Die „Acht Unsterblichen“ aus der chinesischen Mythologie
Wissenschaft oder Wahnsinn?
Das neue Jahr hat begonnen – zum Start verbreite ich gleich eine frohe Botschaft: Wir werden bald alle ewig leben! Kling verrückt? Ist es vielleicht auch. Der britische Forscher Aubrey de Grey jedoch ist davon überzeugt, dass nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Unsterblichkeit in greifbarer Nähe ist.
Ich hatte de Grey im November auf der TEDx Munich Conference gesehen. Der skurrile Engländer sieht mit seinem langen (wirklich langen!) Bart so aus, wie man sich eine jüngere Version von Methusalem vorstellen würde. Hier ein Link zu seinem seiner TED Talks: https://www.ted.com/talks/aubrey_de_grey_says_we_can_avoid_aging). Er war auf der Bühne ebenso eloquent wie amüsant. Für viele Lacher sorgte seine wiederholte Erwähnung, dass das Altern die häufigste Todesursache des Menschen und damit „not quite so good“ sei.
In seinem Buch „Ending Aging: The Rejuvenation Breakthroughs That Could Reverse Human Aging in Our Lifetime” beschreibt de Grey seine ebenso spannende wie umstrittene Theorie des Alterns, und wie wir den Alterstod überwinden können.
Gibt es einen natürlichen Tod?
Seine Theorien bewegen sich dabei in einem weiten Spektrum: Von mittlerweile durchaus salonfähigen Konzepten aus der Gerontologie (Altersforschung) über Gedanken, die an der Spitze dieses wichtigen Forschungsfeldes stehen, bis hin zu visionären, radikalen Ansätzen. Seine Grundthese: Es gibt keinen „natürlichen“ Tod, bei dem der Mensch gesund am Ende eines langen Lebens entschläft. Stattdessen gibt es Krankheiten wie Alzheimer, Alters-Diabetes und Krebs sowie generelle Krankheitsbilder des Verfalls (wie Immunschwäche und Arterienverhärtung), die früher oder später zum Tod führen.
Dass es überhaupt so weit kommt, liegt daran, dass der menschliche Metabolismus nicht sehr effizient arbeitet – zumindest nicht auf Dauer. Bestimmte Prozesse im menschlichen Körper produzieren Abfälle und verursachen Schäden, die der menschliche Organismus nicht verarbeiten bzw. reparieren kann. Nach jahrzehntelangem Leben erreichen diese irgendwann kritische Masse und verursachen dann schwere pathologische Schäden – in der Form dessen, was die meisten von uns als „natürliche“ Alterserscheinungen ansehen. Evolutionär gab es einfach keinen Vorteil für Menschen, die durch Mutation einen effizienter laufenden Metabolismus in die Wiege gelegt bekamen. Bis es nämlich soweit kam, dass so ein Metabolismus überhaupt irgendetwas gebracht hätte, war man in Urzeiten schon längst durch wilde Tiere, Krankheiten, Hunger, Kälte oder durch andere Menschen zu Tode gekommen.
Kampf gegen das Alter
Soweit, so unspektakulär. Die eben kurz skizzierte These des Alterns durch pathologische Schäden ist, gemessen am Forschungsstand der modernen Gerontologie, noch nicht sonderlich radikal. Neue Wege beschreitet de Grey mit seinem sogenannten „Engineering“-Ansatz. Er geht davon aus, dass man die ineffizienten Prozesse des Körpers nicht verändern muss, wenn man nur die wichtigsten der entstehenden Schäden (er zählt sieben Hauptquellen von pathologischem Schaden) beseitigen kann. Das hat einen riesigen Vorteil: Man muss nicht (oder kaum) in komplexe, organische Prozesse eingreifen, die man zum heutigen Zeitpunkt sowieso noch nicht ganz versteht. Stattdessen hofft er auf regelmäßige Medikamentbehandlungen, Impfungen und Stammzellentherapie. Dass er diesen Weg gewählt hat, schreibt er selbst auch seiner Ausbildung zu. Er hat seinen ersten Abschluss nämlich in Cambridge als Informatiker gemacht. Erst später wechselte er in die Gerontologie, nahm dabei aber seine systembezogenen Denkansätze mit.
