Vor Kurzem hatte ich die Gelegenheit ein Interview mit Daniel Überall, einem der beiden Gründer des Münchner Kartoffelkombinats zu führen.
Dieses sehr spannende Gespräch lief deutlich länger als ursprünglich geplant. Hier auf dem divergent-Magazin sind wir ja nicht an einen Maximallänge gebunden und daher werde ich es komplett veröffentlichen.
Mögen die Leser so viel Spaß und Neugier dabei haben, wie ich beim Führen des Interviews.
Für die Leute, die von euch noch nichts gehört haben. Was ist denn eigentlich das Kartoffelkombinat?
Unser Ziel ist der Aufbau einer gemeinschaftlich getragenen, regionalen und saisonalen Versorgungsstruktur. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir uns über eine Biogemüsegärtnerei aus dem Münchner Umland mit eigenem Gemüse versorgen. Man kann sich das so vorstellen, als würde man sein Gemüse im eigenen Garten anbauen. Das heißt, zu Beginn der Saison legen wir gemeinsam fest, was wir überhaupt anbauen möchten und welche Mengen wir davon brauchen. Dazu kommen Anfangsinvestitionen wie Saatgut, Werkzeuge und andere Dinge. Den Rest des Jahres muss man dann die Gemüsekulturen hegen und pflegen, bis sie reif sind und man die Früchte ernten kann. Wenn man das im eigenen Garten macht, wird man feststellen, dass dieses Gemüse deutlich besser schmeckt als das aus dem Supermarkt. Darüber hinaus wird man im eigenen Garten 100% der Ernte verwenden und nicht Gemüse aussortieren, weil es krumm ist oder andere „Mängel“ hat. Schließlich ist man über jede Gurke glücklich, die erzeugt werden konnte. Auch setzt sich niemand danach hin und berechnet einen Gemüsepreis in dem er die Gesamtkosten durch die Menge des geernteten Gemüses teilt. Die Investition und der Gemüseertrag stehen bei so einem Modell in keiner direkten Relation mehr. Genauso machen wir das auch, nur in einem größeren Maßstab. Wir arbeiten mit einer Gärtnerei zusammen, mit der wir eine Anbauabsprache machen. Wir finanzieren die Kosten vor, damit alle Investitionen getätigt werden können. Dann bekommen wir unsere Ernte, die wir dann genau wie mit den Kosten auf die Haushalte aufteilen.
Das Besondere bei euch ist, dass die Mitglieds-Haushalte im Kartoffelkombinat unternehmerisch beteiligt sind.
Genau. Eine normale Wertschöpfungskette in unserem Wirtschaftssystem läuft ja so ab: Es gibt jemanden, der etwas finanziert, dann jemanden, der produziert. Schließlich kümmert sich jemand um Logistik und Handel und dann gibt es den Verbraucher. Simpel ausgedrückt gibt es damit vier Stufen der Wertschöpfungskette. Jedes Kettenglied versucht nun, den eigenen Gewinn zu maximieren – zum Beispiel weil es Investoren gibt, die mehr Rendite wollen. Jeder versucht seinen Anteil zu maximieren, im Zweifel auch zu Lasten der vorhergehenden oder nachfolgenden Glieder in der Kette. Das ist bei uns nicht so. Bei uns sind alle vier Glieder die gleiche Person, in Form des Genossenschaftsmitglieds. Somit gibt es keinen Zielkonflikt. Das ist Personalunion, genau wie im eigenen Garten. Dort versucht man auch nicht im Anbau möglichst preisgünstig seine Gurken zu erzeugen. Man möchte vor allem, dass diese lecker schmecken. Da macht man sich im Vorfeld Gedanken über Saatgut und Dünger und das darf dann auch etwas teurer sein oder von der Anbaumethode ineffizienter als in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Das ist nur ein triviales Beispiel, aber im Prinzip ist es der Trick, eine Einheit zu schaffen, anstelle einer Wertschöpfungskette.
