Der Journalist Martin Häusler hat 2010 das Buch „Die wahren Visionäre unserer Zeit“ veröffentlicht, in dem er 15 Menschen vorstellt, die aus anderen Perspektiven neue und ungewöhnliche Lösungen für Probleme unserer Zeit anbieten. Über seine Arbeit an dem Buch und die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten dieser innovativen Denker habe ich in einem Interview mit Martin Häusler gesprochen.

Ihr Buch heißt die „Wahren Visionäre“ unserer Zeit. Bedeutet das, dass wir Leute für Visionäre halten, die es eigentlich gar nicht sind oder dass die Leute, die Sie vorstellen verkannt sind?

Absolut, das war mein Hintergedanke. Freunde und Bekannte haben mir geraten das Buch einfach „Visionäre unserer Zeit“ zu nennen, aber ich wollte polarisieren und provozieren. Das Wort die „wahren“ Visionäre ist ganz bewusst gewählt, weil die 15 Leute, die ich vorstelle in unserem Medien-Mainstream und im öffentlichen Diskurs so gut wie nicht vorkommen. Sie gelten bisher als inkompatibel. Ich behaupte aber, dass diese Menschen wirklich Lösungen zur Reife entwickelt haben, die uns tatsächlich weiter bringen können als bisher. Deshalb der Titel.
Ich wurde natürlich auch darauf angesprochen, dass diese Visionäre keiner kennt, aber das war ebenso totale Absicht. Die Urmotivation dieses Buches war, Randgestalten und deren Themen in den Mainstream zu holen.
Ich habe mich in den Jahren 2008/2009 tierisch über die Krisenberichterstattung im Fernsehen aufgeregt, besonders über die politischen Talkshows. Diese haben nun einmal die Macht und die Kraft, bestimmte Themen auf die Agenda zu setzen. Dort wurden mit Ausbruch der Finanzkrise jedoch immer nur die gleichen Leute eingeladen. Als Hans Olaf Henkel zum zehnten Mal eingeladen wurde, habe ich mir gedacht, dass das doch wohl nicht wahr sein könne. Wer immer die gleichen Leute fragt, bekommt immer die gleichen Antworten und kommt einfach nicht weiter. Wie auch? Neue Impulse können nur von außen kommen.

Wieso sitzen diese Visionäre in keinen Talkshows?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ich denke erst einmal, dass zurzeit zu viele Medien über ein erhebliches Bremspotenzial verfügen und damit gesellschaftliche Entwicklungsprozesse hemmen. Bestimmte Positionen in Sendern und Publikationen sind mit Menschen besetzt, die jeden Morgen neben ihrem Anzug auch ihre Scheuklappen aufsetzen und so in alten und überkommenen Schemata denken: Die Welt ist so und nicht anders! Daraus ergibt sich ein weiteres großes Problem in den Redaktionen: Es gibt zu viele Denkverbote. Ich habe jahrelang Großverlage von Innen erlebt und weiß, wie schwer es ist, ungewöhnliche und außergewöhnliche Themen und Menschen auf die Agenda zu setzen und in Redaktionskonferenzen durchzusetzen. Wir müssten beginnen, diese redaktionellen Denkverbote aufzuheben. Mehr Platz für Querdenker, Überraschungseffekte und Fantasie!

Einerseits wünschen sich die Medien ja ständig neue Themen, wohl aber nur innerhalb von vorher definierten Schemata?

Sehr oft ist das so, ja. Letztendlich steckt die Angst dahinter, Hierarchen zu provozieren, anzuecken und damit möglicherweise degradiert zu werden oder gar den Job zu verlieren. Ich denke, Menschen in ihren Weltbildern zu irritieren, müsste eigentlich der Grundauftrag eines jeden Journalisten sein, egal im welchen Ressort er nun tätig ist. Nur so können wir uns doch weiter entwickeln.

Bei den Visionären, die Sie in Ihrem Buch vorstellen, fällt auf, dass diese für Themen stehen, zu welchen viele Menschen noch keinen Zugang haben dürften. Zum Beispiel schamanistische Kosmetik, buddhistische Unternehmensführung oder der Sprung in eine andere Bewusstseinsebene. Wenn man im Internet nach diesen Menschen sucht, trifft man neben den Netzauftritten der Visionäre auch auf Websites, die vor Esoterikern und „Spinnern“ warnen. Zeigt sich auch hier wieder das Muster, dass wir Menschen allem Ungewöhnlichen und Neuem erst einmal mit Ablehnung begegnen?

Dieser Mechanismus gehört anscheinend zum Prinzip Menschheit. Früher hat man solche Leute auf dem Scheiterhaufen angezündet. Heute gibt es den elektronischen Scheiterhaufen des Internets. So toll das Netz auch ist, uns weiter hilft und Völker befreien kann, siehe Tunesien und Ägypten, so gefährlich kann das Internet aber auch sein, Vordenker zu diskreditieren und mundtot zu machen. Binnen weniger Sekunden können Menschen auf globaler Ebene verleumdet werden, was dazu führen kann, dass diese möglicherweise ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Ich habe neulich mit jemanden gesprochen, der vorgeschlagen hat, darüber nachzudenken, den Rufmord mit dem Mord gleichzusetzen. In diesem Land geraten Menschen, die Thesen aufstellen, die nicht dem Mainstream entsprechen, sehr schnell in einen medialen Fleischwolf.

