Vielleicht auch durch unser e-book Innovationskultur entschlüsselt erreichen uns in den letzten Monaten immer Anfragen zum Thema Innovationskultur. Der Ausgangspunkt oder Schmerzpunkt für solche Anfragen ist immer, dass sich viele Organisationen wünschen, dass ihre Mitarbeiter kreativer, innovativer und motivierter sind, damit das Unternehmen als ganzes innovativer, anpassungs- und veränderungsfähiger wird (meist, weil es externe Faktoren gibt, die dies erfordern).
Das Gespräch kommt dann schnell auch auf die Verhaltensweisen, Werte und Einstellungen der Mitarbeiter und besonders der Führungskräfte als mögliche Ansatzpunkte für Veränderungen. Kultur lässt sich allerdings nicht direkt verändern. Was eine Organisation jedoch kann: An den Einstellungen und Glaubenssätzen von einzelnen Menschen arbeiten. Damit kann eine Organisation auch versuchen, die Verhaltensweisen einzelner zu verändern. Konkret können wir sie auch so verändern, dass sie Kreativität und Innovation unterstützen.
Die Unternehmensstruktur beeinflusst Verhalten
Gerne vermieden wird ein großes, wichtiges Thema: Die Veränderung der Strukturen, Prozesse und Praktiken der Organisation. Das wird deshalb gerne umschifft, weil es ein großes Fass ist, das damit aufgemacht wird – mit vielen Köchen, Ansprüchen, Egos und viel Politik. Es wird auch deshalb gerne ausgespart, weil die Ansprechpartner gar nicht in einer Position sind, darüber sprechen zu können bzw. eine Veränderung initiieren zu können. Das ist auch bereits der Kern des Problems: Viele Menschen sind kreativ und motiviert, sie sind jedoch machtlos bzw. entmachtet. Die Konsequenz daraus ist, dass viele Menschen und damit die Organisation ihr Potenzial und ihre Energie nicht entfalten können. Unternehmensstruktur und Innovation sind also eng verknüpft, und das eine bedingt das andere.
Wir kommen immer mehr zur Auffassung, dass daher der Quadrant rechts unten ein ganz zentraler ist für das oben genannte Ziel einer innovativen, adaptiven und schnell reagierenden Organisation, weil das System der Organisation sehr stark verhaltenssteuernd wirkt und gewisse Verhaltensweisen überhaupt erst zulässt bzw. ermöglicht.
Drei Sichtweisen auf Unternehmensstruktur und Innovation
Drei Bücher haben mich in den letzten Wochen zu diesem Thema noch einmal bestärkt und beeinflusst. Radikal führen von Reinhard Sprenger, Schwarmdumm von Gunter Dueck und sicherlich am stärksten Reinventing Organizations von Frederic Laloux. Alle drei Bücher beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen, kommen jedoch aus ihrer Perspektive immer wieder auf das Thema der Organisationsstrukturen und Prozesse zu sprechen.
Dueck hat nach meiner Lesart auf seine humorvolle und manchmal zynische Art den Kampf gegen das System eigentlich schon aufgegeben und empfiehlt einen anderen Weg. Nach ihm sollten wir das System unter dem Radar „im Keller“ überlisten und gewisse Machtpromotoren taktisch geschickt einbinden, um doch noch zu Innovation zu gelangen. Leider sind viele Unternehmen aufgrund Ihrer Strukturen und Prozesse trotz an sich intelligenter Menschen scharmdumm und bringen dumme Ergebnisse hervor. Das ist nicht etwa der Fall, weil die einzelnen das so wollten, sondern weil die vorgegebenen Strukturen und Prozesse zu Verhaltensweisen führen, die in der Zusammenarbeit mit anderen zu Schwarmdummheit führen.