Das funktioniert bei uns aktuell schon mit Gemüse. Wir wollen allerdings eine Versorgungsstruktur schaffen und es damit auch komplexer werden lassen. Wir haben jetzt acht Partnerbetriebe, mit denen wir zusammenarbeiten, z.B. mit einer Bäckerei. Wir haben unsere eigene Imkerei gestartet und sind nun im Gespräch mit einem Obstbaubetrieb, der mit einer Nachfolgerproblematik zu kämpfen hat, den wir vielleicht übernehmen können. Es gibt da noch viel Potenzial im ganzen Thema Weiterverarbeitung von Produkten. Das kann allerdings auch noch viel weiter gehen zum Beispiel in den Bereich Dienstleistungen. In 20 Jahren brauchen wir vielleicht einen Altenpflegedienst. Warum sollten wir uns den nicht selbst organisieren?
Wo steht ihr im Moment?
Wir sind im Moment auf einem Erfolgskurs, wir nehmen jetzt keinen neuen Mitglieder mehr auf, weil der Stress für alle größer ist, als der Sinn für die Organisation. Im Herbst werden wir uns wieder vergrößern.
Dadurch, dass wir nicht gewinnmaximierend unterwegs sind, müssen wir keinerlei Eigenkapitalrendite erwirtschaften und können alles so gestalten wie es für uns und das System am besten ist. Das ist eine Luxussituation von der andere Unternehmen träumen, weil die darauf angewiesen sind, ständig Neukundenakquise zu betreiben und neue Abschlüsse zu erzielen. Teilweise auch, weil es einfach Jahreszielvorgaben gibt. Wir haben zwar auch einen Finanzplan, allerdings sind wir hier sehr konservativ und können es auch sein. Es spielt keine Rolle, ob wir 20 Haushalte mehr oder weniger sind.
Im Moment sind es 500 Haushalte. Mit einem gewissen Prozentsatz im Urlaub liefern wir im Schnitt 460 Kisten pro Woche aus.
Sind 500 eine gute Größe für euch?
Ja, ab 500 Haushalten haben wir eine Größe, bei der wir anfangen, uns ein Gehalt auszuzahlen und eine Teamassistentin einzustellen. Wir fangen nun an, unternehmerische Strukturen zu schaffen, mit denen man sinnvoll arbeiten kann. Bislang war das Ausbeutung von uns selbst. Wir mussten uns um alles selbst kümmern, da es sonst niemand gemacht hätte. Das ändert sich nun langsam.
Ihr gliedert euch durch euer Prinzip ja bewusst aus der wirtschaftlich effizienten Wertschöpfungskette aus. Warum ist das ein Konzept, für das jetzt die Zeit reif ist?
Gebraucht hat man das im Prinzip schon immer, man hat es nur die letzten 200 Jahre einfach nicht praktiziert. Man kann das Kartoffelkombinat heute vielleicht am einfachsten mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit begründen. In unserem jetzigen System werden diejenigen Organisationen und vor allem Unternehmen belohnt, die Kosten und Verantwortung externalisieren. Es werden die belohnt, die durch Raubbau ihre Gewinne maximieren. Wenn man es so macht, wie wir das tun, gibt es für Unternehmen eine völlig andere Verantwortungsebene. Unsere Gesellschafter haben eine andere Verantwortung füreinander und für das Konstrukt, mal abgesehen davon, dass wir fast nur Leute haben, die sehr intrinsisch motiviert sind. Die sind bereit, wirtschaftlich ineffiziente Wege zu gehen, weil sie das möchten. Nichts desto trotz begreifen wir uns sehr klar als Unternehmen und fürhen das Unternehmen auch entsprechend. Die Wirtschaftlichkeit unseres Tuns ist die Garantie dafür, dass es uns auch in 20 Jahren noch geben wird. Wir müssen uns allerdings nicht um jede Nachkommastelle kümmern.
Für Firmen im „traditionellen“ Wirtschaftssystem sind Wachstum und Gewinn wichtige Messgrößen für den Unternehmenserfolg. Wie lauten diese Größen für euch?
