In diesem Artikel des Glossars der Organisationsentwicklung geht es um die Unternehmenskultur.

Im Post über Struktur habe ich zwei Arten von Struktur unterschieden:

  • Die manifeste (= entschiedene Entscheidungsprämissen) oder formale Struktur. Daran denken die meisten Menschen, wenn sie von Organisationsstruktur sprechen.
  • Die latente (nicht entschieden, aber entscheidbar ODER nicht entschieden und nicht entscheidbar) oder informelle Struktur. Ein anderes Wort hierfür ist die Kultur einer Organisation.

Eigenschaften von Unternehmenskultur

Die Kultur einer Organisation ist…

  • nicht aufgeschrieben und trotzdem strukturbildend
  • nicht einforderbar, z.B. durch einen Arbeitsvertrag
  • meist unreflektiert
  • nicht unbedingt konsistent
  • nicht rational
  • identitätsbildend für die Menschen in der Organisation

Bei einem Kunden von creaffective war es Teil der Kultur des Unternehmens, dass man Meetingeinladungen nicht absagen oder ausschlagen darf. Gleichzeitig gehörte es auch zur Kultur, immer möglichst viele Leute einzuladen, um „alle zu informieren“ und zu „beteiligen“. Neue Mitarbeiter, die aus Effizienzgründen Meeting-Einladungen ablehnten, bekamen dann schnell zu spüren, dass dieses Verhalten nicht erwünscht war.
Da Kultur nirgends schrift explizit festgehalten wird (oder werden kann), merkt man oft erst was die Kultur ist, wenn man dagegen verstößt.

Die Kultur einer Organisation kann nicht verordnet werden und nicht absichtlich geschaffen werden und auch nur begrenzt gezielt verändert werden.
Sie entsteht evolutionär und zufällig. Das heißt, was im evolutionären Sinne verstetigt wird und damit Teil der Kultur wird, ist zufällig.

Veränderung der Unternehmenskultur

Wenn man die Kultur einer Organisation verändern möchte, dann ist der Weg über eine Veränderung der formalen Struktur, z.B. Organigramm, den Austausch von Personen, Ziele, Regeln etc. Diese Form der Veränderung ziehen meist Reaktionen auf der informellen Seite nach sich. Manche dieser Reaktionen sind erwartbar, jedoch nicht direkt steuerbar.

Mit einem Kunden von creaffective haben wir knapp zwei Jahre als Berater dabei unterstützt einem Bereich des Kunden formale Strukturen so anzupassen, dass mehr Selbstorganisation, Partizipation und proaktives Handeln der Mitarbeitenden denkbar wurde. Nach über einem Jahr waren deutliche Veränderungen spürbar und nicht sichtbare (= kulturelle) Regeln veränderten sich. Einige Monate nach dem Ende unserer Zusammenarbeit wurde eine Ebene darüber eine Führungsposition neu besetzt und die gewählte Person pflegte einen sehr hierarchischen Führungsstil mit maximaler Kontrolle und Micromanagement. Innerhalb von vier Monaten war von der in den letzten zwei Jahren entwickelten Kultur nicht mehr viel übrig und einige Beteiligte, inklusive des Bereichsleiters verließen das Unternehmen, weil sie unter dieser Führungskraft nicht arbeiten wollten.

Kultur ist kein Eisberg unter der Wasseroberfläche

Oft kann man den Vergleich lesen, dass die Kultur eines Unternehmens, wie ein Eisberg sei. Der größte Teil des Eisbergs befindet sich unter der Wasseroberfläche, nur eine kleiner ist sichtbar.

Foto von Nam Anh auf Unsplash

Grubendorfer argumentiert im Buch „Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur“ (2023), dass diese Metapher nicht zutreffend sei und dass sich eine andere Metapher eher eigene:

„Doch im Gegensatz zu entscheidbaren Entscheidungsprämissen zielen Unternehmenskulturen nicht auf die Vorbereitung weiterer Entscheidungen ab. Ganz im Gegenteil zu landläufigen Auffassungen von Unternehmenskultur als unsichtbarer Dimension unter der Oberfläche manifestieren sich kulturelle Entscheidungsprämissen in Gestalt von formalen Entscheidungsprämissen. Sie zeigen sich überall im Unternehmen, in den Unternehmensstrategien, in der Gestaltung von Prozessen, in der Auswahl von Personen oder darin, wie Hierarchien strukturiert werden, wie viel Entscheidungsspielraum in einem Projekt besteht und sogar in der Raumgestaltung. Kulturelle Entscheidungsprämissen haben einen besonders gestaltenden Einfluss, wenn es (noch) keine oder nur wenige formale Regeln gibt, beispielsweise in Start-up-Unternehmen oder in neuen Situationen.

Doch dass die kulturellen Entscheidungsprämissen sichtbaren Niederschlag in den formalen Entscheidungsprämissen finden, heißt noch lange nicht, dass über sie gesprochen wird. Sie werden als Selbstverständlichkeiten angesehen, die jeder im Unternehmen akzeptiert, und folglich übersehen. Die Unternehmenskultur ist kein Eisberg unter der Wasseroberfläche, sondern viel eher wie »Ein Elefant im Wohnzimmer« (im englischen Original: »An elefant in the living room«), den eigentlich jeder sieht, der aber nicht thematisiert wird.“