Kreativität in Organisationen wächst wie zarte Pflanzen

“Kann ich das?“ oder „Will ich das?“

In der Lernforschung, einem Unterbereich der Psychologie, spielt das Konzept des „Growth Mindset“. Der Mensch ist von Natur aus als Lernmaschine angelegt. Wir haben gegenüber anderen Tieren nur wenige physiognomische Vorteile, aber unser Vermögen, uns neue Fähigkeiten anzueignen, hebt uns von allen anderen Lebewesen ab. Und trotzdem gibt es massive Unterschiede zwischen Menschen. Manch einer vertieft sich in einen neuen Wissens- oder Könnensbereich nach dem anderen und geht als Experte hervor; andere kämpfen ihr Leben lang mit den Themen Bildung und Lernen. Unter den vielen Faktoren, die auf die Lernfähigkeit des Menschen eine Wirkung haben, sticht einer hervor: Die Einstellung gegenüber Lernen an sich.
Hier unterscheiden die Psychologen zwischen eben dem „Growth Mindset“ und dem „Fixed Mindset“. Letzteres fußt auf dem Glaubenssatz, dass ich so bin, wie ich bin, ohne große Chance auf Veränderung oder gar Wachstum. Die Aussage „Das kann ich einfach nicht…“ ist klar dem Fixed Mindset zuzuordnen, während eine Aussage wie „Das kann ich noch nicht sehr gut.“ eher dem Growth Mindset entspricht. Deutlich subtiler, aber nicht weniger wichtig, sind aber auch Aussagen in die andere Richtung. Wer davon spricht, dass er „Talent“ hat, der denkt im Rahmen eines Fixed Mindset. Talent ist angeboren und unveränderlich. Habe ich es, bin ich gut in etwas. Habe ich es nicht, werde ich nie gut darin. Durch verschiedenste Versuchsreihen haben Psychologen aber gezeigt, dass Menschen alleine dadurch massiv besser lernen, dass man ihnen das Konzept des Growth Mindset näherbringt. Die Versuchsreihen selbst widerlegen damit den Gedanken des Fixed Mindset.
Natürlich soll das nicht heißen, dass jeder in allem Fertigkeiten auf Weltspitzenniveau erreicht, und auch nicht, dass jeder in allem gleich gut werden kann. Wir alle haben nur begrenzte Zeit zur Verfügung und müssen entsprechend Prioritäten setzen. Es geht eher um eine grundlegende Vorgehensweise: Statt zu fragen, ob ich etwas kann, sollte ich erst einmal fragen, ob ich etwas will.

Trial-and-Error

Damit sind wir auch bei der Verbindung zu Kreativität und Innovation angelangt. Kreativität ist im Kern eine grundlegend menschliche Art des Lernens. Sie erklärt, warum wir den Tieren in dieser Hinsicht haushoch überlegen sind. Denn wenn bislang kein Wissen vorhanden ist, um ein bestimmtes Problem zu lösen, dann muss ich mich einer Lösung über Trial-and-Error annähern. Aber während Tiere nur auf das Zurückgreifen können, was sie bereits früher einmal versucht oder gesehen haben, kann der Mensch auf seine Vorstellungskraft zurückgreifen, um noch mehr Kombinationen und Verbindungen von bestehenden Kenntnissen herzustellen. Ich löse Probleme, indem ich neue Lösungswege ausprobiere, und wenn ich Erfolg habe, dann entsteht Expertise. Damit dieser Prozess funktioniert, muss ich aber erst einmal daran glauben, dass ich überhaupt Erfolg haben kann.
Damit stehen Organisationen vor derselben Herausforderung wie Individuen. Das Fixed Mindset vieler Menschen überträgt sich häufig auf die Organisation. Wenn ich nicht glaube, dass ich mir nicht zutraue, dass ich lernen und mich verändern kann, dann blockiere ich auch Veränderungen. Neue Ideen werden dann als unüberwindbare Hürde oder gar als Bedrohung wahrgenommen. Selbst hinter der berühmt-berüchtigten Phrase „Das haben wir schon immer so gemacht!“ steckt häufig eine Prise Zweifel daran, dass man es überhaupt schaffen kann, selbst wenn man es will. Eigentlich sollte das „Wollen“ vor dem „Können“ stehen; aber wenn ich an das „Können“ nicht glaube, dann will ich auch nicht.

Desirability und Feasibility

Im Design Thinking sprechen wir häufig von den Begriffen „Desirability“ und „Feasibility“, also der „Wünschenswertigkeit“ und der „Machbarkeit“. Wenn ich ein Produkt entwickeln möchte, dann sollte ich erst einmal klären, ob meine Kunden das überhaupt als wünschenswert erachten. Die Machbarkeit steht erst an zweiter Stelle, denn ein machbares Produkt, dass niemand haben will, wird zum Ladenhüter. Auch hier zeigt sich wieder das Growth Mindset: Wenn ich über mögliche neue Angebote nachdenke, muss ich es schaffen, über Desirability nachzudenken. Im Hinterkopf brauche ich dann das Selbstbewusstsein, dass ich die Hürde der Machbarkeit schon nehmen werde. Schaffe ich das nicht, blockieren mich Zweifel und Angst auf dem Weg zur Innovation.
Damit ist die eigene Kreativität immer stark davon beeinflusst, ob ich grundlegend daran glaube, dass ich wachsen und mich verändern kann. Genauso wird die Kultur von Organisationen von dieser Einstellung der Mitarbeiter geprägt. Je mehr Menschen in einer Organisation daran glauben, dass sich das Kollektiv verändern kann, umso mehr können auch Kreativität und Innovation gedeihen.