Hier haben wir noch eine gewisse Unschärfe. Wir sind noch nicht so operationalisiert, dass wir konkrete Messgrößen festgelegt haben. Im Kern steht aber die Zufriedenheit unserer Mitglieder. Aus diesem Grund sind wir auch eine Genossenschaft. Das ist eher ein qualitativer Aspekt und kein quantitativer. Gleichzeitig gibt es daraus abgeleitet einige taktische und operative Ziele, wie verschiedene Schwellen der Haushaltsgrößen und Mitarbeitergehälter. Unser Ziel ist es zum Beispiel, unseren Gärtnern ein deutsches Durchschnittsgehalt zu bezahlen. Ein ausgelernter Gärtner verdient für eine 40-Stunden Woche 1800 Euro brutto. Netto sind das vielleicht 1200 Euro. Dafür bekommt man in München noch nicht einmal eine Wohnung, geschweige denn ist man in der Lage ein moralisch-ethisch vernünftiges Leben zu leben und eine Familie zu gründen. Für uns ist aber eine vernünftige Entlohnung wichtig.
Man könnte jetzt herangehen und in langen Konsensdiskussionen darüber sprechen, was ein angemessenes und faires Gehalt ist. Da gibt es ganz spannende Modelle, wie das Bedarfseinkommen und ähnliches. Wir haben es aber einfach abgekürzt und festgestellt, dass wir nicht auf der Mondrückseite leben, sondern in eine Realität eingebettet sind. Gleichzeitig wollen wir dieses Teilziel nicht übergewichten. Wir haben entschieden, einfach den deutschen Durchnittslohn zu nehmen, damals 2500 Euro brutto. Das ist dann das Zielgehalt für die Gärtner.
Das zeigt vielleicht auch unsere Herangehensweise und warum wir um den Faktor X schneller sind als andere ähnliche Projekte.
Die Gärtner haben sich natürlich sehr darüber gefreut, dass wir für sie mitgedacht haben.Es gibt es leider viele Ökoprojekte, die den Sozialaspekt, wenn es dann um Geld geht, nicht mitdenken oder mitdenken können. Da gibt es dann die Argumentation des Social Returns on Investment, der dann einen schlechten Verdienst rechtfertigt. Das ist etwas, das für uns nicht sein kann. Jemand, der etwas für die Gesellschaft Gutes tut, sollte nicht schlechter verdienen, als wenn er bei BMW arbeitet. Selbstverständlich verdient man bei uns schlechter als bei BMW, aber man soll nicht weniger verdienen als den Durschnittslohn.
Ist euer Unternehmenskonzept und eure wirtschaftliche Denke für andere Unternehmen und Marktbereiche denkbar?
Ich glaube sogar, dass es langfristig gar nicht anders gehen wird. Alles andere ist Ausbeutung und Raubbau. Darauf kann man kein langfristig stabiles System aufbauen. Das funktioniert eine gewisse Zeit, früher oder später wird das allerdings zusammen brechen. Das passiert auch andauernd. Ständig gibt es Branchen und Unternehmen, die zusammenbrechen, es ist jedoch noch kein kompletter Systemkollaps. Wobei ich glaube, dass wir diesen durchaus schon haben, er findet nur in einem größeren zeitlichen Rahmen statt, als man es in seiner täglichen Wahrnehmung realisiert. Ich glaube schon, dass durch die Entkoppelung von Finanzmarkt und Realwirtschaft das System früher oder später kollabieren wird. Auch durch die ständige Umverteilung von Vermögen zu einigen Wenigen bekommen wir ein insgesamt instabiles System.
Der Fokus von creaffective ist ja Innovation. Wenn wir unsere Kunden fragen, warum sie Innovation brauchen, dann lautet die Antwort meist: „Wir müssen wachsen“. Innovation ist die Einführung von etwas Neuem in einen größeren Kontext. Das beruht oft auf dem Hinzufügen von etwas, das meistens weitere Rohstoffe in Anspruch nimmt. Die unreflektierte Grundannahme der meisten Unternehmen ist, dass sie wachsen müssen. Ich höre bei dir heraus, dass ein solches Wirtschafts- und Innovationsverständnis für dich nicht mehr lange tragbar ist.
Ich bin da vorsichtig, da ich keine Aussage über den Zeitraum treffen kann. Vor 40 Jahren, beim ersten Club of Rome-Bericht hieß es ja auch schon, dass es nicht mehr lange gut gehen wird. Meine gesamte Schulzeit lang wurde mir erzählt, dass uns das Öl bald ausgehen wird. Es ist sehr schwer, den genauen Zeitraum zu ermessen, in dem das statt finden wird. Vielleicht geht es auch noch 50 Jahre gut. Ich glaube, dass Erdöl im Vergleich zu anderen Ressourcen wie Wasser oder Phosphat das „kleinere“ Problem sein wird, wenn es darum geht, die konventionelle Industrie am Laufen zu halten.
