In der aktuellen Folge des Future Fit Company Podcasts spreche ich mit Lutz Pickhardt über Selbstführung sprechen. Selbstführung ist nicht nur für Menschen in Führungspositionen relevant, aber besonders für diese. Führungskräfte haben einen größeren Einfluss auf viele Menschen in einer Organisationen. Hier macht es sich besonders bemerkbar, wenn diese sich selbst gut führen können.
Was Selbstführung genau ist und wie konkret sich jeder verbessern kann, darum geht es in dieser Episode.
Ich liefere hier das Transkript der Folge, für alle die, die lieber Lesen als hören.
Florian Rustler: Herzlich willkommen zu dieser neuen Podcast-Folge. Heute freue ich mich sehr auf ein Gespräch mit Lutz Pickhardt. Wir werden über das Thema Selbstführung sprechen – ein Thema, das mich schon lange begleitet und das ich in meiner Arbeit mit Organisationen immer wieder als zentral erlebe. Lutz, schön, dass du da bist. Magst du dich kurz vorstellen?
Lutz Pickhardt: Vielen Dank, Florian. Mein Name ist Lutz Pickhardt. Ich arbeite seit vielen Jahren als Berater, Trainer und Coach mit dem Schwerpunkt systemische Beratung und Organisationsentwicklung. Selbstführung ist für mich ein roter Faden, der sich durch mein ganzes berufliches Leben zieht. Ich habe immer wieder festgestellt, dass es die Basis dafür ist, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie führen und wie sie Organisationen gestalten.
Florian Rustler: Wenn wir von Selbstführung sprechen, dann kann man ja ganz Unterschiedliches darunter verstehen – Zeitmanagement, Achtsamkeit, Selbstdisziplin. Was bedeutet der Begriff für dich persönlich?
Lutz Pickhardt: Für mich heißt Selbstführung in erster Linie, dass ich ein Bewusstsein für mein eigenes Handeln entwickle. Dass ich nicht einfach im Autopilot unterwegs bin, sondern dass ich meine Gedanken, Emotionen und Entscheidungen wahrnehme und mich frage: Was mache ich da eigentlich gerade? Und möchte ich das so? Es geht nicht darum, sich permanent zu optimieren, sondern eher darum, eine Fähigkeit zu entwickeln, innezuhalten und bewusst zu entscheiden, wie ich handeln will.
Florian Rustler: Also weniger ein Set an Methoden, sondern vielmehr eine Art Haltung?
Lutz Pickhardt: Genau. Methoden können helfen, klar. Atemübungen, Journaling oder feste Routinen können nützlich sein. Aber der Kern ist, dass ich mich selbst ernst nehme und mir meiner selbst bewusst werde. Dass ich zum Beispiel in einer Stresssituation einen Moment schaffe, um nicht sofort impulsiv zu reagieren, sondern erst einmal durchzuatmen und dann zu wählen, wie ich reagieren möchte.
Selbstführung braucht Reflexion
Florian Rustler: Das klingt nach etwas, das sehr eng mit Reflexion verbunden ist. Jetzt ist es ja so: Viele Führungskräfte stehen unter großem Druck, Termine reihen sich aneinander, und eigentlich bleibt kaum Zeit, innezuhalten. Wie kann man in so einem Alltag trotzdem Selbstführung praktizieren?
Lutz Pickhardt: Das ist tatsächlich die große Herausforderung. Selbstführung ist nichts, was ich einmal mache und dann abhaken kann, sondern etwas, das ich üben muss – ähnlich wie Sport. Wenn ich körperlich fit bleiben will, reicht es auch nicht, einmal im Jahr joggen zu gehen. Ich brauche eine gewisse Regelmäßigkeit. Und das kann ganz klein anfangen. Zum Beispiel damit, morgens eine Minute innezuhalten und sich zu fragen: Worauf will ich heute achten? Oder abends zurückzuschauen: Was ist mir heute gelungen, und wo habe ich mich eher von Umständen treiben lassen? Solche Mini-Rituale sind erstaunlich wirkungsvoll, wenn man sie kontinuierlich pflegt.
Florian Rustler: Also kleine Reflexionsschleifen im Alltag einbauen, die gar nicht so viel Zeit brauchen, aber einen Unterschied machen können?
Lutz Pickhardt: Genau. Es geht nicht darum, große Blöcke freizuräumen, sondern um kleine Momente der Bewusstheit. Natürlich kann auch Meditation oder Tagebuchschreiben hilfreich sein, aber es beginnt schon mit sehr einfachen Fragen an mich selbst.
Florian Rustler: Du hast gerade den Begriff Rituale verwendet. Welche Rolle spielen Routinen oder Rituale in der Selbstführung?
