Ist Kreativität etwas, das ausschließlich spontan passiert oder kann man diese absichtlich steuern? Je nachdem mit wem man sich unterhält, wird man hier unterschiedliche Auffassungen hören. Auch Bücher zum groben Thema der Kreativität oszillieren zwischen diesen beiden unterschiedlichen Auffassungen.
Runco (2007) hat in seinem wissenschaftlichen Buch Creativity. Theories and Themes: Research, Development, and Practice, diese beiden Ansichten als die entgegengesetzten Richtungen eines Kontinuums beschrieben.
Kreativität als spontaner Ausdruck des Selbst
Auf der der linken Seite des Kontinuums befindet sich Kreativität als ein spontaner so gut wie nicht bewusst beeinflussbarer Ausdruck eines Menschen. Der Geistesblitz ereilt einen durch Zufall und unbeabsichtigt und man kann wenig dafür oder dagegen tun. Einige wichtige Entdeckungen und Erfindungen sind Ergebnis solcher Zufälle.
Kreativität als der bewusste Einsatz von Taktiken und Techniken
Auf der anderen Seite des Kontinuums befindet sich Kreativität als Ergebnis einer bewussten Steuerung und Lenkung des Denkens durch Techniken (Denkwerkzeuge) und Prozesse. Runco spricht hier von „es möglich machen“ (make it happen). Am äußersten Rand des Kontinuums, wenn diese Sicht also zu weit getrieben wird, wird Kreativität zu etwas, das man durch den Einsatz von Techniken erzwingen kann. Kreativität wird dann zu einem mechanischen Prozess.
Es geschehen lassen – die Hürden der Kreativität vermindern
In der Mitte dieses Kontinuums befindet sich die Sichtweise, dass man Kreativität stimulieren und fördern kann, indem man Hürden der Kreativität gezielt abbaut. Runco spricht hier vom let it happen-Ansatz. Tony Proctor beschreibt in seinem Buch Creative Problem Solving for Managers, verschiedene Blockaden, die Kreativität negativ beeinträchtigen: Wahrnehmungshürden, strategischen Hürden, Informationshürden, sowie kulturellen und emotionalen Hürden. Eine emotionale Hürde könnte z.B. die Angst einer Person sein, ihr Selbstbild zu ändern, was dazu führt, dass sich dieser Mensch kreatives Denken nicht erlaubt, da es an seinem Selbstbild rütteln könnte. Eine kulturelle Hürde, die ich bei meinen Innovationsworkshops in China beobachte und adressieren muss, ist die Tatsache, dass in einer konfuzianisch geprägten Kultur das unzensierte Äußern von Ideen und Möglichkeiten nicht wert geschätzt wird.
Bei diesem Ansatz wird somit versucht, das spontane Entstehen von Kreativität zu gezielt und bewusst zu unterstützen, indem man Hürden der Kreativität erst einmal bewusst macht und dann versucht, diese zu minimieren.
Für einige der Hürden, z.B. bei den Wahrnehmungshürden, helfen wiederum die vorhin erwähnten Denkwerkzeuge. Edward de Bono mit seinen Techniken des lateralen Denkens hat dazu eine Vielzahl an Vorgehensweisen entwickelt, um Wahrnehmungshürden zu überkommen.
Ich mit dem Ansatz meiner Kreativtrainings und Innovationsworkshops befinde mich auf diesem Kontinuum sicherlich zwischen dem „let it happen“ und „make it happen“ Ansatz. Trotz dem Einsatz von Prozessmodellen der kreativen Problemlösung und Denktechniken versuche ich ein mechanisches Bild der bewussten angewandten Kreativität zu vermeiden. Für einen Workshop, in welchem innerhalb einer fest gelegten Zeit ein Ergebnis produziert werden soll, ist das Hoffen auf spontane Geistesblitze allerdings nicht ausreichend. Man sollte jedoch versuchen, diese zu fördern.
Runco beschreibt die Vereinbarkeit der Ansätze folgendermaßen:
„It suggests how creativity can be a result of both tactical creativity and serendipitous, accidental, and chance encounters. Deliberate creativity does not preclude serendipity, nor do the various serendipitous discoveries in history (e.g., the Post-It note) mean that creative work cannot be intentional or tactical.“ S. 373