Trotzdem ist für mich der Impuls für Innovation ein komplett anderer als der Wachstumsgedanke. Ich halte auch Dinge wie Green New Deal und grünes Wachstum für einen Irrweg.
Da gibt es die schöne Differenzierung von Öko-Effizienz und Öko-Effektivität. Wenn ich mir die Diskussion und sämtliche Parteiprogramme, Förderprogramme und auch Social Entrepreneurships anschaue, dann stelle ich fest, dass diese fast immer auf die Ökoeffizienz setzen. Das heißt, wir verbrauchen nach wie vor absolut gesehen mehr Ressourcen, sind dabei aber effizienter. Das brauchen wir zwar auch, damit wir nicht so schnell gegen die Wand fahren, allerdings geht das einher mit einer Fortschrittsfalle. Ich glaube, dass ganz viel im Innovationsbereich um sich selbst kreist und überhaupt nicht mehr im Fokus hat, warum man das eigentlich alles hat und braucht. Ich glaube, es muss darum gehen, in Zukunft auf Innovation im Bereich der Ökoeffektivität zu setzen. Da ist es dann nicht mehr der Wachstumsgedanke, sondern der Verdrängungsgedanke. Man verdrängt Prozesse, Strukturen und Produkte, die es jetzt gibt, durch etwas Besseres. Zum Beispiel verdrängen wir die industrielle Landwirtschaft durch die biologische Landwirtschaft.
Im Bereich der Ökoeffektivität sprechen wir dann ja von der Entkoppelung zwischen dem Neuen und einem weiteren Rohstoffverbrauch. Das heißt die Verdrängung würde bedeuten, Bestehendes durch etwas zu ersetzen, dass nicht ein mehr an Rohstoffen bedeutet?
So wie es im Moment diskutiert wird, sehe ich nicht, wie das funktionieren soll. Es gibt unterm Strich bei allen Beispielen dramatische Rebound-Effekte. Ich sehe kein einziges Beispiel bei dem diese Entkopplung von etwas Neuem und zusätzlichem Rohstoffverbrauch funktioniert. Das sind alles akademische Diskussionen. Das läuft in der Realität nicht so. In den letzten 150 Jahren haben wir die Effizienz der Lichterzeugung dramatisch gesteigert, das hat jedoch nicht dazu geführt, dass wir insgesamt weniger Energie für die Lichterzeugung verwenden, sondern dazu dass alles immer heller wurde und jeder Blödsinn beleuchtet wurde. Das gleiche sieht man mit Motoren. Die werden zwar immer effizienter, aber das führt nicht dazu, dass wir weniger Sprit verbrauchen, sondern dass wir schnellere, größere und sicherere Autos fahren. So kann man das mit jedem Produkt sehen. Deshalb finde ich es schwer, von einer Entkoppelung zu sprechen.
Ich glaube, wir müssen an die Wurzel gehen und von einem Suffizienzgedanken ausgehen. Ich muss mich also fragen, was ich wirklich benötige, um gut zu leben, um dann zu fragen, was ich mir von diesen Dingen selbst organisieren kann. Wie kann man möglichst langlebige und reparaturfreundliche Produkte schaffen? Wie kann man Prozesse so gestalten, dass man keinen Müll produziert? Das sind die richtigen Gedanken…
… die dem jetzigen Wirtschaftssystem völlig zuwider laufen…
Total. Ich bin niemand der sagt, dass wir unser System aus sich selbst heraus einfach umkrempeln können. Sowohl für die Zivilgesellschaft, als auch für Politik und Wirtschaft gibt es aus rationalen Überlegungen heraus überhaupt keinen Anlass, sich nachhaltig zu verhalten. Unser Staat funktioniert über Konsumbesteuerung. Wir wären pleite, wenn die Menschen ihren Konsum reduzieren würden. Unser ganzes Steuerrecht funktioniert über Umsatzbesteuerung. Jedes Unternehmen steckt am Ende des Jahres viel Geld in Anschaffungen, um die Steuerlast klein zu rechnen. Das ist ja vom Staat so gewollt und gesteuert.
