Interview mit Christian Kreutz zum Thema Holacracy
Christian Kreutz, Geschäftsführer der crisscrossed GmbH, berät Firmen und Organisationen zu Open Innovation und entwickelte die Innovationsmanagement Software WE THINQ.
Herr Kreutz, Sie haben vor einigen Monaten in Ihrem Beratungs- und Software-Unternehmen Holacracy eingeführt. Viele Menschen können mit dem Begriff vermutlich nichts anfangen. Was ist Holacracy eigentlich?
Für mich ist Holacracy eine demokratische Zusammenarbeit im Unternehmen und generell ein anderes organisationales Verständnis, wie man in einem Unternehmen zusammen arbeitet. Man könnte hier auch den Begriff „flach“ verwenden. Es ist eine Zusammenarbeit bei der jeder seine Verantwortung besser wahrnimmt und man gemeinsam schneller und demokratischer zu besseren Entscheidungen gelangt.
Was sind die Hauptmerkmale von Holacracy, die das Konzept von traditionellen, hierarchisch organisierten Unternehmen unterscheiden?
Es ist sehr flexibel. Über die Art wie man sich organisiert, passt es sich fast automatisch Neuerungen und Entwicklungen an, da Holacracy sehr viele Freiheiten lässt.
Damit ist es ein bisschen wie das Gegenstück zu einem Business Plan, wo ich versuche vieles im vornherein zu planen.
Ein Grundprinzip ist es, Rollen zu definieren, die sich in sogenannten Kreisen befinden.
Die Rollendefinition findet in Workshops oder Besprechungen statt, in welchen es darum geht, ein Abbild der Firma zu erstellen. Man definiert mit den Rollen nicht nur das Bestehende, sondern kann auch Rollen definieren, die im Moment noch gar nicht ausgefüllt werden können. Hier kommt nun die Flexibilität ins Spiel, da man sich als Unternehmen fragt, welche Rollen man noch benötigt.
Das alles wird in einen kontinuierlichen Prozess gebracht. Dadurch bewegt sich die Firma immer in Richtungen in die sie hin sollte und verlässt fast automatisch Felder, die sie nicht mehr benötigt.
Das ist für mich sehr spannend. Das ist ein großer Gegensatz zu funktional definierten Organisationen, wo oftmals eine statische Struktur vorgegeben ist. Wenn Mitarbeiter nun selbst ihre Rollen und Verantwortlichkeiten definieren, kommt es fast automatisch dazu, dass Menschen miteinander reden, um die Rollen richtig festzulegen. Damit kommt Bewegung ins Spiel. So können auch Spannungen, die existieren, aufgegriffen und bearbeitet werden.
In dieser Rollendefinition steckt unglaublich viel Energie und Motivation, weil man seine Rolle selbst definiert und mit anderen darüber diskutiert und reflektiert, was bestimmte Punkte für meine Rolle und die Rolle eines anderen bedeuten.
In der Rolle kann ich also autonom Entscheidungen treffen?
Ja, genau. Das System ist so ausgerichtet, dass zu jeder Rolle auch die Verantwortung gehört, die man sehr stark autonom wahrnehmen kann.
Die Rollen sollen meiner Meinung nach möglichst dem entsprechen, wo sich Menschen selbst sehen, was sie gut können und wo sie glauben, das Unternehmen weiter bringen zu können. Das kann natürlich auch zu Spannungen führen, wenn Menschen zum Beispiel darauf pochen, bestimmte Dinge übernehmen zu wollen, die aber in der Mehrheit als wenig nützlich gesehen werden.
Diese Spannungen werden nun jedoch nicht über Hierarchien gelöst, sondern zwischen den Rollen mit Hilfe eines Facilitators. Konflikte werden dadurch extrem versachlicht, weil Konflikte zwischen zwei Rollen ausgehandelt werden. Hierarchien müssen nicht eingreifen.
In deutschen Unternehmen muss es ja rein rechtlich einen Geschäftsführer geben. Intern gibt es diese Funktion dann nicht mehr? Sie können nicht mehr schalten und walten, wie es ein Geschäftsführer kann, sondern immer nur im Rahmen Ihrer Rolle?
Ja und Nein. Die Rollen sind sehr eigenverantwortlich organisiert. Trotzdem habe ich auch bei Holacracy die Möglichkeit zu steuern. Das ist sogar entscheidend. Es gibt die hilfreiche Trennung zwischen sogenannten „Governance Meetings“ und „Tactical Meetings“. Das ist ein Segen. Wenn es sachlich um Projektinhalte und operative Fragen geht, gibt es dafür die taktischen Besprechungen. Sobald etwas hoch kommt, was mit Governance zu tun hat, wie zum Beispiel die Notwendigkeit einer neue Rolle oder eine veränderte Rolle, dann gibt es dafür die Governance Meetings.
In diesen Governance Meetings wird diskutiert, welche Rollen geschaffen werden müssen und wie die „Policies“ dafür lauten.
In operativen Besprechungen gibt es auch ganz klare „Metrics“, also Messkriterien. Da gibt es ganz klare Zahlen, die monatlich oder quartalsmäßig abgefragt werden. Diese Kriterien sind ein klares Steuerungselement. Es gibt definierte Ziele und Verantwortliche, die Ziele erreichen müssen. Wie diese Kriterien definiert werden, ist wiederum eine Steuerungsfrage.
Die Zuteilung von Budgets zu Rollen obliegt nach wie vor dem Geschäftsführer. Über Finanzen und Messkriterien verfüge ich somit über wichtige Steuerungsinstrumente.
