Vor ein paar Wochen war ich wieder einmal beim Design Thinking Meetup in München zu Gast. Die Veranstalter hatten an diesem Abend Christine Riefler von BMW eingeladen, die zum Thema „Typisch Deutsch – Design Thinking in Deutschland clash of cultures?“ referierte. Auch die anschließende Gesprächrunde unter den Teilnehmer verlief sehr divers. Ich möchte in diesem Artikel einen kleinen Nachklapp zu diesem Abend machen. Aber auch selbst einmal der Frage nachgehen, passen Design Thinking und die deutsche Arbeitskultur eigentlich zusammen?
Die deutsche Arbeitskultur
Christine Riefler hatte einige Punkte von Hermann Bausingers „Typisch Deutsch“ als Grundlage ihres Vortrages verwendet:
- Hart arbeiten = Arbeit muss weh tun
- Reguliert = Verlässlichkeit
- Stabilität = Sicherheit
- Ingenieurwesen = Zuverlässigkeit (100%)
- Formal = Effizienz / Spezialisierung
- Distanziert = Ernsthaftigkeit
- Erfolgskultur = Egoismus / persönliche Karriere
Viele deutsche Unternehmen sind mit diesen Tugenden groß und erfolgreich geworden. Das Sigel „Made in Germany“ genießt Ansehen in der ganzen Welt.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden Erfolge gefeiert mit Innovationen, die auf die Themen „Wirtschaftliche Rentabilität“ und „Technische Machbarkeit“ ausgerichtet waren. Sehr intelligente und hoch spezialisierte Menschen haben für ihre Firmen Geschäftsmodelle geschliffen und den technischen Fortschritt in neue Produkte überführt. Die deutschen Tugenden waren dabei mehr als dienliche Helferlein. Aber soweit, so gut. Denn unsere Welt ist schneller, komplexer und unsicherer geworden.
Unternehmen im Zeitenwandel
Spätestens seit dem Siegeszug des Internets haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Der Mensch (als Nutzer/Kunde) ist so gut informiert, wie noch nie zuvor. Er möchte so individuell sein, wie nie zu vor. Er will gehört und gesehen werden, wie nie zu vor. Es braucht eine andere Herangehensweise, um neben der „Wirtschaftlichen Rentabilität“ und der „Technischen Machbarkeit“ auch das „Verlangen der Menschen“ wieder stärker in den Entwicklunsprozess von neuen Produkten und Dienstleistungen zu verankern. Design Thinking als nutzerzentrierte Methode kann hier ansetzen.
Auch steht uns die deutsche Fehler-Kultur im Weg. Die deutsche Tradition im Ingenieurwesen begünstigt eine Fehlervermeidung. Fehlervermeidung bedeutet aber auch auf gewohnten Wegen zu bleiben und keine Risiken einzugehen. Wenn ich nun das Gegenteil von Fehlervermeidung anstrebe, darf es aber auch nicht Sorglosigkeit bedeuten. Es ist schlicht eine Frage der Perspektive auf das Fehler machen, die sich zunehmend ändert. In Deutschland sollen die Produkte, gemäß unserer (deutschen) Vorstellung, möglichst perfekt ausgeliefert werden und lange tadellos funktioneren. Jede Fehlerquelle wird im Vorfeld in Testläufen gesucht und beseitigt. Dies kann in der Entwicklung jedoch sehr viel Zeit fressen und Chancen am Markt zunichtemachen.
Die Amerikaner machen das anders, v.a. die Jungs im Silicon Valley. Dort wird ein Produkt möglichst schnell auf den Markt gebracht – gut genut, trotz Fehlern. Von Sorglosigkeit ist aber auch hier keine Spur. Die Produkte lassen sich nämlich zunehmend auch von außen aktualisieren und somit mögliche Fehler auch nach Auslieferung beheben. Man kann es auch als einen iterativen Prozess der Weiterentwicklung sehen. Google bringt meinem Smartphone ständig neue Dinge bei und schließt so Entwicklungslücken. Wenn mein Smartphone das kann, soll das aber bitte auch mein Kühlschrank usw. Durch den Umgang mit dieser Technik ensteht bei uns Nutzern natürlich eine Erwartungshaltung: Ich möchte Technik nutzen, die sich aktualisieren kann und am besten wird mein Feedback in den Entwicklungsprozess mit eingebunden werden. Auch hier kann Design Thinking mit seinem iterativen, experimentellen Prozess ansetzen.
Design Thinking und die Kulturfrage
Ich sehe Design Thinking als Chance, denn der Nutzer wird sehr früh mit einbezogen. Seine Probleme, Bedürfnisse und Wünsche sind der Ausgangspunkt für Innovation und bei der Produktentwicklung wird er erneut sehr früh nach seiner Meinung gefragt. Hier liegt jedoch auch der erste Hacken, denn Kundenfeedback ist für ein Projekt immer schwierig, da es nicht planbar ist. Design Thinking Projekte sind zudem meist ergebnisoffen und haben keine Erfolgsgarantie. Arrgghhh, denkt sich nun vielleicht der deutsche Ingenieur. Auch sind die Unternehmensstrukturen und -kulturen für per se nicht für Design Thinking geschaffen. Ist doch ein Grundprinzip im Design Thinking das Arbeiten in gemischten, hierarchiefreien Teams.
Man merkt schon, dass Design Thinking und die deutsche Arbeitskultur nicht so richtig zusammenpassen wollen. Aber Design Thinking ist für viele Unternehmen eine Möglichkeit neue Impulse für ihre Produkte und Geschäftsmodelle zu erhalten – und zwar direkt von ihren Kunden und Nutzern. Die Unternehmenskultur muss diese jedoch Arbeitsweise auch zulassen. Und da sehe ich die meiste (Überzeugungs-)Arbeit, die es zu leisten gilt. Design Thinking kann auch nicht Top-Down verordnet werden. Es braucht einen initialen Start mit einem Team aus mehreren Ebenen eines Unternehmens. Und es braucht Mut und Durchhaltvermögen, denn diese Arbeitsweise ist anders, anders als unsere deutschen Tugenden. Aber sie kann uns helfen, dass „aus dem Optimierer wieder ein Entwickler wird.“
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