Wer führt wen, mit welchen Mitteln und vor allem: mit welchem Ziel? Immer mehr Unternehmen beginnen aktuell sich selbst und und ihre Führungskultur zu hinterfragen. Das Thema wird in einem breiten Diskurs wie dem Kinofilm „Die stille Revolution“ und dem gleichnamigen Buch von Bodo Janssen immer öfter auch öffentlich angeschnitten. Dabei ist es wichtig, nicht urplötzlich jede Form von Hierarchie in den eigenen Reihen zu verteufeln – vielmehr sollte eine bewusste Reflektion stattfinden. Was bedeutet „Führung“ im eigenen Unternehmen? Wie drückt sie sich aus? Warum brauchen wir Führung bis dato? Was wäre, wenn Mitarbeiter mehr Freiräume erhielten? Was gibt es für Erweiterungen und Alternativen zu einer klassisch pyramidal angeordneten Firmenstruktur? Wie steht es um das Thema Eigenverantwortung und Selbstorganisation? Warum gibt es in den eigenen Reihen überhaupt den Wunsch nach einer Veränderung der Führungskultur?

Bewusstsein durch Reflektion: Selbstaudit

Fragen über Fragen, die jedes Unternehmen zunächst für sich selbst beantworten sollte, ähnlich einem Selbst-Audit. Bewusstsein über einen Zustand und eigene Bedürfnisse ist meist der erste Schritt hin zu Veränderung. Wichtig ist dabei, den eigentlichen Beweggrund für Führung zu hinterfragen, den Hauptmotivator. Dieser kann recht unterschiedlich sein, eine häufige Antwort wird jedoch oft lauten: Gute Führungskräfte sind exzellente Planer. Und für bekanntlich ersetzt Planung den Zufall. So steuert das Unternehmen durch seine Führungskräfte kontrolliert und diszipliniert auf ein Ziel zu – das in einer Strategie festgelegt wurde. Soweit so gut.

Durch genau durch dieses an und für sich positive Bedürfnis nach Planbarkeit, entwickeln sich in einigen Firmen jedoch auch Führungsstile, die mit einem hohen Maß an Kontrollbedürfnis einhergehen. Weisungsorientierung und Micromanagement sind oftmals Folgen dieses Führungsstils. Diese prallen auf Anfangs noch hochmotivierte, engagierte und eigenverantwortlich denkende Mitarbeiter – generell und im besonderen der neuen Arbeitsgenerationen. Es ist leicht auszumalen, was in kürzester Zeit mit diesem Mitarbeitern geschehen wird.  Aber auch umgekehrt führt der Top-Down Ansatz manchmal zu überforderten Führungskräften. Da Mitarbeiter meist keine eigenen Entscheidungen treffen sollen, werden diese nach oben delegiert, setzen die wenigen Entscheider unter Druck und erhöhen somit den künstlich geschaffenen Flaschenhals.

Was, wenn unser Unternehmen ein Auto wäre?

Sinnbildlich gesprochen kann man es sich folgendermaßen vorstellen. Angenommen es bräuchte das Zusammenspiel von 100 Einzelaspekten wie Apparaturen und Technik, damit ein Auto fahren kann. Wer käme dann auf die Idee, dass alleine das Drehen am Lenkrad das Auto sinnvoll von A nach B bewegt? Ähnlich funktionieren Unternehmen. Sie bestehen aus unzähligen Einzelaspekten. Wenn alleine Führungskräfte entscheidungsbefugt sind, geht dem Unternehmen viel Potential und Know-How verloren. Das Lenkrad dreht sich – doch was ist beispielsweise mit dem Motor, der Kupplung und dem Katalysator?

Ich habe eingangs erwähnt, dass Führung nicht per se zu verteufeln ist. Im positivsten Sinne bedeutet Führung auch die Förderung des ureigenen Potentials jedes Mitarbeiters. Wie können die Menschen, die für ein Unternehmen arbeiten, in den Mittelpunkt gestellt werden? Mitarbeiter sind in aller Regel Anfangs höchst intrinsisch motiviert, begeistert und neugierig. Daher sollte der Anspruch von reflektierten Unternehmen darin bestehen, ihre Führungskräfte entsprechend zu schulen, ihre Mitarbeiter zuallererst nicht weiter zu demotivieren. Und im zweiten Schritt aktiv zu fördern und fordern. Wenn auf diese Weise sich langsam aber sicher ein Kulturwandel vollzieht, wird Führung mit der Zeit möglicherweise immer nachrangiger. Sie war aber der Initiator, der Zündfunke um etwas zu verändern.

Soweit so gut- doch was sind Alternativen?

Führungskräfte als Flaschenhals- das leuchtet ein. Doch was ist die Alternative? Das Bild einer basisdemokratischen Hippiekommune mag dem einen oder anderen Leser in den Sinn kommen. Jeder tut was er möchte, ohne Ziel und Planung. Klingt abschreckend? Durchaus. Dies sollte auch nicht das Ziel eines wirtschaftlich denkenden Unternehmens sein.

Und genau das Gegenteil ist der Fall in Systemen wie Holokratie (Holacracy), Soziokratie und Sociocracy 3.0. Diese bauen auf mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Doch gibt es ebenso Strukturen, nur anders angeordnet. Hier verteilen sich Aufgaben horizontal in Rollen und Kreisen, die jeweils eigene Entscheidungsgewalt innehaben. Die Person, die sich am besten für die Aufgabe eignet und eine entsprechende Rolle inne hat, entscheidet auch eigenverantwortlich darüber. Ohne sich bei einer anderen Person rückversichern zu müssen. Damit werden Flaschenhälse abgebaut und Motivation gesteigert. Auch können Strategien festgelegt werden, vertreten durch die Rollen, die involviert und betroffen sind.

Zusammenfassend handelt es sich dabei gerade nicht um eine Form der Basisdemokratie, sondern klar verteilte Zuständigkeits- und damit Hoheitsgebiete. Und einen damit einhergehenden Anstieg an Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeiter. Durch fehlende Endlosdiskussionen und spezielle Meetingformate beschleunigt sich zudem die Arbeit und wird produktiver. Flaschenhals adé – Entscheidungen gehen leichter von der Hand.

Und da plötzlich jede Rolle elementar wichtig ist und Entscheidungen trifft, steigen Verbundenheit, Identifikation und Engagement der Mitarbeiter sprunghaft an. Es lassen sich aber auch einzelne Aspekte aus dem Bereich der Selbstorganisation hervorragend in klassisch geführten Unternehmen etablieren. Es empfiehlt sich nicht immer alles sprichwörtlich über das Knie zu brechen. Hier lautet die Devise: steter Tropfen höhlt den Stein. Veränderung geschieht nach und nach.