Man kann es am Ende vielleicht nicht mehr Geschäftsführer nennen, trotzdem ist es eine modernere und flexiblere Art und Weise ein Unternehmen zu steuern.
Was war der Auslöser für Sie, über die Einführung von Holacracy nachzudenken?
Für mich war Holacracy so spannend, weil es zu unserer Unternehmensvision passt. Wir predigen Open Innovation, das heißt auch, dass wir selbst in einer offenen Form zusammen arbeiten müssen. Weil wir an die Kompetenzen unserer Mitarbeiter glauben, können wir nicht mit den traditionellen Ansätzen rangehen.
Ganz wichtig ist auch, dass wir mit Holacracy etwas haben, mit dem wir uns flexibel unterschiedlichen Gegebenheiten anpassen können und gut über Distanzen arbeiten können. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin in London und einen Programmierer in München. Holacracy zusammen mit der Glassfrog Software bietet mir eine gute Möglichkeit, das Bild der Organisation zu systematisieren und überall abrufbar zu machen. Über die Policies und die Strukturelemente kann ich das Bild der Organisation für jeden sichtbar und einsehbar machen.
Da spielt auch Wissensmanagement stark hinein. Wenn eine Person das Unternehmen verlässt, kann eine neue Person über Glassfrog alle Policies sehen und eine Chronologie dessen sehen, was in der Organisation passiert ist. Damit bestehen sofort Anknüpfungspunkte an die Organisation. Jemand kann zum Beispiel sehr schnell sehen, welche Rollen noch fehlen.
Meine Hoffnung ist es, dass Holacracy uns hilft, Leute, die nur für ein paar Monate oder Teilzeit für uns arbeiten, einfacher an uns zu koppeln und mit uns zusammenzuarbeiten.
Ich habe in dieser Hinsicht durch Holacracy viel gelernt. Ich habe früher nicht so an Policies geglaubt, sondern mehr auf Zuruf gearbeitet. Jetzt sehe ich, wie hilfreich es ist, Policies zu diskutieren, die Ergebnisse nieder zu schreiben und damit explizit zu machen. Das kann ein sehr heilsamer Prozess sein.
Der Einführungsprozess von Holacracy soll je nach Firmengröße 6 – 9 Monate in Anspruch nehmen. Können sich neue Mitarbeiter in dieses System leicht einfügen?
Die Offenheit der Methode sollte den Einstieg erleichtern. Wir hatten vielleicht auch Glück, weil wir relativ Junge Leute haben, die das Konzept super fanden. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sich Menschen damit schwer tun, besonders, wenn typische Funktionsbeschreibungen und Organisationstrukturen gewohnt sind. Dann kann es sicherlich zu Konflikten kommen.
Für welche Art von Organisationen eignet sich Holacracy Ihrer Meinung nach?
Es braucht vor allem die Führungskräfte, die stark an die Eigenverantwortung der Mitarbeiter glauben und interessiert daran sind, Dinge zu delegieren. Holacracy ist das Gegenteil von Micro-Management.
Ich vermute, es ist für kleinere Unternehmen erst einmal einfacher, Holacracy einzuführen. Zappos setzt es glaube ich schrittweise um, auch aufgrund der Größe.
Der crisscrossed GmbH liegt es kulturell einfach, weil wir auch zuvor schon mit Getting Things Done gearbeitet haben und uns eine sehr systematisch strukturierte Arbeitsweise liegt. Es gibt aber sicherlich Organisationen, die da eine Gänsehaut bekommen, wenn sie die Begriffe Metrics und Checklisten hören. Das führt dort vielleicht schnell zu Ängsten.
Ich persönliche sehe Holacracy als eine große Ermächtigung von Menschen im Unternehmen.
Welche Rolle spielt die Glassfrog Software (von den Erfindern von Holacracy)?
Für uns ist die schon wichtig. Die Software bildet die beiden Meeting-Typen sehr gut ab (Tactical und Governance). Es gibt Kreise und Policies, die dort ebenfalls abgebildet werden. Für uns funktioniert das gut. Andererseits ist es sehr wichtig, dass die Software diszipliniert genutzt wird.
Haben Sie Holacracy nun bei sich schon fertig eingeführt oder stehen da noch Veränderungen an?
Ich würde sagen, das ist bei uns jetzt am Laufen. Das schöne bei unserer Unternehmens-Größe ist, dass wir auch nicht alle Elemente von Holacracy umsetzen müssen, weil die Abstimmungsprozesse einfach sind.
Bei größeren Organisationen muss da sicherlich mehr angepackt werden, besonders weil die Abstimmungsprozesse komplexer und aufwändiger sind.
Sie haben sich extern bei der Einführung unterstützen lassen?
Ja, Martin Röll hat uns als Berater unterstützt.
Wir haben dennoch einen Großteil selbst geleistet. Auch Glassfrog ist da für uns eine Leitplanke.
Was ist der größte Gewinn für Sie seit Ihre Firma im Juni 2014 Holacracy eingeführt hat?
Die Firma wird besser abgebildet und wir sind damit beweglicher und bleiben flexibler. Außerdem funktioniert die Delegation besser. Durch die Rollen läuft vieles effizienter, eindeutiger und systematischer.
Für mich persönlich heißt das, dass ich in einer anderen Logik denke, bei der ich viel mehr versuche zu delegieren. Ich überlege stärker, wie ich Menschen dabei unterstützen kann, eine Rolle gut auszufüllen. Damit habe ich auch weniger zu tun!