Mitte der 2000er Jahre schrieb Jim Collins das Buch „built to last“, in dem er sich eine Reihe erfolgreicher Unternehmen genauer anschaute, um deren Erfolgsgeheimnis zu ergründen. Die Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen gingen in den Rezeptkatalog des Buches ein. Nur wenige Jahre nach dem Erscheinen des Buches waren viele der erfolgreichen Firmen aus „built to last“ nun gar nicht mehr erfolgreich, obwohl sie doch nach dem von Collins entdeckten Erfolgsmustern handelten.
Erklärungen von Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen, Ländern, Modellen, Produkten gehen von einer Reihe von Annahmen aus.
- Der Erfolg ist überhaupt erklärbar
- Es gibt Kausalzusammenhänge zwischen den Aktionen bestimmter Akteure und dem beobachteten Ergebnis
- Diese Zusammenhänge lassen sich erkennen
Sicherlich ist das in sehr vielen Beispielen der Fall. Das Buch „Everything is obvious: Once you know the answer“ von Duncan J. Watts legt das Augenmerk auf die Art wie wir Menschen Ereignisse zu plausibilisieren versuchen und welche „Denkfehler“ uns dabei unterlaufen. Es zeigt auf sehr interessante Weise auf, dass der Zufall eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Besonders in komplexen Systemen, in welchen es viele voneinander unabhängige Elemente gibt, die sich dennoch gegenseitig beeinflussen können, sind Handlungsergebnisse nicht vorhersagbar und sogar rückblickend auch nicht unbedingt kausal erklärbar. Dies liegt auch an sogenannten Kumulationseffekten, die auftreten, wenn Akteur einen anderen und dessen ursprüngliche Handlungslogik beeinflusst. So ist es gut möglich, dass ich eigentlich kein neues Smartphone möchte, aber jetzt, da alle meine Freunde eines haben, möchte ich doch eines.
Wir Menschen haben das Bedürfnis Situationen immer plausibel erklären wollen, auch wenn wir eine Situation nicht wirklich verstehen. Zum Beispiel wird gerne analysiert warum sich ein bestimmtes Buch gut oder schlecht verkauft. Das Faszinierende ist, dass wir jedes Handlungsergebnis im Nachhinein plausibel erklären können, nach dem Motto „war ja klar“. Interessanterweise können wir das genaue Gegenteil ebenfalls absolut plausibel erklären. Oft greifen wir dabei auf zirkuläre Erklärungen zurück nach dem Prinzip: Das Buch XY hat sich erfolgreich verkauft, weil es genau die Eigenschaften von Buch XY hat und das ist genau was der Markt gerade wollte. Es zeigt sich dabei, dass viele andere Bücher ebenfalls die Eigenschaften von XY haben, sich aber nicht gut verkaufen. Wir müssen also akzeptieren, dass wir Situationen oft entweder nicht erklären können, oder (noch wichtiger) sich diese nicht logisch erklären lassen. Die Krux mit der realen Welt wie zum Beispiel der Wirtschaft eines Staates ist, dass sich die exakt gleiche Situation mit den gleichen Variablen nicht wiederholen lässt, um so experimentell herauszufinden, was genau der Auslöser eines Ergebnisses war.
In Computersimulationen kann man das und in Experimenten mit 10.000 Internetnutzern kann man fast annähernd so etwas wie ein Paralleluniversum mit den gleichen Ausgangsbedingungen erstellen. Lässt man diese Experimente nun laufen, was Duncan J. Watts gemacht hat, um zum Beispiel um die Popularitätsentwicklung bestimmter Pop-Songs zu vergleichen, dann zeigt sich, dass es trotz der gleichen Ausgangsbedingungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, welche Lieder am Ende unter den Top 5 sind und welche nicht.
Innovation als Bestandteil von komplexen Systemen
Wenn die oben genannten Eigenschaften Unternehmen, Marktentwicklungen und Wirtschaftsentwicklungen im allgemeinen gelten, dann gilt dies meiner Meinung nach auch für Innovation und zwar sowohl für die Entstehung von Innovation als auch für den Erfolg von Innovation.
Trotz der Anwendung von Innovationsprozessen und Methoden kann man nicht vorhersagen, was am Ende herauskommen wird, sondern nur, dass etwas herauskommen wird. Wenn dann eine Lösung entwickelt wurde, kann man zwar rückblickend sagen, welchen Weg man gegangen ist und warum dieser Sinn macht. Warum es jetzt aber genau Option A und nicht Option B geworden ist, lässt sich aus meiner Erfahrung oft nicht sagen.
Nicht vorhersagbare Effekte wie die oben genannten Kumulationseffekte spielen auch bei der Entwicklung der von innovativen Lösungen zugrunde liegenden Annahmen eine Rolle. Das nutzerzentrierte Innovationsprozess des Design Thinking, eines von mehreren Vorgehen mit dem wir von creaffective arbeiten, legt großen Wert auf die Beobachtung von Nutzerverhalten. Die Annahme ist, dass sich daraus Motivationen und Bewegründe erkennen und Nutzerbedürfnisse ableiten lassen. Eine weitere Annahme des Design Thinking ist, dass eine Lösung, die das erkannte Nutzerbedürfnis ideal befriedigt, erfolgreich sein wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Lösung erfolgreich sein wird, erhöht sich mit diesem Vorgehen sicherlich.
Design Thinking geht noch einen Schritt weiter und testet mit Nutzern, ob eine entwickelte Lösung, wirklich bei einem Nutzer ankommt. Sobald die Lösung dann tatsächlich in den Markt eingeführt wird, ist es trotzdem möglich, dass sich das im Nutzertest erkannte Verhalten stark verändert und die Rückmeldung des Nutzer „nicht richtig“ war, weil ein Nutzer mit einer großen Anzahl anderer Nutzer interagiert und sein Verhalten verändert.
Was tun?
Ich behaupte nicht, dass Innovation völlig vom Zufall abhängig ist und wir am besten einfach blind nach Versuch und Irrtum vorgehen sollten. Ich denke dennoch, dass es uns gut tun würde, uns stärker mit dem Gedanken anzufreunden, dass wir vieles nur begrenzt beeinflussen und steuern können.
Hilfreich sind dabei Vorgehensweisen in der Entwicklung von Innovation, die sich schnell an nicht geplante Situationen anpassen können und zur Kurskorrektur in der Lage sind. Vorgehen wie das Design Thinking oder Creative Problem Solving mit vielen keinen Iterationen sind dazu aus geeignet. Dadurch können wir zumindest schnell reagieren und uns anpassen, wenn sich die Dinge nicht so entwickeln wie angenommen.