Lutz Pickhardt: Eine sehr große Rolle. Routinen entlasten uns. Wenn ich einmal eine gute Routine etabliert habe, läuft sie automatisch ab und nimmt mir Entscheidungslast ab. Ein Beispiel: Wenn ich mir angewöhne, morgens vor dem Blick ins Handy erst einen Moment still zu sitzen, dann kostet mich das keine Energie mehr, sondern es ist ein fester Bestandteil meines Tages. Genauso kann ich mir angewöhnen, vor wichtigen Entscheidungen bewusst eine Pause einzulegen. Solche Routinen geben Halt und Struktur.
Florian Rustler: Gleichzeitig könnte man sagen: Wenn ich mich zu sehr an Routinen klammere, verliere ich vielleicht auch die Flexibilität. Wie siehst du das?
Lutz Pickhardt: Das stimmt. Routinen dürfen nicht zu einem Gefängnis werden. Sie sind dafür da, mich zu unterstützen, nicht, um mich einzuengen. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig zu prüfen: Dient mir diese Routine noch? Oder ist es Zeit, sie zu verändern oder auch loszulassen? Selbstführung bedeutet ja gerade, flexibel zu bleiben und nicht in Automatismen zu verfallen.
Selbstführung als Grundlage für das Führen von anderen
Florian Rustler: Wenn wir noch einmal auf den Begriff Führung schauen: Viele verbinden damit sofort das Führen anderer. Aber du sagst, Selbstführung ist die Grundlage. Kannst du das näher erläutern?
Lutz Pickhardt: Ja, gerne. Führung beginnt bei mir selbst. Wenn ich nicht in der Lage bin, mich selbst zu steuern, dann werde ich auch Schwierigkeiten haben, andere zu führen. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ich in einer angespannten Situation sofort ärgerlich reagiere, ohne mich zu reflektieren, dann übertrage ich diese Spannung auf mein Team. Wenn ich dagegen merke, dass Ärger hochkommt, und kurz innehalte, kann ich anders damit umgehen. Und genau das macht den Unterschied in der Wirkung auf andere.
Florian Rustler: Also ist Selbstführung so etwas wie das Fundament, auf dem jede andere Form von Führung aufbaut.
Lutz Pickhardt: Ganz genau. Ich kann natürlich auch Techniken lernen, wie man Gespräche führt oder Entscheidungen moderiert. Aber wenn ich innerlich nicht klar bin, dann wirken diese Techniken oft aufgesetzt. Selbstführung schafft Authentizität. Menschen merken sehr schnell, ob jemand bei sich ist oder ob er nur eine Rolle spielt.
Florian Rustler: Das heißt, Selbstführung ist auch eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.
Lutz Pickhardt: Richtig. Und für Vertrauen. Wenn ich mit mir selbst ehrlich bin, dann können sich auch andere auf mich verlassen. Wenn ich aber meine eigenen Emotionen verleugne oder mich selbst täusche, dann wirkt das unauthentisch.
Modelle der Selbstführung
Florian Rustler: Gibt es in deiner Arbeit bestimmte Modelle oder Konzepte, die du nutzt, um Selbstführung greifbarer zu machen?
Lutz Pickhardt: Ich arbeite gern mit einfachen Modellen. Eines davon ist die Idee der „inneren Beobachterrolle“. Das bedeutet, dass ich trainiere, mich selbst wie von außen zu betrachten. So, als ob ich mir selbst über die Schulter schaue. Dadurch bemerke ich: Jetzt werde ich nervös, jetzt spüre ich Widerstand, jetzt steigt Ärger auf. Allein diese Beobachtung schafft schon Distanz und gibt mir die Möglichkeit, bewusster zu reagieren.
Florian Rustler: Das klingt nach einer Art Meta-Ebene. Also ich beobachte mich selbst und kann dadurch aus Mustern aussteigen.
Lutz Pickhardt: Ganz genau. Wir alle haben bestimmte Muster, die in uns ablaufen. Wenn ich mich in der Beobachterrolle übe, habe ich eine Chance, diese Muster zu durchbrechen. Ohne Selbstbeobachtung laufe ich Gefahr, im Autopilot zu bleiben.
Florian Rustler: Und wie trainiert man diese Beobachterrolle?
Lutz Pickhardt: Am Anfang ganz einfach, indem man regelmäßig inne hält. Zum Beispiel im Alltag kurze Pausen einlegt und sich fragt: Was geht gerade in mir vor? Oder indem man nach einer Situation reflektiert: Wie habe ich reagiert, und hätte ich auch anders handeln können? Mit der Zeit wird diese Beobachtung zur Gewohnheit, fast zu einer Art zweitem Bewusstsein.