Auch als Privatperson, gibt es aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus keinen Grund mich nachhaltig zu verhalten. Ich wäre ja ökonomisch betrachtet doof, wenn ich versuchen würde, mein hart verdientes Geld in ökologisch sinnvolle Produkte zu investieren, um die (Produkt)Welt dadurch besser zu machen. Das ist eine Totale Utopie, weil die ganze Welt versucht Raubbau zu betreiben. Da ist ein ordnungspolitischer Rahmen natürlich viel schlagkräftiger. Allerdings greift auch hier die Globalisierung und Freihandelsabkommen, die nationale Ermessens- und Bewegungsspielräume auf ein Minimalmaß einschränken.
Es gibt also in dem von uns entworfenen wirtschaftlichen Paradigma noch keine Alternative, von der man weiß wie und dass sie funktioniert. Deshalb haben wir ein „weiter wie bisher“?
Ja. Ich würde es noch stärker formulieren: Nicht nur ein „weiter wie bisher“, sondern ein „jetzt erst recht“. Nach dem Anschlägen des 11. September 2001 hat Bush auf der ersten Presse-Konferenz den Menschen gesagt, dass sie einkaufen gehen sollten, wenn sie etwas Gutes für Amerika tun möchten. Auf diese Weise können wir unser System stabilisieren. Da gibt es interessante Zusammenschnitte im Fernsehen, wo Politiker auf jede Frage, die man ihnen stellt Wachstum als Antwort geben.
Wenn wir also jetzt noch schneller an unserem Ast sägen, dann wird es uns besser gehen.
Lass mich noch einmal zum Kartoffelkombinat zurück kommen. Simon und du, ihr beide seit ja Gründer des Kombinats. Wie ist diese Idee entstanden?
(lacht) Das hat sehr stark mit unseren Lebensläufen zu tun, sowohl privat als auch beruflich. Simon war als interkultureller Trainer sehr viel unterwegs. Seine Frau hat mit mir zusammen bei Utopia.de gearbeitet, dort war ich im Gründungsteam. Über seine Frau habe ich Simon kennen gelernt. Simon war damals ein ganz normaler, konventioneller Typ und hat sich vor seiner Trainertätigkeit mit Promotion- und Eventjobs in Deutschland und Shanghai beschäftigt. Er kam zurück und seine Frau hat also in so einem Öko-Startup gearbeitet. Er hat dann ein Jahr lang jede Dokumentation und jedes Buch zum Thema Ökologie durchgearbeitet, weil er festgestellt hat, dass er in einen Bioladen geht und nicht eine einzige Marke kennt. Er wollte einfach besser verstehen, um was es da eigentlich geht.
Als Konsequenz dieses einen Jahres hat er den ersten urbanen Garten in München – „O’pflanzt is“ – gegründet. Bevor er diesen gegründet hat, lernten wir uns auf einer Veranstaltung kennen, auf der er mich ansprach, um Rückmeldung zu einem Konzept zu bekommen, an dem er gearbeitet hat. Da hatten wir zum ersten Mal Kontakt zueinander.
Ich hatte dann einige Monate später die Idee, so etwas ähnliches wie das heutige Kartoffelkombinat zu machen. Dann habe ich ihn angerufen und ihn gefragt, ob er da mitmachen möchte. Die Idee war damals eine regionale Matching-Seite für Konsumenten und Produzenten. Simon fand die Idee sehr spannend, war aber eben in seinem urbanen Garten engagiert
Das ist anders als das jetzige Kartoffelkombinat, wie kam es zur Idee der Matching-Plattform?
Ausgehend von meinen Erfahrungen bei Utopia wusste ich, dass es sehr schwer ist, über tägliche Kaufentscheidungen einen indirekten Einfluss auf die Produkt- und Warenwelt der Zukunft zu nehmen. Deshalb war ich der Auffassung, dass man die gesamten Verbindungen und Rahmenbedingungen selbst unter Kontrolle bringen muss. Es reicht nicht, einfach nur Bio im Supermarkt zu kaufen, während die Biobranche sich auch globalisiert. Die Grundzutaten für Bioprodukte kommen heute zum größten Teil aus China und der gesamte Biohandel konventionalisiert zunehmend. Die großen konventionellen Marktteilnehmer kaufen die kleinen Biomarken auf und operieren unter dem Biolabel weiter. Man muss da tiefer in die Struktur einsteigen und an die Wurzel gehen. Die Wurzel ist da, wo der Anbau statt findet.
