Der Mythos des kreativen Genies
Um das Thema Kreativität ranken sich eine große Anzahl an Mythen und Missverständnisse. Eines davon ist die Vorstellung, dass besonders kreative Menschen einfach „von der Muse geküsst“ werden, wie es so schön heißt, und sofort daraufhin eine brillante Idee nach der anderen herausfeuern. Zurückgeführt wird diese Fähigkeit am besten noch auf angeborenes Talent, das nur manchen Menschen mitgegeben wurde.
Tatsächlich funktioniert Kreativität nicht ohne eine gehörige Portion Anstrengung und Disziplin. Im Falle von Künstlern und Musikern mag diese Disziplin von außen betrachtet chaotisch wirken; das liegt aber eher daran, dass in diesen Bereichen extravagante Persönlichkeiten geschätzt werden. Bei Literaten und Wissenschaftlern ist häufig eine deutlich methodischere Vorgehensweise zu erkennen. Allen gemein ist aber eine intensive, teilweise schon obsessive Beschäftigung mit einem Thema, die dem zündenden Einfall oder der Erkenntnis vorausgeht. Louis Pasteur hat diesen Effekt mit den Worten beschrieben: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“ Anders formuliert: Ohne die intensive Beschäftigung zuvor, kommt es auch zu keiner Erleuchtung.
Prozessdenken und Disziplin
Ich hatte bereits in einem früheren Blogartikel beschrieben, wie natürliche und systematische Kreativität zusammenlaufen, und dass dem Heureka-Moment immer eine Phase intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema vorhergeht. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt der Disziplin, der bei der kreativen Arbeit berücksichtigt werden muss. Es handelt sich um die Arbeit im Team, die in irgendeiner Form einer Art Prozessdenken unterliegen muss.
Das Grundproblem in der kreativen Teamarbeit – und überhaupt jeder Teamarbeit – ist die Tatsache, dass Menschen unterschiedlichen Denkprozessen folgen. Jeder hat seine eigenen Herangehensweisen an das Lösen von Problemen, das Abarbeiten von Tasks, sowie das Lernen von- und Kommunizieren miteinander. Diese Denkprozesse sind geprägt durch Persönlichkeit, Erfahrung, und (Aus-)Bildung, und können mehr oder weniger hilfreich für eine bestimmte Tätigkeit sein. Im Team ist es aber erst mal nicht entscheidend, ob einzelne Denkprozesse hilfreich sind, oder eher nicht, denn wenn jeder seinem eigenen Prozess folgt, kommt es zu Konflikten.
Wenn innerhalb einer Gruppe verschiedene Vorgehensweisen aufeinandertreffen, muss ausgehandelt werden, welche Vorgehensweise gewählt wird. Das ist zeitraubend und führt häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil Einzelne ihre Sichtweise nicht berücksichtigt werden. Wenn man es allerdings schafft, das gesamte Team in einer bestimmten Form des Prozessdenkens zu schulen, dann ziehen alle an einem Strang und können ihre Fähigkeiten, darunter natürlich auch ihre Kreativität, voll und ganz einbringen.
Gruppe schlägt Einzelperson
Um diesen Effekt zu erreichen, kann man zwei Wege einschlagen: Schulung und Facilitation (Moderation). Durch Schulungen verstehen die Einzelpersonen, warum der Teamprozess auf eine bestimmte Art und Weise gestaltet ist, und sie können gleich üben, wie der Prozess abläuft. Gleichzeitig ist es im Ernstfall sehr hilfreich, wenn ein Facilitator anwesend ist. Ich wähle bewusst den Begriff Facilitator anstatt Moderator, weil viele unter einem Moderator jemanden verstehen, der Dinge ausgleicht und auf die Befindlichkeiten der Gruppe achtet. Diese Aufgaben sind einem Facilitator nicht fremd, aber bei dem Thema Facilitation steht die Einhaltung des Prozesses im Vordergrund. Und das ist, zumindest am Anfang, nicht immer angenehm.
Konkret bedeutet das nämlich: Einzelne müssen sich zurücknehmen und ihre Bedürfnisse der Gruppe unterordnen. Nicht jeder kann immer das bekommen, was er oder sie will. Und schon gar nicht kann die Einzelperson frei entscheiden, wann ein Thema diskutiert, bearbeitet, analysiert wird. Wenn ein Team gemeinsam arbeiten will, dann muss klar sein, wann was passiert. Vom Prozess abweichende Wünsche müssen daher erst mal unterbunden werden.
Zur gleichen Zeit sollte ein Prozess so gestaltet sein, dass auch Einwände, Bedenken und kritisches Feedback aufgenommen werden können – zur rechten Zeit. Das kann auch außerhalb des eigentlichen Prozesses geschehen, indem man für entsprechende Rückkanäle sorgt. Ist den Teammitgliedern einmal bewusst, wie und warum so ein Denkprozess funktioniert, kann sich sogar ein Gefühl der Befreiung und Ermächtigung breitmachen, weil es den Einzelpersonen erlaubt, sich voll und ganz auf das Thema zu konzentrieren, ohne Ablenkung durch persönliche Reibereien.
Das gilt natürlich nicht nur für Kreativprozesse. Auch andere Formen des Prozessdenkens folgen diesem Muster, so zum Beispiel die Prozesse des Organisationssystems Holacracy. Selbst der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann schreibt in seinem Buch, dass die Strukturierung von Meetings eines der größten Potentiale in Unternehmen darstellt, was aber meistens brachliegt. Wer das Potential seiner Mitarbeiter und Kollegen voll nutzen möchte, sollte sich daher überlegen, wie effektive Formen des Prozessdenkens in die Organisation eingebracht werden können. Wir unterstützen gerne mit Angeboten rund um effektive Meetings. Und wer selbst Facilitator werden möchte, kann sich unsere Ausbildung in der Workshopmoderation anschauen.