Florian Rustler: Du hast gerade gesagt, Selbstführung braucht Übung. Das klingt nach einer Fähigkeit, die man entwickeln kann – nicht nach etwas, das man hat oder nicht hat.
Lutz Pickhardt: Absolut. Selbstführung ist nichts Angeborenes. Manche Menschen haben vielleicht eine gewisse Neigung zur Reflexion, aber im Kern ist es eine Fähigkeit, die jeder trainieren kann. Genau wie Muskelaufbau. Wenn ich regelmäßig übe, werde ich stärker. Und wenn ich nachlasse, verliere ich wieder etwas davon.
Florian Rustler: Und was würdest du sagen: Warum fällt es so vielen trotzdem schwer, sich auf dieses Training einzulassen?
Lutz Pickhardt: Weil wir stark nach außen orientiert sind. Unser Alltag ist voll von Anforderungen, Aufgaben, Erwartungen. Da scheint es oft wichtiger, die To-Do-Liste abzuarbeiten, als einen Moment innezuhalten. Und wir haben gelernt, dass Leistung zählt. Innehalten wird schnell mit Faulheit verwechselt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Gerade das Innehalten schafft die Grundlage dafür, dass ich langfristig leistungsfähig bleibe.
Emotionen wahrnehmen können
Florian Rustler: Wenn man über Selbstführung spricht, kommt man ja auch schnell zum Thema Emotionen. Viele Führungskräfte wollen sachlich bleiben, aber Emotionen spielen immer eine Rolle. Wie gehst du damit um?
Lutz Pickhardt: Für mich ist ein Teil von Selbstführung, Emotionen wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Nicht im Sinne von „ich muss mich meinen Gefühlen ausliefern“, sondern im Sinne von „ich nehme sie als Information wahr“. Wenn ich merke, dass ich wütend werde, dann frage ich mich: Was genau triggert mich gerade? Welche Bedeutung hat die Situation für mich? Gefühle sind wertvolle Signale. Selbstführung heißt, diese Signale zu nutzen, anstatt sie zu verdrängen oder blind auszuleben.
Florian Rustler: Also Gefühle nicht wegdrücken, sondern bewusst wahrnehmen und interpretieren?
Lutz Pickhardt: Genau. Wenn ich Gefühle verdränge, verschwinden sie nicht, sondern sie wirken im Untergrund weiter. Wenn ich sie dagegen wahrnehme, habe ich die Chance, sie einzuordnen und eine bewusste Reaktion zu wählen. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Florian Rustler: Du hast eben gesagt, dass Gefühle wertvolle Signale sind. Manche Führungskräfte haben aber Sorge, dass sie an Autorität verlieren, wenn sie ihre Gefühle zeigen. Wie siehst du das?
Lutz Pickhardt: Das ist ein verbreitetes Missverständnis. Gefühle zu zeigen bedeutet nicht, unkontrolliert zu sein. Es geht nicht darum, seine Emotionen ungefiltert rauszulassen. Sondern darum, transparent zu machen, was in mir vorgeht – in einer Weise, die für die Situation passend ist. Wenn ich sage: „Ich merke gerade, dass mich diese Entwicklung beunruhigt“, dann ist das keine Schwäche. Im Gegenteil: Es macht mich nahbar und authentisch. Und es eröffnet anderen die Möglichkeit, auch ehrlich zu sein.
Florian Rustler: Das klingt fast nach einer Art Kulturfrage: Darf ich in meiner Organisation Gefühle zeigen oder nicht?
Lutz Pickhardt: Ganz genau. In manchen Organisationen wird es nach wie vor als Schwäche gesehen, wenn jemand Unsicherheit zugibt. Aber die Zeiten ändern sich. In einer komplexen Welt ist es unmöglich, immer alles zu wissen und jederzeit souverän zu wirken. Selbstführung bedeutet auch, die eigene Begrenztheit anzuerkennen. Und das schafft wiederum Vertrauen, weil es ehrlich ist.
Selbstführung: praktische Umsetzung
Florian Rustler: Lass uns mal über praktische Umsetzung sprechen. Wenn ich jetzt als Führungskraft sage: „Ja, Selbstführung ist wichtig“ – wie starte ich damit?
Lutz Pickhardt: Der erste Schritt ist, überhaupt wahrzunehmen, wo ich stehe. Das kann durch Selbstreflexion passieren oder durch Feedback von anderen. Ich kann mich fragen: In welchen Situationen reagiere ich so, wie ich es eigentlich gar nicht möchte? Wo verliere ich den Kontakt zu mir selbst? Und dann kann ich mir kleine Experimente vornehmen. Zum Beispiel: In der nächsten schwierigen Besprechung achte ich bewusst auf meine Atmung. Oder: Ich nehme mir fünf Minuten nach einem Gespräch, um aufzuschreiben, wie es mir ging. Wichtig ist, klein anzufangen und regelmäßig zu üben.