Das hat lustigerweise z.B. REWE auch so erkannt. Über Utopia bin ich relativ früh mit dem Nachhaltigkeitsmanagement von REWE in Kontakt gekommen. Die haben ihre komplette Lieferantenstruktur umgekrempelt. Die kennen heute für ihre Eigenmarken wieder die Landwirte, die auf dem Feld stehen. REWE ist der Auffassung, sie müssen vom Moment des Anbaus, bis zum Zeitpunkt an dem die Produkte im Laden landen, die Lieferantenkette kennen und unter Kontrolle haben. Das ist genau das, was die Sportartikelhersteller übrigens bewusst nicht machen.
Privat habe ich damals angefangen zu imkern, was zu Stadtimker.de geführte. Dadurch habe ich einen Zugang zu einer sehr kleinräumigen Sichtweise bekommen und habe Landwirtschaft und die vorherrschenden Strukturen anders gesehen. Hinzu kam ein ganz starker Bezug zum Jahresverlauf, zu den Jahreszeiten und Saisonalität. In der Natur hängt alles mit allem zusammen und greift ineinander.
Diese Matching-Plattform ist ja dann nicht, was ihr am Ende mit dem Kartoffelkombinat realisiert habt. Was ist da in der Zwischenzeit passiert?
Die Konsequenz aus der Überlegung wieder an die Wurzel zu gehen, war die Matching-Plattform für München.
Drei Monate später, im Oktober 2011, hat sich Simon bei mir gemeldet, weil er aus persönlichen Gründen aus seinem Gartenprojekt ausgestiegen ist und ihn der Gedanke von meinem Konzept nicht mehr losgelassen hatte. Er hat mir dann angeboten, sich am gleichen Tag zu treffen. Wir haben uns sofort getroffen, um uns einfach erst einmal besser kennen zu lernen.
In der weiteren Diskussion mit Simon haben wir gemerkt, dass eine virtuelle Plattform nicht das ist, was wir machen sollten. Es ist etwas anderes, eine Online-Dating-Plattform zu machen, als 50 kg Kartoffeln oder verderbliche Ware von Haus zu Haus zu bringen. Das ist logistisch sehr aufwendig und teuer.
Nach 5 Stunden spazieren gehen und dem Austausch unserer Lebensgeschichten saßen wir in einer Wirtschaft und haben per Handschlag vereinbart, eine Einkaufskooperative zu machen, ähnlich den Food-Coops in den USA. Dazu gibt es tolle Quellen aus den USA. Damit waren wir schon sehr na dran am heutigen Kartoffelkombinat. Bis Weihnachten 2011 waren wir dann damit beschäftigt das Konzept einer Food-Coop vorzubereiten.
In den Weihnachtsferien 2011 sind wir auf den Film „Farmer John“ gestoßen. Kurz gesagt hat es ein pleite gegangener Farmer in den USA geschafft, mit geliehenem Geld einen neuen Hof aufzubauen. Die Leute die ihm das Geld geliehen haben, sind zu einer Community geworden, die den Betrieb der Landwirtschaft von John finanziert haben. Das ist im Prinzip die Begründung des Konzeptes der solidarischen Landwirtschaft. Wir haben den Film gesehen und uns gedacht, dass diese Art der Landwirtschaft noch viel besser ist als unser Food-Coop Supermarkt, weil wir noch viel unmittelbarer im Kontakt mit den Menschen stehen und Zugriff auf alles haben. Wir haben erkannt, dass dieses Ding noch viel mehr Potenzial hat. Während der zwei Wochen Weihnachtsferien ist damit die Entscheidung gefallen, dass wir solidarische Landwirtschaft machen werden und Kartoffelkombinat heißen werden. Dann ging es alles ziemlich schnell. Erst dann haben wir angefangen zu recherchieren, ob es in Deutschland schon solidarische Landwirtschaft gibt.