Eine Lösung, die Dueck auch empfiehlt oder als Vision aufzeigt ist es, Unternehmen wie Freiwilligenorganisationen zu führen: „Ich träume von Managern, die ihre Mitarbeiter wie Freiwillige führen und zu First-Class-Leistungen bringen. Es ist eine große Kunst, Freiwillige so für ein Ziel zu erwärmen, dass sie wirklich für First-Class-Qualität brennen und dann auch nicht so schwankende Arbeitszeiten haben. Bei großen Visionen ist es leichter, alle auf wundervolle Arbeit einzuschwören. Es wäre ein wichtiger Schritt raus aus der Schwarmdummheit getan, wenn Manager ihre Mitarbeiter so führen würden, als ob sie ein Freiwilligen-Team vor sich hätten. Und wenn Mitarbeiter ihrerseits so arbeiteten wie für die freiwillige Sache.“
Dem würde Sprenger nach meinem Verständnis einerseits zustimmen, da es die Aufgabe von Führungskräften ist, Mitarbeiter zur Zusammenarbeit zu gewinnen und die Aufgaben und Ziele so zu kommunizieren, dass diese als sinnvoll erachtet werden. Anderseits liegen viele Hinderungsgründe nicht in der Person der Führungskraft begründet, sondern haben auch einen institutionellen Hintergrund: „Ich bin sehr skeptisch, ob man sich einen »autoritären«, »kooperativen« oder »transaktionalen« Stil aussuchen und ihn unabhängig von den organisatorischen Vorgaben des Unternehmens in Hunderten von alltäglichen Aktivitäten durchhalten kann. Damit will ich nicht sagen, dass persönlicher Stil irrelevant sei. Aber es geht dann mehr um die Art und Weise, wie eine Führungskraft etwas tut – etwa ein Mitarbeitergespräch führt, Entscheidungen fällt, sich selbst und ihre Arbeit organisiert. Weite Teile ihres Führungshandelns sind von der Organisation vorgegeben – wenn auch nicht alle. Erfolgreich ist wohl eher ein Manager, dessen Sosein ins Umfeld passt – zur Aufgabe, zu den Mitarbeitern, zum Chef, zur Unternehmenskultur.“
Der Einzelne und besonders die einzelne Führungskraft in einer hierarchischen Organisation hat es hier nicht einfach „Für unseren Zusammenhang heißt das: Ein einzelner Mensch – und sei er noch so exzellent – reicht nicht aus, um das System zu verändern. Das System muss es auch wollen.“
Alternative Unternehmensstruktur für mehr Innovation
Die Unternehmensstruktur beinflusst damit auch die Innovationskultur. Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, wie die Organisation als Ganzes kreativer, innovativer und anpassungsfähiger werden könnten, müssen wir das immer mitdenken. Für Innovation heißt das auch, dass die Art wie innoviert wird sehr stark beeinflusst was am Ende dabei rauskommt.
Der gesamte Artikel ist bislang von einer Prämisse ausgegangen: Die Organisationen, von denen wir sprechen, sind hierarchisch organisiert, mit Vorgesetzten und Untergebenen und einer entsprechenden Verteilung der Macht. 98% aller Organisationen sind vermutlich auch immer noch so verfasst. Es gibt jedoch auch Alternativen, mit erheblichen Auswirkungen auf die Motivation der Menschen und das Innovationspotenzial der Organisation als Ganzes. Hier kommt Frederic Laloux ins Spiel. Er beschreibt Unternehmen, die Entscheidungsbefugnisse stärker verteilen und ein größeres Maß an Partizipation erreichen. Manche Unternehmen erreichen dieses Ziel durch bestehende, neuartige Organisationssysteme, wie beispielsweise Holacracy. Andere gehen ihren eigenen, individuellen Weg. Gemein ist ihnen allen, dass sie stark auf die Fähigkeiten und das Engagement ihrer Mitarbeiter vertrauen.
Was hat das mit Unternehmensstruktur und Innovation zu tun? Bei manchen Unternehmen sehr viel, weil ihre Transformation das Ziel hatte, mehr Kreativität und Innovation zu ermöglichen. Bei anderen Unternehmen war das kein Teil der Überlegung – hat aber am Ende diesen Zweck auch erfüllt. In allen Fällen haben die veränderten Unternehmensstrukturen zu mehr Freiraum für die Mitarbeiter geführt. Dieser Freiraum, gepaart mit einem Grundvertrauen in das Engagement der einzelnen Menschen, führt zu mehr Kreativität.
Natürlich ist ein derart radikaler Weg nicht für alle Unternehmen gangbar. Aber an extremen Beispielen lassen sich oft entscheidende Muster und Vorgehensweisen besser erkennen. Insofern lohnt sich ein Blick auf ungewöhnliche, pionier-hafte Unternehmen auch für klassische Mittelständler und Konzerne. Denn Veränderung in den Strukturen ist durchaus möglich, wenn sich Menschen dazu trauen. Und Mut ist eben auch ein zentraler Faktor von erfolgreicher Innovation.