In Ihrem Buch stellen Sie 15 Menschen vor, die – wie Sie im Vorwort schreiben – Antworten und Lösungsalternativen auf Fragen unserer Zeit wie die „Rettung der Erde“ und das „Glücklichwerden im Privaten“ bieten. Wie haben Sie Ihre Visionäre entdeckt?

Ich hätte sie nicht entdecken können, wäre ich mit antikem Weltbild losgezogen. Um nachhaltig weiter zu kommen und die Herausforderungen der Zukunft sinnvoll zu lösen, müssen wir mit offenem Geist an die Fragen unserer Zeit herangehen und Unmögliches für möglich halten. Dann stößt man automatisch auf diese Leute. Ich hatte mir 14 Disziplinen ausgesucht – von Wirtschaft, über Ökologie, bis hin zu Architektur und Spiritualität – und mich dann auf die Suche begeben, habe viel gelesen, bin auch Empfehlungen gefolgt. Manche Protagonisten kannte ich bereits, da ich seit Jahren rechts und links des Mainstreams schaue. So war mir von vornherein klar, dass Jakob von Uexküll in dieses Buch muss, der Erfinder des Alternativen Nobelpreises. Ein Journalistenkollege, der vor einigen Jahren sehr schwer krank war, wurde beispielsweise von dem Heiler Aldo Berti erfolgreich therapiert. Das war der Grund, genau diesen Heiler für das Medizinkapitel anzufragen. Übrigens wurden 80 Prozent der Anfragen für dieses Buch sofort positiv beantwortet. Ich kannte das Gegenteil von meiner über zehnjährigen Arbeit in großen Publikumsmedien, wo Absagen zum Tagesgeschäft gehören. Ein Charakteristikum der Persönlichkeit aller Visionäre scheint mir daher ein sehr zurückgefahrenes Ego zu sein. Diesen Menschen geht es um die Sache und nicht in erster Linie um Ruhm oder Kommerz.

Das leitet mich schön zu meiner nächsten Frage: Ich beschäftige mich intensiv mit innovativen Denkern und Denkmustern von Innovatoren. Ich denke, viele Ihrer Visionäre können als innovative Denker bezeichnet werden. Gibt es Gemeinsamkeiten im Denken, in Hinblick auf Charaktereigenschaften, etwas Besonderes, das allen Visionären gemeinsam ist?

Natürlich gibt es diese Gemeinsamkeiten. Zum einen ist da das ganzheitliche Bewusstsein und die Sicherheit, dass es neben dem sichtbaren, materiellen Teil des Lebens eben auch den unsichtbaren, nicht zu unterschätzenden geistigen Teil des Lebens gibt. Aber niemand läuft mit erhobenem Zeigefinger herum und versucht zu indoktrinieren. Mit einer unglaublichen Geduld erklären die Visionäre ihre Thesen, ohne dabei missionarisch zu werden. Sie senden ihre Impulse aus und hoffen, dass diese empfangen werden.
Was sie zusätzlich auszeichnet ist ein ungeheurer Mut. Wir haben ja schon darüber gesprochen: Wer den Mainstream verlässt, der macht sich angreifbar und muss davon ausgehen, dass er Stöcke zwischen die Beine bekommt. Außerdem schildere ich in einigen Kapiteln ja auch den Lebenswandel der Visionäre und deren Bereitschaft auf vieles zu verzichten. Ich bin zumeist auf sehr bescheidene Leute getroffen, die an irgendeinem Punkt in ihrem Leben gemerkt haben, dass man auch ohne die üblichen Statussymbole glücklich sein kann und Erfüllung findet. Diese Erkenntnis wurde bei vielen Visionären gerade durch harte biografische Brüche und Verluste verursacht.

Gehört die Leidenschaft, das Brennen für ein Thema auch zu den Gemeinsamkeiten?

Ja, ich denke, wenn das innere Feuer für das Thema nicht brennen würde, dann könnte man es sowieso vergessen. Das schafft man nur, wenn man total von seiner Idee überzeugt ist. Ich habe selbstlose Menschen erlebt, die ihr Engagement über alles andere stellen. Und wer sich so ins Zeug legt und damit Hunderte, Tausende von Menschen inspirierte und veränderte, sendet vor allem eine Botschaft an die Menschheit: Jeder Einzelne kann etwas verändern und zur Lösung der großen Probleme dieser Erde beitragen!

Wie hat die Begegnung mit den 15 Visionären Sie persönlich verändert?

Ziemlich. Obwohl ich der Meinung war, dass ich selbst auch ein Stück weit mutig bin und sich dieser Mut zuweilen auch in meinem Job gespiegelt hat, habe ich gemerkt: Es geht noch mehr!
Ja, diese Leute getroffen zu haben, macht Mut. Das ist wohl die größte Lehre, die ich daraus gezogen habe. Sie haben mir eine große Zuversicht vermittelt, dass es sich lohnt, um Grundwerte wie Nächstenliebe, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu kämpfen und unermüdlich aufzuklären. Bei all den Widerständen ist ein solches Urvertrauen unverzichtbar.

Vielen Dank für dieses Gespräch!