Viele Menschen sind der Meinung, dass man sich für Kreativität eine spezifische Zeit nehmen muss, dass man die kreative Zeit einplanen sollte: „Ich nehme mir jetzt Zeit zum Malen“, „Wir haben den ganzen Vormittag in einem Kreativmeeting verbracht“.
Dieses ist selbstverständlich sehr wertvoll und kann entspannend, produktiv, effizient oder einfach nur schön sein, je nach Tätigkeit oder Aufgabe. Es ist aber nicht die einzige Art und Weise mit Kreativität umzugehen. Man kann, wenn man möchte, Kreativität so nahtlos in seinen Alltag einbauen, dass man im Idealfall den Unterschied zwischen kreativ und nicht kreativ garnicht mehr wahrnimmt.
Wie verändere ich meine Haltung?
Es sind die kleinen Dinge, die oft einen großen Unterschied machen. Man kann zum Beispiel durch den Alltag gehen und die spontanen, ungeplanten Dinge die einem begegnen, abblocken, oder sie annehmen oder sogar erweitern.
Mir ist es einmal passiert, dass ich in der S-Bahn saß und mich mit Kollegen über ein Paar Filme unterhalten habe, die wir in letzter Zeit gesehen hatten und über die Schauspieler, die in diesen Filmen vorkommen. An einer bestimmten Haltestelle stiegen meine Kollegen aus, die S-Bahn Tür ging zu und als der Zug weiterfuhr, setzte sich eine mir unbekannte Person zu mir und führte das Gespräch, dass ich soeben noch mit meinen Bekannten geführt hatte nahtlos weiter. Im ersten Moment war ich verwundert und auch etwas verwirrt, dass diese Person uns zugehört hatte und dass sie sich jetzt zu mir setzte. Dennoch freute ich mich darüber das Gespräch weiterführen zu können und über die Perspektiven und Meinungen meines neuen, spontanen Gesprächspartners. Den Aspekt von „Kreativität“ im weitesten Sinne, den ich in dieser Geschichte sehe, ist der, dass man sich oft unbekannten Situationen anpassen muss, bzw. kann, oder eben auch nicht. Ich hätte auch schockiert aufstehen, und das Abteil wechseln können, als Reaktion auf diesen spontanen „Überfall auf meine Intimität“.
Ein weiteres Beispiel bei dem mir auffiel, dass sich meine Haltung gegenüber „wilden“ oder „verrückten“ Ideen, beziehungsweise der Beurteilung dieser Ideen verändert hat, war beim Spielen mit meinem zweieinhalb Jahre alten Patenkind. Wir haben gemeinsam mit Duplo gespielt, und sie wollte, dass wir ihr ein Flugzeug bauen. Wir bauten also ein ziemlich rustikales und einfaches Flugzeug aus den Duplo-Steinen. Man konnte den Rumpf erkennen, und das Ding hatte zwei Flügel. Als wir es dann unter großem Getöse und Gelächter abstürzen und zerschellen ließen, wollte sie selber ein eigenes Flugzeug bauen. Dieses sah dann aus wie ein Turm, also ganz einfach ein Klotz auf dem anderen. Man hätte dem Kind jetzt natürlich sagen können: „Schau her, so kann das Flugzeug ja gar nicht fliegen, es braucht ja ein Paar Flügel, komm, lass uns Flügel bauen!“, was grundsätzlich sicher auch kein verkehrte Ansatz gewesen wäre. In dem Moment entschied ich mich aber dagegen, und ließ den Flugzeugturm genauso durch die Lüfte fliegen wie das „richtige“ Flugzeug zuvor, und es war genauso ein Heidenspaß!
Was passiert dann?
Ich merke wie diese „Kein ja, aber“ Haltung, die wir in unseren Trainings und Workshops versuchen zu vermitteln, sich mehr und mehr in meinen Umgang mit Menschen und Situationen einschleicht. Es ist immer leichter Ideen und Vorschläge anzunehmen, sie weiter auszubauen und zu meinen eigenen zu machen. Es ist sehr einfach kritisch zu sein, aber konstruktiv kritisch zu sein, bedarf Übung und Ausdauer, hat aber einen unglaublich positiven Effekt bei unserem Gegenüber. Außerdem fällt es mir leichter in Optionen zu denken, mich nicht selbst einzuschränken wenn es darum geht verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, denn Zeit zum verwerfen gibt es später noch genug.
Nach fast zwei Jahren als Kreativitäts- und Innovationscoach merke ich dass ich langsam anfange diese Werte und diese Haltung zu leben. Es braucht Zeit und viel Übung, aber vor allem Willen.