „agil“ bezeichnen lassen. Alle beinhalten Elemente des „Rapid Prototyping“, wodurch man sich einer finalen Lösung iterativ annähern möchte, anstatt von Vornherein den „großen Wurf“ zu planen. Dementsprechend fokussiert sich die Planungsphase am Anfang eher auf eine saubere Analyse des Status Quo und die zu prüfenden Annahmen, weniger auf den konkreten Projektablauf. Hier zeigt sich auch eine starke gedankliche Nähe zu SCRUM und anderen Vorgehensweisen aus der agilen Softwareentwicklung.

Logischerweise stellt sich dann aber die Frage, wie ich Innovationsprojekte von „üblichen“ Projekten abgrenze? Iterative Vorgehensweisen sind hocheffektiv, aber durch das Element des Trial-and-Error nicht im eigentlichen Sinne effizient. Es wäre also wünschenswert, eine Unterscheidung vornehmen zu können. Dann kann ich bei Bedarf aus dem Werkzeugkasten des Projektmanagements auswählen und die jeweils beste Methode anwenden.

Das Cynefin Framework

Ein Modell, das hier sehr hilfreich sein kann, trägt den walisischen Namen Cynefin (gesprochen: Kunäwin). Es beschäftigt sich mit der Natur von Problemstellung und versucht diese, in vier verschiedene Domänen einzuordnen: Einfach (Simple), Kompliziert (Complicated), Komplex (Complex) und Chaotisch (Chaotic).

Cynefin framework, September 2006.png
Von David Snowden (en:User:Snowded: file log) – David Snowden – created in Freelance for this image, Gemeinfrei, Link

Die Idee hinter dem Modell ist es, Entscheidungen für oder gegen bestimmte Vorgehensweisen zu erleichtern. Je nachdem, in welcher Domäne man sich bewegt, erfordern Probleme andere Methoden und Ansätze.

In der einfachen Domäne sind Ursache und Wirkung klar erkennbar, weshalb etablierte Vorgehensweisen (Best practice) gut funktionieren.
In komplizierten Domänen sind Ursache und Wirkung zwar auch erkennbar, aber erst nach entsprechender Analyse und mit Erfahrung. Hier ist Expertise gefragt, um die eine bestmögliche Lösung zu finden. Auf Projekte übertragen sind diese Domänen von den üblichen Projektmanagement-Ansätzen gut adressierbar.
Probleme der komplexen Domäne zeichnen sich dadurch aus, dass Ursache und Wirkung erst im Nachhinein klar erkennbar sind. Es existieren verschiedene Lösungen, von denen alle, manche oder gar keine erfolgreich sein könnten. Da eigene Aktionen häufig das System verändern, kann man keine vollständige Übersicht über das System gewinnen. Auf Projekte übertragen bedeutet das, dass eine vollständige Planung unmöglich ist. Das Herantasten durch iteratives Trial-and-Error ist der Ansatz mit dem meisten Potential. In Cynefin-Sprache wird das als probe – sense – respond bezeichnet.
In der chaotischen Domäne sind Ursache und Wirkung selbst im Nachhinein schwer erkennbar. Ein kritischer Zeitfaktor kann Grund dafür sein, dass man sich keine Übersicht verschaffen kann. Die Empfehlung im Rahmen des Modells ist daher der Ansatz act – sense – respond. Man beginnt mit kleinen Handlungen, die eine Verbesserung versprechen, lernt daraus und agiert mit den neu gewonnenen Informationen gezielter.

Innovation nach dem Cynefin-Modell

Was bedeutet das Modell nun für Innovation? Wie schon beschrieben lassen sich einfache und komplizierte Probleme gut mit klassischen Methoden des Projektmanagement adressieren. Für einfache Probleme wäre ein iteratives Vorgehen auch nicht sinnvoll, hier empfiehlt sich die Suche nach anwendbaren Best Practice Methoden. In komplexen Domänen ist der Versuch, das Problem von vornherein in seiner Ganzheit zu erfassen, zum Scheitern verurteilt. Iterative, mit jedem Schritt „lernende“ Methoden wie Lean Startup versprechen deutlich mehr Erfolg, weil man ein einzelnes Problem schrittweise von komplex auf kompliziert „reduzieren“ kann.

Dieselbe Vorgehensweise ist bei chaotischen Problemen nicht oder nur eingeschränkt möglich. Typische chaotische Probleme sind, aus Sicht des Modells, Krisensituationen. In gewisser Weise ist ein komplexes Problem mit enormen Zeitdruck automatisch als chaotisch einzustufen, weil wir schlichtweg keine Zeit für ein Herantasten haben. Insofern muss sofort eine Handlung erfolgen, um die Krise zu lindern. Die Prämisse der iterativen Vorgehensweise gilt aber trotzdem: Mit jeder Handlung erhalte ich neue Informationen, die ich verwenden kann, um noch besser zu agieren. Ob ich danach Ursache und Wirkung klar zuordnen kann oder nicht, ist zweitrangig.

Das Modell berücksichtigt dabei durchaus, dass konkrete Probleme und Situationen in der Realität nicht nur einer Domäne zugeordnet werden können. Zum einen muss die Interaktion zwischen Problem und Betrachter berücksichtigt: Ein erfahrener Experte würde bestimmte Themen einer einfachen Domäne zuordnen, während ein Laie eher vor einem komplizierten Problem steht. Zum anderen zeigen einzelne Situationen häufig Elemente verschiedener Domänen. Manche Teilprobleme können gut durch Ansätze der Best Practice gelöst werden, andere brauchen ein experimentelles Vorgehen.

Bei Innovationsprojekten kommen dementsprechend alle vier Domänen zum Tragen, vor allem aber die zwei Domänen kompliziert und komplex. Je nachdem, wie weit man sich bei Innovation auf Neuland bewegt, verschiebt es sich hin zur komplexen Domäne. Betrachten wir zwei Beispiele: Eine inkrementelle Verbesserung, beispielsweise ein neuer Autoreifen für Fahrten im Regen; und eine Geschäftsmodellinnovation.

Der Reifen ist kein radikal neues Produkt, besitzt aber neue Eigenschaften. Die Entwicklung dieser Eigenschaften erfordert einiges an (ingenieurstechnischem) Fachwissen sowie Kreativität. Die notwendige Analyse und die Anforderungen an Expertise fallen in die komplizierte Domäne. Selbst wenn Best Practice (einfache Domäne) vorhanden ist, wird das Know-How entweder einem Konkurrenten gehören und mit Patenten geschützt sein, oder es ist noch so unspezifisch, dass man es erst weiterentwickeln und übertragen muss. Es kann mehrere Lösungen geben, deren Wert wird sich durch Analyse (bzw. technisches Tests) aber erschließen und vergleichen lassen.

Wollen wir hingegen ein neues Geschäftsmodell entwerfen und umsetzen, haben wir sowohl in der Entwicklung als auch in der Umsetzung wenig Anhaltspunkte. Best Practice und Expertise sind wertvoll und hilfreich, nehmen uns aber nicht das Risiko des Scheiterns. Wir können unmöglich alle Faktoren in Betracht ziehen und auch nicht definitiv sagen, welche der möglichen Lösungen die beste ist. Dementsprechend ist ein iteratives Vorgehen die weitaus bessere Wahl.

Vorgehensweise für Innovationsprojekte

Wie können wir das Modell jetzt nutzen, um Projekte zu unterscheiden? Themen, die immer wieder kehren und früher bereits in Projektstrukturen behandelt wurden, können mit klassischen Methoden angegangen werden. Auch inkrementelle Verbesserungen sind noch gut planbar. In der Entwicklung finden sich zwar Elemente der komplexen Domäne – auch technologische Entwicklung ist zu anfangs ergebnisoffen. Aber das sind eher punktuelle Einschnitte.

Sobald wir aber unser Kerngeschäft verlassen, sieht es anders aus. Hier kommt eine weitere Schwierigkeit von Innovationsthemen auf: Ich weiß vorher nicht immer genau, welche Domäne wie stark vertreten ist… wenn wir in neue Gefilde aufbrechen, können wir per Definition nicht einschätzen, was uns dort erwartet. Was zu Beginn wie ein Problem der komplizierten Domäne erscheinen mag, stellt sich erst im Laufe des Projekts als komplex heraus. Im günstigsten Fall haben wir genug gelernt, um das Projekt besser aufzusetzen. Im schlimmsten Fall sind Ressourcen vergeudet und das Thema verbrannt worden. Je ungewöhnlicher, neuer und radikaler eine Idee, desto schwieriger ist die Einschätzung. Für Herausforderungen jenseits dessen, was man früher schon einmal bewältigt hat, kann man daher sagen, dass ein experimenteller Ansatz im Zweifel immer besser ist. Zwar entstehen anfangs mehr Kosten aufgrund einer weniger effizienten Projektplanung, aber das Risiko des Totalverlusts sinkt.

Wer sich für das Cynefin-Modell interessiert, kann auch dieses kurze YouTube-Video des Entwicklers anschauen:

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