Florian Rustler: Also nicht gleich mit großen Programmen, sondern mit konkreten kleinen Schritten?
Lutz Pickhardt: Genau. Viele scheitern, weil sie sich zu viel vornehmen. Selbstführung braucht Kontinuität, keine Heldentaten.
Stoplersteine auf dem Weg der Selbstführung
Florian Rustler: Was sind deiner Erfahrung nach typische Stolpersteine?
Lutz Pickhardt: Einer der größten Stolpersteine ist Ungeduld. Viele erwarten schnelle Ergebnisse. Sie machen eine Woche lang Achtsamkeitsübungen und sind dann frustriert, wenn sie nicht sofort dauerhaft gelassener sind. Aber Selbstführung ist ein lebenslanger Prozess. Ein zweiter Stolperstein ist Selbstkritik. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich wieder in alte Muster falle, dann neige ich dazu, mich zu verurteilen. Besser ist: Ich nehme es wahr und sage mir, okay, diesmal war es so – beim nächsten Mal versuche ich es anders.
Florian Rustler: Das heißt, Selbstführung hat auch viel mit Freundlichkeit zu tun – Freundlichkeit sich selbst gegenüber.
Lutz Pickhardt: Absolut. Wer nur streng mit sich selbst ist, verliert irgendwann die Kraft. Freundlichkeit und Nachsicht sind zentrale Bestandteile.
Warum Selbstführung wichtig für Organisationen ist
Florian Rustler: Wenn wir auf Organisationen schauen: Was würdest du sagen, warum ist Selbstführung dort so ein wichtiges Thema?
Lutz Pickhardt: Weil Organisationen aus Menschen bestehen. Und die Art, wie Menschen mit sich selbst umgehen, prägt unmittelbar das Miteinander. Wenn ich als Führungskraft in Kontakt mit mir bin, dann bin ich eher in der Lage, Spannungen konstruktiv zu nutzen. Wenn ich dagegen ständig im Autopilot bin, dann reagiere ich oft unreflektiert – und das verstärkt Konflikte. Selbstführung ist also kein Luxus, sondern eine Voraussetzung für gesunde Zusammenarbeit.
Florian Rustler: Also auch eine Art Hebel: Je mehr Selbstführung in einer Organisation vorhanden ist, desto leichter wird es, gemeinsam zu arbeiten.
Lutz Pickhardt: Genau. Ich vergleiche es gern mit einem Resonanzraum. Wenn jeder nur seine eigenen Muster abspielt, entsteht viel Reibung. Wenn Menschen dagegen bewusst mit sich umgehen, entsteht mehr Resonanz und damit mehr Kreativität, mehr Kooperation.
Florian Rustler: Gibt es etwas, das du Menschen mitgeben würdest, die sagen: Ich möchte meine Selbstführung entwickeln, aber ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll?
Lutz Pickhardt: Mein Tipp wäre: Fang klein an. Suche dir eine einfache Übung, die du in deinen Alltag integrieren kannst. Das kann ein Atemzug vor dem nächsten Telefonat sein, ein kurzer Check-in am Ende des Tages oder ein Moment Stille am Morgen. Wichtig ist nicht die Größe der Übung, sondern die Regelmäßigkeit. Mit der Zeit verändert sich dadurch sehr viel.
Florian Rustler: Das klingt machbar.
Lutz Pickhardt: Ja, und vor allem: Habe Geduld mit dir selbst. Selbstführung ist kein Projekt mit einem Enddatum. Es ist ein Weg, den man geht.
Florian Rustler: Wir nähern uns dem Ende unseres Gesprächs. Gibt es noch etwas, das dir besonders wichtig ist?
Lutz Pickhardt: Vielleicht dies: Selbstführung bedeutet nicht, perfekt zu sein. Es geht nicht darum, immer alles im Griff zu haben. Sondern darum, bewusst mit sich selbst in Kontakt zu bleiben, auch wenn es schwierig wird. Wer das übt, gewinnt Freiheit – und diese Freiheit strahlt auch auf andere aus.
Florian Rustler: Ein schönes Schlusswort. Lutz, vielen Dank für dieses Gespräch. Ich habe viele Anregungen mitgenommen, und ich bin sicher, auch unsere Hörerinnen und Hörer werden einiges für sich herausziehen können.
Lutz Pickhardt: Danke dir, Florian, für die Einladung und das schöne Gespräch.
Florian Rustler: Damit verabschieden wir uns für heute. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge.