Meine erste Berührung mit den Themen Kreativität und Innovation allgemein und der Methode des Design Thinkings im Speziellen liegt nun schon eine ganze Weile zurück. Ich erinnere mich daran, wie ich von der Struktur des gesamten Prozesses und dem organisierten Vorgehen beeindruckt war. So wie viele andere auch hatte ich mit dem Thema Kreativität lange Zeit eher die Begriffe Intuition, Genie oder gar Chaos verbunden. Die durchgeplante, zerleg- und wiederholbare Methode des Design Thinkings war für mich der Einstieg in die Welt der strukturierten Innovation.

Design Thinking braucht mehr Wissenschaft

Andererseits war mir nicht klar, was es mit dem Begriff Design Thinking auf sich hatte. Wie die meisten Laien verband ich mit dem Wort „Design“ eher die künstlerische, gestalterische Ebene. Bei Design geht es um Optik und Ästhetik, so dachte ich. Ich reimte mir verschiedene Erklärungen zusammen, beschäftigte mich aber erst mal nicht weiter damit. Ich war zu diesem Zeitpunkt vor allem an der Vorgehensweise interessiert, weniger an den Ursprüngen und den Überlegungen hinter dem Konzept. Bei dem pragmatischen, an konkreten Ergebnissen orientierten Ansatz erschien es mir nicht wichtig, aus welchen wissenschaftlichen Feldern heraus die Methode entstanden war. Ich wusste, dass Design Thinking im Umfeld der Stanford University entstanden war. Und mir war bekannt, dass einige Universitäten bzw. Institute Ausbildungen für Design Thinking oder verwandte Konzepte anbieten. Durch den Besuch des d.convestivals in Potsam bekam ich erst den wissenschaftlichen Anspruch der professionellen Community vorgeführt. Und mein damaliger Eindruck von der Wissenschaftlichkeit war… durchwachsen.

Unter den Vorträgen waren einige mit sehr spannenden Themen. Manche waren durchaus wissenschaftlich, d.h. mit objektivem Anspruch gestaltet und präsentiert. Andere wirkten jedoch so, als ob man einem pragmatischen, auf die Geschäftswelt ausgerichteten Vorgehen den Anschein der Wissenschaftlichkeit verleihen wollte. Als Kulturwissenschaftler bin ich, so bilde ich mir ein, an einen hohen Anspruch gewöhnt: Objektive, kontextabhängige Darstellung; gründliche, tiefgehende und nachvollziehbare Recherche und Quellen. Die praktischen Erfolge, die im Rahmen der Veranstaltung präsentiert wurden, waren beeindruckend. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das Thema Design Thinking in seiner Tiefe erforscht und diskutiert wurde.

Praxisbezug und wissenschaftliche Fundierung gehören zusammen

Auch hier war meine Überlegung erneut, dass es vielleicht gar nicht relevant ist, ob das Vorgehen wissenschaftlich ergründet und belegt wird. Letztendlich geht es um praktische Erfolge. Das Streben der Community nach Wissenschaftlichkeit aber war und ist deutlich spürbar. Die steigende Zahl der Fachartikel in Wirtschaftszeitungen und wissenschaftlichen Magazinen lässt keinen Zweifel daran. In der Zwischenzeit habe ich einige der Veröffentlichungen gelesen und verstehe nun deutlich mehr vom Hintergrund des Design Thinking. Als Nicht-Designer muss ich dazu feststellen, dass die Bezeichnung der Methode durch den Begriff „Design“ sehr irreführend wirken kann.

Für mich klar geworden ist: Design Thinking ist im Denken und in der Entwicklung des Design verwurzelt. Es ist nicht darauf beschränkt, aber das angestammte Feld ist das Design. Innovationsmethoden gibt es einige, ebenso wie die dahinter stehenden Disziplinen: Psychologie, Wirtschaftswissenschaften (sowohl „klassische“ BWL als auch unternehmerische Theorie), Ingenieurswissenschaften. Und eben Design. Der Begriff Design wird heutzutage für so ziemlich alles verwendet und verspricht in irgendeiner Form Schönheit, Eleganz oder einen hohen Entwicklungsgrad. So kann dem Laien die Idee kommen, dass Design Thinking einfach nur ein neues „Branding“ einer Innovationsmethode ist. Beschäftigt man sich aber mit der Geschichte des Designs, kommt man zu einem anderen Schluss. Von den künstlerischen Ursprüngen zum modernen Design der Funktion („form follows function“) bis hin zu post-modernen Ansätzen hat sich das Selbstverständnis von Designern immer wieder verändert. Besonders das Konzept des funktionalen Designs zeigt viele der Elemente, die den Design Thinking Prozess auszeichnen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Prozess als ein Versuch, die Theorien des modernen (und post-modernen) Designs in einen allgemein anwendbaren Gruppenprozess zu gießen.

Design Thinking als multidisziplinäre Methode

Dabei sind erkennbar auch Elemente anderer Disziplinen eingeflossen. Der starke Fokus auf interdisziplinäre Teams deckt sich mit Studien aus der Sozialpsychologie zu Teamarbeit und Kreativität; das iterative Vorgehen kennt man aus der Softwareentwicklung mit Alpha- und Beta-Versionen; ebenso das Rapid Prototyping, das auch in technischen Bereichen verwendet wird.

Insgesamt ergibt sich somit ein sehr leistungsfähiger Innovationsprozess mit starkem Fokus auf potentielle Anwender. Der Einsatz des Design Thinking macht natürlich weit über die Grenzen des Designs hinaus Sinn, weshalb auch eine ganze Reihe von Büchern erschienen sind, die das Konzept zu einem neuen „Trend“ in der Geschäftswelt erklären. Ein großer Haken an der Sache ist, meines Erachtens, trotzdem die Begrifflichkeit. Angefangen mit der Bezeichnung des Konzepts haben die Verfechter des Design Thinkings eine eigene Sprache kreiert, die für Eingeweihte Sinn ergibt, Außenstehende aber eher verwirrt. Ohne den Hintergrund des Designs zu kennen und mit dessen Konzepten vertraut zu sein, wirkt die Fachsprache häufig willkürlich und alles andere als intuitiv. Wer in der Geschäftswelt mit dem Design Thinking Prozess arbeiten möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass dessen Konzepte und Theorien für die meisten Menschen völlig neu sind und diese sich erst eindenken müssen. Ohne eine gewisse Übersetzungsarbeit und die entsprechende Geduld macht man allen Beteiligten die Arbeit unnötig schwer.

Wer sich mehr mit Design Thinking beschäftigen und sich vielleicht sogar darin schulen lassen möchte kann sich hier weiter informieren.