Genau dieser Quereinstieg wird ihm entsprechend häufig als Kritik vorgehalten. Im Kontrast zur Mehrheit an Experten der Gerontologie hat er keine Grundlagenforschung im Labor durchgeführt. Ob das den Wert seiner Theorien herabsetzt, kann ich nicht beurteilen. Aber einige seiner Vorschläge sind radikal. Die größte Hürde auf dem Weg zum ewigen Leben ist und bleibt der Krebs. Selbst moderne Therapieansätze reagieren nur auf Tumore. Es ist bislang keine dauerhafte Lösung in Sicht, um die exponentiell wachsenden, ressourcenfressenden Krebszellen in die Schranken zu weisen. De Grey schlägt daher eine extreme Lösung vor: Wenn wir Krebszellen nicht gezielt am Vervielfachen hindern können, sorgen wir eben dafür, dass sich gar keine Zellen im Körper teilen können. Da bestimmte Körperregionen aber auf Zellteilung – vor allem die Haut, Lungen und inneren Organe – angewiesen sind, müsste der Mensch nach einer solchen „Kur“ einmal pro Jahrzehnt entsprechende Stammzelleninfusionen erhalten. Die Abhängigkeit von dieser Technologie, die dadurch entstehen würde, ist nur eine der Nebenwirkungen. Auch die komplette männliche Sterilität wäre ein Nebeneffekt.
Forschung über den Tellerrand hinaus
Das erklärt die zwiegespaltenen Reaktionen auf de Greys Theorien unter seinen Kollegen und ebenso unter Laien. Ob seine theoretischen Ansätze tatsächlich irgendwann in die Realität umgesetzt werden, oder ob sie noch nicht einmal dafür geeignet sind, um die Richtung für grundlegende Forschung vorzugeben, ist schwer zu beurteilen. Spannend ist das Thema aber aus unserer Perspektive aus einem ganz anderen Grund: Aubrey de Grey ist der Inbegriff eines Visionärs, der „outside-the-box“ denkt.
Ganz abgesehen von seinem Studienhintergrund, der ihn im Feld der Gerontologie ja bereits zu einer Art Paradiesvogel macht, beschreibt er an mehreren Stellen im Buch, wie seine wissenschaftlichen Kollegen auf seine ungewöhnlichen Ideen reagieren. Viele seiner Gedanken stützen sich auf die Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsfeldern. Und während manche Kollegen den Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen zu sein scheinen, zeigen sich andere als eiserne Kritiker. Dabei fingen aber wohl auch einige seiner Verbündeten mit einer gehörigen Portion Skepsis an. Er beschreibt beispielsweise, wie er seinen radikalen Ansatz zur Krebstherapie nach und nach einem bereiten Kreis von Experten vorgestellt hat. Das gesamte Konzept, das von Natur aus außerordentlich disziplinärer Art ist, wurde von den meisten sofort als hanebüchen abgetan. Die Rückmeldung zu den einzelnen Bausteinen des Konzepts war jedoch eine andere. Die meisten Experten sahen kein Problem mit den Bausteinen, mit denen sie aufgrund ihrer Forschung vertraut waren. Nur bei den Elementen aus anderen Disziplinen waren sie davon überzeugt, dass es nicht machbar sei. De Grey vermutet, dass viele Experten bei Themen aus anderen Fachgebieten Vermutungen anstellen, indem sie von der eigenen Disziplin auf andere schließen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Vorgehensweise nicht nur bei Medizinern und Biologen verbreitet ist.
Der träge Mensch und das Neue
De Grey ist dabei niemand, der sich der Fantasie hingibt, dass man jeder spannenden Idee hinterherlaufen kann und soll. Da sich viele neue Ideen, gerade auch in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, später als Humbug herausstellen, ist eine gewisse Skepsis geboten. Aber in den Kreisen der Wissenschaft zeigt sich die negative Auswirkung der Trägheit der meisten Menschen. Passende Zitate anderer Wissenschaftler ergänzen de Greys eigene Beobachtungen, so zum Beispiel Max Planck:
„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“ (Wissenschaftliche Selbstbiographie, Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1948, S.22)
Oder, etwas sarkastischer, aber ebenso treffend, der britische Genetiker und Biologe J.B.S. Haldane:
“I suppose the process of acceptance will pass through the usual four stages: (i) this is worthless nonsense; (ii) this is an interesting, but perverse, point of view; (iii) this is true, but quite unimportant; (iv) I always said so.” (J.B.S. Haldane, Journal of Genetics Vol. 58, page 464 (1963).)
Was bedeutet das für uns? In unseren zahlreichen Innovationstrainings betonen wir immer wieder, wie wichtig es ist, den Wert in neuen Ideen zu suchen. Die Thesen von Aubrey de Grey sind ein sehr gutes Beispiel. Selbst wenn sein Gedankenkonstrukt seine Versprechungen nicht einlösen kann, sind vermutlich diverse Denkansätze enthalten, die die Forschung weiterbringen werden. Es ist immer einfacher, neue Ideen kurzum abzulehnen und zu vergessen. Wer aber die Zeit und Energie aufwendet, sich mit Innovation und Veränderung zumindest auseinanderzusetzen, der wird mit dem Potential belohnt, das solche Ideen in sich bergen.