So sind wir im Februar 2012 dann auf das Halbjahrestreffen der solidarischen Landwirtschaft in Deutschland gefahren. Zugespitzt könnte man sagen: Der BWLer und der Marketing-Mann aus München sind auf strickpullitragende Wollsockenleute aus der Öko-1.0-Welt getroffen. Da können beide viel voneinander lernen. Wir wollen aber nicht ein 100% solidarisches LSystem für einen Betrieb, sondern ein größeres Konstrukt mit mehreren Betrieben für eine Gemeinschaft von Haushalten. Für uns ist solidarische Landwirtschaft mehr ein Werkzeug und nicht ein Ziel.
Seit ihr in der Szene auf Skepsis gestoßen?
Es gab keine Ablehnung, eher die Aussage, dass unser Konzept nicht solidarische Landwirtschaft im engeren Sinne wäre und es etwas sei, was es in Deutschland nicht gäbe.
Wir haben dann schnell gemerkt, dass wir uns mit unserem Konzept in einer anderen Größenordnung bewegen. Die größte solidarische Landwirtschaft in Deutschland versorgt 300 Familien. Als wir angefangen haben unseren Finanzplan zu schreiben, haben wir gemerkt, dass unser Konzept erst ab ca. 500 Haushalten anfangen wird zu funktionieren, da wo wir jetzt sind. D.h. auch, dass wir aus dem Stand doppelt so groß werden mussten, wie die bestehende größte solidarische Landwirtschaft in Deutschland. Da denkt man sich natürlich im ersten Schritt, ob man nicht naiv und größenwahnsinnig ist. Wir waren ja aus einer vollkommen anderen Welt, hatten keine Ahnung von diesem Metier und wollten aus dem Stand das größte Projekt in Deutschland werden. Wir wussten auch nicht, ob die Münchner auf so was anspringen.
Was hat euch geritten es trotzdem zu machen?
Vor dem Hintergrund unserer Berufserfahrungen und unserer bisherigen Projekte waren wir beide ganz tief aus uns heraus überzeugt davon, dass es klappen wird.
Wir haben beide ein ziemlich gutes Gefühl, was funktioniert und was nicht und haben beide in den vergangenen 15 Jahren auch schon einige Dinge gemacht, die nicht funktioniert haben. Das haben wir uns gemerkt und daraus gelernt.
Wir haben uns einfach gesagt, dass es mit unserem Know How und unseren Netzwerken funktionieren muss.
Habt ihr vorab Akzeptanztests gemacht?
Wir haben keine Marktakzeptanzstudien gemacht. Wir kennen Leute aus unserem Netzwerk, die seit 20 – 30 Jahren wirtschaftlich erfolgreich in der Ökoszene unterwegs sind und sehr genau wissen, was sie machen. Diese Leute haben wir an einen Tisch geholt und dreimal eine Art Peer-Review mit denen gemacht und ihnen unsere Idee vorgestellt. Wir haben denen gesagt: „Passt auf: Ihr kennt uns, ihr wisst was wir können und was wir nicht können. Ihr kennt die Branche und seht die langfristigen Entwicklungen der Gesellschaft und der Ökounternehmen.“ Dann haben wir zwei Fragen gestellt: „Glaubt ihr, dass München so was braucht?“ und „Traut ihr es uns zu?“ Auf beide Fragen haben die mit ja geantwortet.
Das war für uns der Proof of Concept, auch wenn da jetzt jeder Unternehmensberater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde.
Wichtig war auch unsere Leidenschaft für die Sache. Wir hatten ja nichts zu verlieren. Wir waren beide in einer wirtschaftlichen Situation, wo wir das ausprobieren konnten.
Wir haben außerdem von Anfang an drauf geachtet, dass das gesamte Projekte ohne einen einzigen Euro Eigen- und Fremdkapital auskommt.
Viele Leute aus unserem Bereich hätten dann schnell in Businessplänen, Investoren und Start-up Wettbewerben gedacht. Das war für uns allerdings von vornherein ausgeschlossen. Aus meiner Job-Erfahrung habe ich gelernt, wie viel Aufwand betrieben wird, um an Kapital zu kommen, ohne dass dabei am Ende so viel herum kommt. Daher habe ich mir gesagt, dass ich nicht einen Tag meiner Zeit in die Akquise von Investorengelder investieren möchte. Und Simon ist da sowie ein sehr vorsichtiger Mensch, der sich soweit weg von der Old-School Economy halten möchte, wie möglich. Daher war für uns der Ausschluss von Investmentkapital von Anfang an klar.
Ok, ihr habt dann aber sicher ein wenig Eigenkapital eingesetzt. Ein bisschen was werdet ihr ja gebraucht haben?
Nein, das ist der Witz an unserer Geschichte. Wir waren mit Null Euro von Anfang an in den schwarzen Zahlen, weil wir es so aufgesetzt haben und die Rahmenbedingungen glücklicherweise so waren. Ich sage nicht, dass es für alle so machbar ist, aber bei uns war es so. Das macht uns maximal unabhängig. Wir können tun und lassen, was wir möchten und in der Geschwindigkeit in der wir das möchten. Die Kohle ist bei dem was wir tun ziemlich egal – Geld ist kein Treiber für uns.
Ihr habt nun also das Feedback von euren Peers bekommen und wusstet, dass ihr an etwas Richtigem dran seit. Wie lange hat es gedauert, bis die ersten Mitglieder ihre Gemüsekisten hatten
Wir mussten dann erst mal eine Gärtnerei finden, die bereit war, da mitzumachen. Die haben wir im Februar 2012 gefunden. Aufgrund der Struktur der Gärtnerei konnten wir mit der Lieferung erst im Mai anfangen. In der KW 19 2012 haben wir die ersten Kisten geliefert. Es war allerdings anders geplant. Weil wir gar keine Ahnung hatten, was wir tun, haben wir damals gesagt, dass wir eine Testphase für uns brauchen, um überhaupt einmal herauszufinden, wie das alles funktioniert, von der Gemüseaufteilung bis über die Logistik.
Wir haben beschlossen, es drei Wochen zu testen. Zu diesem Zweck sollte jeder von uns beiden 10 Haushalte organisieren: Freunde, Familie und Verwandtschaft. Der Plan war dann, am Ende der drei Wochen Test alle Familien in die Gärtnerei einzuladen, damit die einmal sehen, wie alles funktioniert. Unser Plan war es, eine Befragung mit den Testern zu machen und dann über den Sommer unser Konzept auszuarbeiten, um dann im Herbst richtig zu starten.
Wir haben also beide 10 Haushalte angesprochen, denen gesagt, dass sie eine Gemüsekiste bekommen, bei der sie nicht bestimmen können, was da drin ist und für die sie auch noch zahlen müssen.
Die Konsequenz war, dass in den 14 Tagen bevor es los ging jeder von den 10 Haushalten noch jemanden mitgebracht hat, der auch mitmachen wollten. So sind wir statt mit 20 Haushalten schon mit knapp über 40 Haushalten gestartet. Nach drei Wochen gab es dann das Hoffest bei dem wir von unserem Fragebogen erzählt haben und unserem Plan, danach das Konzept auszuarbeiten. Dann haben alle nur gesagt, dass wir nächste Woche gefälligst die Gemüsekiste weiter liefern sollten. So haben wir entschlossen, kein Konzept zu machen, sondern die Kiste weiter zu liefern. Seit dem gibt es das Kombinat.
Das war auch der Grund warum wir 9 Monate gebraucht haben, um überhaupt eine Grundstruktur wie ein Konto etc. aufzubauen, weil wir überhaupt keine Zeit hatten. Wir waren die ganze Woche damit beschäftigt, Gemüsekisten zu liefern. Wir sind mit unserer Struktur immer der Realität hinterher gelaufen – Die war immer etwa zu klein dimensioniert. Wir haben fast alles anders gemacht, als es im BWL-ehrbuch steht. Genau deshalb sind wir vielleicht einfach anders als man es erwarten würde, allerdings auch weil wir das so wollen.
Wir bauen ganz bewusst ein Dachmarkenkonzept auf, weil wir nicht nur eine solidarische Landwirtschaft sein wollen, sondern eine gemeinschaftlich getragene Versorgungsstruktur. Unter diesem Markendach Kartoffelkombinat können nun die nächsten Betriebe und Bereiche entstehen.