In a nutshell:
Effizienz und Innovation sind für Unternehmen gleichermaßen wichtig, folgen aber völlig unterschiedlichen Logiken. Insbesondere, wenn es um radikale Innovation geht. Während Lean-Ansätze und Effizienzdenken inkrementelle Verbesserungen gut unterstützen, wirken sie auf Suchbewegungen ins wirklich Neue oft wie ein Bremsklotz. Organisationen brauchen daher bewusst gestaltete Räume, in denen andere Regeln gelten: keine ROI-Logik, sondern leistbarer Verlust, Exploration und Experimente. Entscheidend ist, klar zu unterscheiden, welche Art von Innovation man verfolgt und Strukturen, Steuerung und Erfolgskriterien darauf auszurichten.
Viele Unternehmen drehen seit Jahren an der Effizienzschraube: Durch Lean Management versuchen sie Verschwendung zu vermeiden und durch kontinuierliche Verbesserung die Dinge immer besser zu machen. Gleichzeitig wollen sie innovativ sein, neue Wachstumsfelder erschließen und so aus dem Preisdruck kommen.
Beides klingt vernünftig. Und stellt sich im Alltag oft als Gegensatz dar!
Vijay Govindarajan und Chris Trimble , die Autoren des buches „Other Side of Innovation“, sprechen sogar von einer fundamentalen Inkompatibilität.
Die meisten Unternehmen brauchen eigentlich ein „sowohl als auch“. Gleichzeitig scheint es, als gehen Innovation und Effizienz nicht gleichzeitig und es handelt sich um ein „entweder – oder“.
Lean vs. Innovation, wirklich entweder – oder?
Dazu lohnt sich ein genauerer Blick darauf, was wir unter Innovation verstehen.
Bei Innovation lassen sich verschiedene Arten unterscheiden: Auf der einen Seite des Kontinuums steht die inkrementelle Innovation. Hierbei handelt es sich um etwas Neues, das jedoch relativ nahe am Bestehenden ist: Eine graduelle Veränderung. Iain Kerr und Jason Frasca sprechen von „change in degree“. Das lässt sich zum Beispiel beim jährlichen Schauspiel rund um die Einführung neuer Smartphone-Modelle beobachten. Weil es nichts wirklich Neues mehr gibt, betonen die Unternehmen, dass das Gerät nun noch dünner und die Kamera noch ein bisschen hochauflösender ist. Sie hoffen, dass Konsumenten dass genauso „super exciting“ finden wie die Präsentatoren.
Auf der anderen Seite des Kontinuums, sprechen Kerr und Frasca von einem „change in kind“, also eine Veränderung der Art: Radikaler Innovation. Der Grad des Andersseins und Neuseins ist so hoch, dass es sich nicht mehr um eine Fortführung des Bestehenden handelt und auch nicht durch die Weiterentwicklung des Bestehenden erreicht werden kann. Das erste Smartphone war keine kontinuierliche Weiterentwicklung des damaligen Mobiltelefons.

Je höher der Grad der Neuheit einer Innovation ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen sich dadurch ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen kann. Der Markt ist dann bereit eine Innovationsprämie zu bezahlen. Zumindest für eine gewisse Zeit. Wenn diese Art der Innovation für ein Unternehmen relevant ist, dann sieht man den Konflikt mit dem Lean-Gedanken.
Das unten stehende Bild zeigt auf, wie unterschiedliche die Kriterien für beides sind.
Wenn eine Organisation die Wahrscheinlichkeit erhöhen möchte, nicht-inkrementelle Innovation hervorzubringen, dann sind viele der dafür notwendigen Praktiken alles andere als lean!
Radikale Innovation findet unter Bedingungen von Ungewissheit statt. Oft gibt es kein klares Ziel, sondern nur eine grobe Ziel- oder besser: Suchrichtung. Dann braucht es Zeit, um zu erkunden und ausprobieren. Der Großteil dieser Suchbewegungen wird zu nichts führen und braucht trotzdem viel Zeit, Muße und eine hohe Toleranz für Unsicherheit.
Dieser Prozess lebt davon, dass Menschen mit ihrer Umwelt interagieren, sie besser verstehen und bewusst Varianz erzeugen, um die Möglichkeit für Veränderung zu erhöhen.
Das Vorgehen für Innovation wirkt aus Lean-Sicht maximal verschwenderisch!
Welche Kriterien gilt es anzulegen?
Besonders börsennotierte Unternehmen spüren die Schizophrenie dieses sowohl als auch. Einerseits möchte der Markt jedes Quartal gute Zahlen sehen. Diese lassen sich leichter dadurch erzeugen, indem eine Organisation noch Effizienzpotentiale hebt. Auf der anderen Seite entstehen Börsenkurse aufgrund von positiven Zukunftserwartungen. Dafür braucht es eher Innovation. Die Innovationsanstrengungen für morgen versauen uns die Zahlen von heute. Innovation und besonders radikale Innovation ist ein Investment mit ungewissem Ausgang.
Besonders bei radikaler Innovation macht es aufgrund der hohen Ungewissheit auch keinen Sinn, mit Kriterien des Return on Investment zu denken. Die Ungewissheit ist viel zu hoch. Stattdessen ist ein effektuierendes Vorgehen sinnvoller, z.B. ein Denken in leistbarem Verlust.
Ein Unternehmen kann Innovation aber nicht nur radikal denken, der Ausgang wäre viel zu ungewiss. Deshalb spielt bei den meisten Firmen berechtigterweise die inkrementelle Innovation eine wichtige Rolle. Diese ist deutlich planbarer, auch wenn die zu erwartende Innovationsprämie geringer ist.
Was also tun?
Das kommt auf die aktuelle Situation des Marktes und des Unternehmens an und die Frage, ob das Pendel aktuell wieder etwas mehr in die innovative oder die effiziente Richtung schwingen sollte. Und die Frage, welche Art(en) von Innovation verfolgt werden sollen.
Folgende Reflexionsfragen könnten dabei erste Hinweise geben:
- Welche Art von Innovation ist für uns relevant? Inkrementelle Innovation, radikale Innovation? In welchem Verhältnis?
- Wo kommt bei uns die Lean-Logik zum Einsatz?
- Gibt es Bereiche, wo es statt dessen eigentlich mehr Exploration und Ausprobieren bräuchte?
- Nach welchen Kriterien wird Erfolg gemessen? (Und passen diese zu Art der Aufgabenstellung?)
Größere Unternehmen mit mehr Ressourcen können in der Tat versuchen beides gleichzeitig zu denken und zu machen. Meist in getrennten Einheiten oder Bereichen für die dann jeweils andere Regeln gelten. In diesem Sinne sind große Organisationen eigentlich prädestiniert dafür zu innovieren. Warum das meist leider trotzdem nicht so einfach ist, hat Clayton Christensen in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ beschrieben.
Als Innovations- und Organisationsberater arbeiten wir mit Kunden dann daran, Änderungen auf der Formalstruktur vorzunehmen, die ein bestimmtes Verhalten in die eine oder andere Richtung wahrscheinlicher machen. Meist ist die Fähigkeit der Organisation zur Innovation deutlich herausfordernder als das Denken in Effizienzmaßnahmen.
Fragen die sich dann stellen:
- Durch welche Veränderung an Regeln, Zielen oder Prozessen könnten wir ein anderes Verhalten wahrscheinlicher machen?
- In welchen Bereichen ist das überhaupt relevant?
- Welche organisationalen Rahmenbedingungen stehen unserer Zielrichtung aktuell im Weg?
- Wie könnte ein kleiner erster Schritt in Richtung einer Veränderung aussehen? (und mit welchen Gegenbewegungen ist dann zu rechnen?)
Mit diesen ersten Leitfragen nähern wir uns möglichen Handlungsfeldern, die wir gemeinsam mit unseren Kunden in Form Experimenten bearbeiten.
