Ken Robinson ist der am meisten gesehene Redner auf der TED Plattform. Zu recht, wie er auch mit seiner nun dritten Rede seit 2006 für mich beweist.
Wie auch in den beiden vorherigen Reden geht es um Robinsons Spezialgebiet: Unser weltweites Schulsystem und die fatalen Auswirkungen dieses Systems in den meisten Ländern auf die Kreativität und Zukunftsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen, die dieses System ertragen müssen.

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Gleichzeitig lese ich im Moment das Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“ des deutschen Philosophen Richard David Precht. Prechts Buch leitet seinen Titel aus einer Anekdote aus Ken Robinsons erster TED-Rede im Jahr 2006 ab und beschäftigt sich speziell mit dem deutschen Schulsystem.
Beide sind sich in ihrem Urteil darin einig, dass die Mehrheit der weltweiten Schulsysteme inklusive dem deutschen Schulsystem die Kinder nur sehr unzureichend auf die Zukunft vorbereiten, Kinder darüber hinaus nur sehr einseitig ausbilden, ihnen meist jegliche Lust und Motivation am Lernen in kurzer Zeit austreiben und ihnen systematisch Kreativität aberziehen und Kinder davon abhalten kreativ zu sein.

Das System ist nicht mehr zeitgemäß

Precht und Robinson betonen auch immer wieder, dass die Lehrer zwar der zentrale Erfolgsfaktor dafür sind, ob ein Schüler etwas lernt und sich entwickelt, jedoch die Lehrer ebenfalls Teil des Systems sind. Das Schulsystem an sich führt zum größten Teil dazu, dass die Lehrer ihrer Rolle nicht gerecht werden, ja dass Lehrer in ähnlichem Maße unter den Umständen leiden, wie die Schüler.

Was ist denn jetzt das Problem?
In der heutigen Zeit sollte es Aufgabe von Schulen sein, reife junge Menschen hervorzubringen,

  • die sich selbst organisieren können
  • die ihr Leben lang selbstständig weiter lernen können und wollen, also Spaß am Lernen und der eigenen Weiterentwicklung haben
  • die mit anderen zusammen arbeiten
  • die Wissen aktiv vernetzen können
  • die über mehr als nur kurzfristig anwendbares und schnell obsoletes Faktenwissen verfügen
  • die kreativ sind und damit in der Lage sind, Neues zu schaffen

Viele Bücher, Reden, anderen Quellen – unter anderem Precht und Robinson – und die eigenen Diskussionen Studenten im Rahmen von Kursen, die ich gebe, zeigen, dass es im Moment definitiv nicht in diese Richtung läuft.

Das Schul- und das Universitätssystem legt vor allem Wert auf:

  • schnell verwertbares Wissen mit einem besonderen Schwerpunkt auf Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften. Das ist per se nicht schlecht, aber eben nicht genug.
  • generell abprüfbares Wissen in Form von Daten und Fakten.
  • eine immer größere Stoffmenge bei gleichzeitiger Reduzierung der zur Verfügung stehenden Zeit (sowohl in der Schule als auch der Universität).
  • ständiges Testen und standardisiertes quantitatives Messen von Wissen oder besser: gemerkten Daten und Fakten.
  • Standardisierung und Angleichung: Alle sollten das Gleiche in der gleichen Geschwindigkeit lernen und werden im Gleichen geprüft.

Ausbildbare Eigenschaften von kreativen Menschen

Kreativität ist die Fähigkeit Neues zu schaffen. Dies kann in vielerlei Hinsicht im Leben hilfreich sein, besonders unter sich verändernden Umständen, wenn das Bekannte nicht mehr ausreichend ist. Allgemein gesprochen, ermöglicht Kreativität ein selbstbestimmteres und zufriedeneres Leben zu führen.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist Kreativität eine Kernzutat von Innovation, der Einführung von etwas Neuem, das Nutzen bringt in einen größeren Kontext.

Nun wissen wir aus der Kreativitätsforschung bereits eine ganze Menge, welches Umfeld es benötigt, um Kreativität zu fördern und welche Eigenschaften kreative Menschen auszeichnen.

Zu diesen Eigenschaften gehören unter anderem:

  • Neugier
  • Leidenschaft an einem Thema, d.h. eine hohe intrinsische Motivation, die über einen langen Zeitraum aufrecht erhalten werden kann.
  • Verspieltheit
    Das bedeutet auf ungezwungene Weise immer wieder neues auszuprobieren und zu testen.

  • Akzeptanz von Fehlern
    Dies hängt eng mit Verspieltheit zusammen. Viele Dinge auszuprobieren und zu testen, heißt auch immer, dass etwas nicht so funktioniert, wie vielleicht erwartet.

  • Mut, Neues auszuprobieren
  • Beharrlichkeit auch bei Schwierigkeiten an einem Thema dran zu bleiben
  • Disziplin
  • Die Fähigkeit Optionen zu entwickeln (divergierendes Denken)
  • Eine Einstellung, die vor allem den Wert in Neuem sucht, anstelle auf Probleme und Schwierigkeiten zu fokussieren.

Ein Umfeld, das Kreativität ermöglicht zeichnet sich unter anderem aus durch:

  • Diversität: Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, Vorlieben und Denkweisen.
  • Zeit, Dinge zu durchdenken und auszuprobieren.
  • Angstfreiheit und der Möglichkeit Fehler zu machen
  • Freiheit seine Handlungen und sein Denken zu beeinflussen
  • Einer positiven Haltung gegenüber anders Denkenden und Ideen
  • Individuell als sinnvoll betrachtete Herausforderungen

Wenn wir die unteren beiden Listen mit den momentanen Entwicklungen in unserem Schulsystem vergleichen wird schnell deutlich, warum es mit der Förderung von Kreativität nicht weit her ist. Entweder werden benötigte Eigenschaften nicht entwickelt oder wie im Beispiel von Neugier und intrinsischer Motivation ausgetrieben.
In Hinblick auf die Förderung und Entwicklung von Kreativität geben die letzten beiden Listen auch gleich Anhaltspunkte, wie sich das Schulsystem verändern müsste, um mehr Kreativität zu ermöglichen. Mir ist bewusst, dass Schule noch andere Ziele verfolgen muss.

In diesem Zusammenhang sind übrigens die Schulsysteme in Asien, wie z.B. China, Taiwan oder Korea keine Vorbilder für uns, obwohl diese in vielen Messungen und Tests im internationalen Vergleich sehr gut abschneiden. Diese Länder schneiden in dem gut ab, was bei PISA und Co gemessen wird und das ist in Hinblick auf die Entwicklung von kreativen selbstständigen Menschen nicht besonders relevant. Es lässt sich nur gut messen.

Ken Robinson endet seine neue Rede mit einer Anekdote über das „Death Valley“ in den USA. Dieses ist alles andere als tot, lediglich die Bedingungen sind nicht besonders lebensfreundlich. Wenn die Bedingungen geändert werden (wie im Winter 2004 geschehen), dann blüht auch das Leben und es kann sich etwas entwickeln. Mit unserem Schulsystem kann es sich ähnlich verhalten.