Konflikte in Organisationen sind keine Ausnahme. Sie sind der Normalfall.
Wer glaubt, gute Zusammenarbeit bedeute Harmonie, verkennt die Natur von Organisationen: Sie sind um Konflikte herum gebaut. Statt sie zu vermeiden oder vorschnell zu „lösen“, sollten wir beginnen, sie als das zu betrachten, was sie wirklich sind: Ein Ausdruck von Spannungen, die Entwicklung möglich machen. Dieser Artikel zeigt, wie man mit Konflikten produktiv arbeiten kann, anstatt ihnen auszuweichen.
Konflikte existieren in jeder Organisation
Es gibt keine Organisation, die ohne Konflikte auskommt. Konflikte sind im Gegenteil sogar absolut zu erwarten: Organisationen sind um Konflikte herum gebaut und bearbeiten diese meist arbeitsteilig. Es gibt zum Beispiel in fast jeder Organisation die Spannung zwischen hoher Qualität und günstigen Herstellungskosten. Meist beeinflussen sich diese gegenseitig negativ. Wenn das Produkt besonders langlebig und stabil sein soll, dann werden die Herstellungskosten steigen. Sollen sie sinken, dann hat dies oft Auswirkungen auf die Produkteigenschaften. In vielen Organisationen sind die Bereiche Einkauf & Controlling diejenigen, die versuchen die Kosten niedrig zu halten. Die Bereiche Entwicklung und Qualität stehen womöglich auf der anderen Seite.
Wie kürzlich bei einem Kunden: Die IT möchte gründlich und strukturiert vorgehen, die Fachabteilung möchten vor allem, dass es schnell geht! Diese Pole oder Werte stehen in einem Spannungsverhältnis und daher sind Konflikte über den „richtigen“ Umgang zu erwarten. Wenn der Konflikt dann einmal entstanden ist, entwickelt dieser oft erstaunliche Eigendynamiken und hat viele Beteiligte fest im Griff! In meiner Ausbildung zum Organisationsberater habe ich den schönen Ausdruck „es konkfliktet“ gelernt. Das soll ausdrücken, dass der Konflikt eine Eigendynamik entwickelt und die Menschen im Griff hat. Es sind weniger die Menschen, die einen Konflikt haben.
Was ist ein Konflikt?
In Anlehnung an Klaus Eidenschink verwende ich die Definition von Konflikt als einer doppelten Verneinungs-Kommunikation.
Zum Beispiel: Ich bitte meinen Sohn sein Zimmer aufzuräumen. Er entgegnet mir, dass er darauf gerade keine Lust habe. Wenn ich diese Antwort akzeptiere, haben mein Sohn und ich keinen Konflikt. Wir haben lediglich eine unterschiedliche Auffassung über den Zustand seines Zimmers. Wenn ich nun meinem Sohn auf seine Verneinung hin entgegne, dass ich es nicht hinnehmen kann, dass er sein Zimmer nun nicht aufräumt, dann entsteht ein Konflikt. Wir haben beide die Kommunikation verneint (= doppelte Verneinung). Je nachdem wie mein Sohn und ich innerlich gestrickt sind, kann der Konflikt nun unterschiedliche Formen annehmen. Ich könnte ihm drohen, worauf er mich womöglich aus dem Zimmer wirft usw…
Ganz ähnlich kann sich die Situation in Organisationen darstellen. Noch einmal mein Kundenbeispiel: Durch medizinische Erkenntnisse gibt es Druck sich am Markt anders aufzustellen, dafür braucht es ein anderes IT-System. Daher drängen die Fachbereiche zur Eile. Die IT möchte alle Fäden zu einem kohärenten Ganzen zusammenführen und muss viele Abhängigkeiten beachten. Daher geht es nicht so schnell. Fachbereiche sind der Meinung, dass eine weitere Verzögerung existenzgefährdend für das Unternehmen sein könne, weswegen manche Prozesse abgekürzt werden müssten. Die IT erachtet das als nicht sinnvoll und möglich und wehrt sich entsprechend. Ein Konflikt entwickelt sich, der nun schnell auch auf die persönliche Ebene übergreift.
Wenn wir nun wissen, wie ein Konflikt definiert wird, sich die Frage: Wozu sind sie überhaupt da?
Warum Konflikte Organisationen weiterbringen
Sich die Frage der Funktion eines Konflikts zu stellen, erachte ich als sehr gewinnbringend. Die Funktion eines Konfliktes ist es Entscheidungen über die Veränderung des Status Quo herbeizuführen.
Kann das Zimmer so bleiben, wie es ist, oder wird es aufgeräumt? Im Falle des Konfliktes zwischen mir und meinem Sohn könnte die Kernfrage auch lauten, wer denn in Zukunft Entscheidungen darüber trifft, wie mit dem Zimmer umzugehen ist. Mein Sohn oder wir als Eltern?
Kann der Produktentwicklungsprozess weiterhin so laufen, wie bisher, oder muss er geändert werden, um schneller zu werden?
Der Druck eine Entscheidung über den Status Quo herbeizuführen entsteht meist dadurch, dass die Welt ständig in Bewegung ist und sich verändert. Die Wettbewerber unseres Unternehmens schaffen es in deutlich kürzerer Zeit Produkte auf den Markt zu bringen. Das generiert Anpassungsdruck für unsere Organisation. Mit den bestehenden Herangehensweisen werden wir jedoch nicht bestehen können, daher glauben einige, dass es Veränderungen braucht. Nun ist das Potenzial eines Konfliktes im Raum.
Eidenschink (siehe Buch des Monats Juli) schreibt dazu in seinem Buch: „Wenn ein Konflikt eine Funktion von Veränderung ist, dann muss er uns Menschen weder gefallen noch uns gut tun. Der Konflikt ist dann etwas, mit dem wir – so wie mit dem Wetter – zurechtkommen müssen.“ Der Konflikt verneint bestehende Stabilität und stellt die Frage, ob es auch anders sein könnte.
Die Dynamik von Konflikten in Organisationen
Nach der obigen Logik kann man einen Konflikt als ein eigenes soziales System betrachten. Dieses entwickelt eine ganz spezielle eigene Dynamik:
Wie alle sozialen Systeme ist auch das Konfliktsystem auf Überleben getrimmt und will fortbestehen. Der Konflikt hat ein Interesse daran, dass der Konflikt weiterläuft. So kennen vielleicht manche Leser das Gefühl, in den Konflikt „hineingezogen zu werden“ und manchmal gar nicht „anders reagieren zu können“, als den Konflikt weiter anzuheizen.
Das Grunddilemma in Konfliktsystemen: Es kommt schnell zu Erwartungsfestschreibungen: „Ich weiß ganz genau, wie du reagierst, wenn ich das sage“. Das wiederum macht es herausfordernd den Konflikt gut zu bearbeiten.
Modelle der Konfliktlösung
Modelle, um Konflikte zu beschreiben gibt es einige:
- Das Konflikteskalationsmodell von Glasl beschreibt sechs Stufen des Konfliktentwicklungsprozesses.
- Das Conflict Resolution Framework von Fisher & Ury unterscheidet zwischen drei Phasen: Separation, Competition und Collaboration.
- Das Thomas-Kilmann-Conflict-Mode-Instrument (TKI) von Thomas und Kilmann klassifiziert Konfliktlösungsverhalten in fünf Dimensionen: Competing, Collaborating, Compromising, Avoiding und Accommodating
- Der Interest-Based Relational Approach von Fisher konzentriert sich auf die Lösung von Interessenkonflikten durch offene Kommunikation und Empathie.
Diese Liste ist keinesfalls vollständig.
Für alle Modelle gilt der schöne Spruch: „alle Modelle sind falsch, aber manche sind hilfreich“.
Ich möchte ein weiteres, neueres Modell der Konfliktbetrachtung vorstellen, dass ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Organisationsberater beim Hephaistos Institut kennen lernen durfte und das mir in meiner Arbeit als Organisationsberater bisher sehr gute Dienste erwiesen hat.
Das Modell skizziert Klaus Eidenschink im Buch (siehe Artikel Buch des Monats), angelehnt an die Metatheorie der Veränderung.
Ein neues Modell zur Analyse (organisationaler) Konflikte
Man kann Konflikt aus drei Brillen betrachten:
- Der Sachdimension mit einem Fokus auf die inhaltlichen Aspekte eines Konfliktes
- Der Sozialdimension mit einem Fokus auf das Miteinander der Beteiligten eines Konfliktes
- Der Zeitdimension, die sich auf die zeitlichen Aspekte des Konfliktes fokussiert.
In Konflikten ist die Sozialdimension meist schnell sichtbar und bekommt schnell Aufmerksamkeit.
Die drei Dimensionen lassen sich nun noch feiner unterteilen in verschiedene Modi, worauf Menschen im Konflikt den Fokus legen. Jeder dieser Modi kann zwischen zwei Polen hin- und herwandern.
Zwei Beispiele:
- In der Sachdimension der Aufmerksamkeitsmodus. Die Leitfrage hier lautet: Worum geht es eigentlich?
Manche Menschen werden möglicherweise sehr spezifisch sein: „Ich bin mit Quality-Gate 4 nicht zufrieden und mit den Kriterien nicht einverstanden“. Andere werden sehr generalisierend unterwegs sein: „Unser Qualitätsmanagement funktioniert einfach nicht“. - In der Sozialdimension gibt es den Reaktionsmodus. Ich kann grundsätzlich verneinend unterwegs sein oder ich kann wählend sein und in der Lage sein, Dinge auch anders betrachten zu können oder zu akzeptieren, dass andere es anders sehen.
Die Visualisierung zeigt nun das Modell in mit allen Dimensionen.
Praktische Strategien zur Konfliktbearbeitung
Was hilft das nun?
In meiner Arbeit habe ich es als ein Werkzeug nutzen können, um den Beteiligten erst einmal eine Beschreibung des Konfliktes zu liefern. Dann geht es darum, die Spielräume zwischen den Polen zu nutzen und ein anderes Verhalten zu ermöglichen. Was wäre, wenn wir nicht allgemein über das schlechte Qualitätsmanagement sprechen, sondern spezifischer werden?
Bisher war ich immer offen für andere Alternativen, wie wäre es, wenn ich mich festlegen würde und nicht nachgeben würde?
In meinem kürzlichen Kundenprojekt, lag ein Schlüssel darin, auf der Sachebene vom Generalisierenden zum Spezifischen zu kommen. Dann wurde es möglich für alle Beteiligten ein besseres Verständnis zu schaffen und die Zusammenhänge gewisser Streitpunkte aufzuzeigen. Dieses wirklich gemeinsame Verständnis hat den Knoten dann gelöst und nächste Schritte sind sichtbar geworden.
Warum es nicht um Konfliktlösung geht
Welche Implikationen ergeben sich aus dem Bisherigen?
Zuerst einmal, dass Konflikte nur selten ein für alle Mal gelöst werden können und dies auch nicht unbedingt sinnvoll wäre. Statt dessen können Konflikte für den Moment sinnvoll bearbeitet werden. In Organisationen im Speziellen ist zu erwarten, dass manche Konflikte immer wieder kommen und dann erneut bearbeitet werden müssen. Wie ich oben geschildert habe, gibt es gewisse Konfliktlinien um die Organisation herum gebaut sind und die nicht verschwinden werden. Konflikte können sich jeder Zeit wieder melden, wenn es erneut Bedarf an einer Entscheidung gibt. In vielen Organisationen gibt es Wellen von Zentralisierung und Dezentralisierung in Abständen von einigen Jahren. „Entscheidet euch halt mal“, ist nicht notwendigerweise die Lösung.
Zum anderen folgt daraus, dass es nicht grundsätzlich gut ist, in Konflikten zu deeskalieren. Manchmal kann es funktional und sinnvoll sein, den Konflikt zu eskalieren, um eine Entscheidung herbeizuführen oder eine „schlechte“ Entscheidung zu verhindern.
Es ist drittens gut zu wissen, dass das Ideal des Win-Win nicht immer eintreten wird und kann. Das Ergebnis mancher Konfliktbearbeitung in Organisationen kann sein, dass es „Verlierer“ geben wird. Daher ist es auch wichtig, dass Menschen „Verliererkompetenzen“ ausbilden / entwickeln. Das ist oft das „Problem“ mit Kompromissen oder Konsens-Entscheidungen: Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der nicht funktioniert. Das, was funktioniert wollen einige Parteien nicht, deshalb entsteht ein Konflikt und Entscheidungen werden kritisiert.
Konflikte in Teams und Organisationen: Niemand hat Schuld
In meinen kürzlichen Kundenworkshop habe ich zu Beginn kurz die hier beschriebene Logik vorgestellt. Es war erst einmal entlastend für die Menschen zu sehen, dass Konflikte im allgemeinen und ihr Konflikt im speziellen durchaus erwartbar sind und dass niemand Schuld hat. Alle Menschen sind Teil des Konfliktsystems. Nicht die Menschen haben einen Konflikt, sondern der Konflikt hat die Menschen. Die Gruppe konnte auch gut damit leben, dass der Konflikt nicht gelöst werden muss, sondern bearbeitet werden sollte.
Wir haben dann versucht die oben beschriebenen Spielräume zu finden. Dazu habe ich zuerst ein Format angeboten in der Sozialdimension Dampf abzulassen und Dinge aussprechen zu können. Der Schlüssel lag dann darin, in der Sachdimension vom Generellen ins Spezifische zu kommen und Zusammenhänge auf der IT-System-Ebene wirklich nachvollziehen zu können. Nachdem es von allen ein gemeinsames Verständnis des WAS und der Herausforderungen gab, was es dann relativ leicht möglich, ein gangbares WIE für alle zu entwickeln. Im konkreten Fall haben wir einen Prototypen entwickelt, wie IT-Projekte mit interdisziplinärer Einbindung und Beteiligung in Zukunft laufen werden. Dieses Vorgehen wird nun pilotiert. Der Konflikt hat eine funktionale Bearbeitung erfahren.
Sie erleben gerade Spannungen in Ihrem Team oder Ihrer Organisation? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, wenn Sie gemeinsam hinschauen möchten!