In Vorträgen zum Thema Kreativität frage ich anfangs öfters, welche Assoziationen den Zuhörern zum Thema Kreativität kommen. Meist genannt wird die Kunst und Künstler. Kern der Arbeit von Künstlern ist ein kreativer Schaffensprozess, in dem es darum geht, etwas Neues hervorzubringen. Das gleiche trifft auch auf Innovation und die Arbeit von Innovatoren zu. Ein markanter Unterschied zwischen beiden ist die unterschiedliche Bedeutung von Effektivität und Originalität. In der Kunst spielt das Kriterium der Originalität eine zentrale Rolle. Der Aspekt wie neu und ungewöhnlich etwas ist, ist auch für Innovation wichtig. Hauptkriterium in der Innovation ist jedoch, ob andere einen Nutzen in dem neu geschaffenen sehen (und meist bereit sind, Geld dafür auszugeben), also das Kriterium der Effektivität.

Trotz dieser Unterschiede ist der Kern bei beiden ähnlich: Der kreative Schaffensprozess. Ausgehend von einem undefinierten Problem oder einem Nichts gelange ich zu einer neuen Lösung.

In den letzten Monaten habe ich drei Bücher von drei bekannten Künstlern über die Erfolgsfaktoren ihres Schaffensprozesses gelesen. „the war of art“ des Schriftstellers Steven Pressfield, der hierzulande bekannt wurde durch die Verfilmung seines Romans „the legend of bagger vance“. Das Buch „creative habit“ von Twyla Tharp einer wichtigen amerikanischen Choreographin und schließlich das Buch „What I talk about when I talk about running“ des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami. Alle drei haben sehr ähnliche Erfolgsfaktoren ihrer Arbeit beschrieben.

Professionelle Künstler versus Hobby-Künstler

Viele Menschen haben sehr romantische Vorstellungen vom Leben als Künstler, die von Filmen und den Medien gerne befeuert werden. Er oder sie sitzt ungezwungen in seinem Atelier oder Kreativraum und wartet bis die Muße ihn küsst. Dabei behilft er sich mit verschiedensten Drogen, um diesen Prozess in die Gänge zu bringen. Stephen Pressfield trifft in seinem Buch gleich zu Anfang die Unterscheidung zwischen einem Hobby-Künstler und einem professionellen Künstler. Auf den Freizeit-Künstler mag die obige Beschreibung zutreffen, nicht auf den Profi. Der Profi gibt sich mit großer Leidenschaft Vollzeit seiner Kunst hin, so wie die meisten Menschen täglich zur Arbeit gehen, geht der professionelle Künstler täglich seiner Kunst nach, auch wenn er dabei möglicherweise nicht im Büro sitzt.
Ähnlich romantische Vorstellung begegnen uns bei creaffective teilweise am Anfang, wenn wir mit einer Gruppe in einem Kreativworkshop arbeiten oder für ein Innovationsprojekt zusammen kommen.

Erfolgsfaktoren professioneller Künstler

Die drei Autoren beschreiben in ihren Büchern aus unterschiedlichen Perspektiven sehr ähnliche Erfolgsfaktoren. Für alle drei ist Kreativität auch ein Handwerk, das erlernbar ist. Um darin Meisterschaft zu erlangen, ist vor allem die kontinuierliche Praxis wichtig und ein paar anderen Faktoren, die ich unten stehend beschreiben möchte:

  • Disziplin und RoutinenSomeone once asked Somerset Maugham if he wrote on a schedule or only when struck by inspiration. ‚I write only when inspiration strikes,’ he replied. ‚Fortunately it strikes every morning at nine o’clock sharp.’ That’s a pro.“ (Steven Pressfield). Für Pressfield ist die Disziplin eines der Hauptunterscheidungskriterien zwischen einem Freizeitkünstler und einem Profi. Der kreative Schaffensprozess lässt sich auf die Innovation übertragen. Es geht darum, täglich die Disziplin aufzubringen, an einem Projekt weiter zu arbeiten, besonders am Anfang, wo die größten Schwierigkeiten auftreten. Twyla Tharp schreibt von einem Panik auslösenden leeren Raum oder einer weißen Fläche, einem Nichts, dass vielen so viel Angst einjagt, dass sie immer wieder mit unterschiedlichen Ausreden Gründe finden, nicht loszulegen oder etwas anderes zu tun. Steven Pressfield nennt das ganze hinterfotzigen inneren Widerstand: „the most important thing about art is to work. Nothing else matters except sitting down every day“ (Steven Pressfield).
    Ähnliche wie viele Produktivitätsgurus betonen alle drei Autoren die Rolle von Routinen. Sind diese Routinen (wie z.B. das tägliche Zähneputzen) erst einmal verinnerlicht, dann ist auch weniger Disziplin notwendig, da die Routine automatisch abläuft. Tharp spricht von der Kreativitäts-Routine. Das bedeutet, dass der Künstler jeden Tag automatisch in seinem Studio, Atelier oder Büro erscheint und sich seiner kreativen Arbeit widmet: „There is a paradox in the notion that creativity should be a habit.“ (Tharp). Bei dieser Routine geht es nicht darum, das Denken in routinierte Bahnen zu lenken, das wäre kontraproduktiv, sondern Geist und Körper anzugewöhnen, sehr regelmäßig sich der kreativen Arbeit zu widmen. Murakami hat seit 25 Jahren eine tägliche Jogging-Routine, die für ihn ein zentraler Erfolgsfaktor seiner kreativen Arbeit ist. Dies nicht, weil er beim Laufen auf viele kreative Ideen kommt, meist denkt er gar nichts beim Laufen, sondern weil ihm die Jogging-Routine hilft, mit der gleichen Disziplin an seine kreative Arbeit heranzugehen.
  • FokusVor einiger Zeit habe ich ein Zitat eines anderen Schriftstellers gelesen, das ich leider nicht mehr genau zuordnen kann: „10 Prozent des Erfolgs ist gutes Schreiben, 90 Prozent ist es nicht vom Internet abgelenkt zu werden“. Das deckt sich mit dem was Pressfield, Murakami und Tharp schreiben. Für den Künstler ist es elementar über längere Zeit ohne Ablenkungen in ein Thema eintauchen zu können. Wie auch sämtliche Experten für produktives Arbeiten vom „Multitasking“ abraten, weil es zu langsamen und oberflächlichem Arbeiten und irgendwann zur Verblödung führt, betonen meine drei Beispielkünstler, die Bedeutung von unterbrechungsfreier Zeit für ihre Arbeit. Dazu gehört auch die Kunst den „täglich anfallenden Mist“ von den „wirklich wichtigen Dingen“ zu unterscheiden.
    In unseren Kreativitätstrainings in Unternehmen fragen wir die Teilnehmer nach ihren eigenen Erfahrungen, was sie davon abhält, zu neuen Lösungen zu kommen. Häufig genannt wird mangelnde Zeit. Für mich ist die absolut zur Verfügung stehende Zeit nur ein Aspekt. Genauso wichtig ist die unterbrechungsfreihe Zeit, sich einer Sache konzentriert widmen zu können. Diese ist oft nicht so sehr ein Problem von nicht ausreichender absoluter Zeit, sondern von mangelnder Selbstdisziplin und mangelnder Erziehung (und mangelndem Mut dazu) von Chefs, Kunden und Kollegen, diese unterbrechungsfreie Zeit auch zu respektieren.
  • Selbstzweifel überwindenTharp hat Routinen als ein wirkungsvolles Mittel beschrieben, um einfach loszulegen. Während des gesamten Schaffensprozesses aber auch besonders am Anfang scheinen viele Selbstzweifel zu plagen. Diese Selbstzweifel münden oft in Angst und führen dazu, dass man sich blockiert und gar nichts tut. Für Pressfield ist es wichtig einfach zu starten, einfach loszulegen. Ändern und verbessern kann und wird man sowieso. Zentral ist es, etwas auf das Papier, auf die Leinwand oder sonst wohin zu bringen. Dabei können Routinen helfen und die Erfahrungen aus vorangegangen Schaffensprojekten.
    Eine häufige Rückmeldung der Teilnehmer unseres kürzlichen Innovation Camps mit der ProSiebenSat.1 Media AG war, dass es sehr geholfen habe, dass die Innovationscoaches von creaffective die anderen immer wieder „gezwungen“ haben weiter zu machen und Ideen nicht zu schnell zu verwerfen, sondern nach anderen Wegen zu suchen, diese zu realisieren. Für uns ist es nichts unbekanntes, dass eine Gruppe (und wir selbst) in einem Innovationsprozess mehrmals an den Punkt kommt, alles hinschmeißen zu wollen.
    Distanzierung des Selbst von der Arbeit
    Es klingt wie ein Widerspruch. Einerseits ist der Künstler mit Leib und Seele in sein Projekt involviert und geht völlig darin auf. Auf der anderen Seite, ist es wichtig, seine Person von seinen Arbeitsinhalten und vor allem den Reaktionen darauf trennen zu können. An mehreren Stellen in diesem Blog habe ich bereits darüber geschrieben, dass Neues anfangs nicht immer mit offenen Armen empfangen wird, sondern dass die Reaktionen negativ sind. Ich persönlich glaube, dass dies Innovatoren im Firmenkontext noch viel häufiger passiert als Künstlern, von denen die Gesellschaft das anders sein ja auch erwartet. Innovatoren hingegen sollen zwar einerseits das Rad neu erfinden, aber bitte in ganz engen Rahmenbedingungen, die alles so lassen wie bisher.Schließlich gehört es zum unvermeidlichen Wesen der Kreativität und der Innovation, dass das Neue manchmal nicht den intendierten Erfolg hat, dass das Ergebnis abgelehnt wird. Nun ist es für den Erschaffer ein wichtiger Selbstschutz, seine Arbeit nicht mit seiner Person gleichzusetzen und von einer Ablehnung der Arbeit nicht gleich auf die Ablehnung der eigenen Person zu schließen. Mit den Worten von Pressfield: „When people say an artist has a thick skin, what they mean is not that the person is dense or numb, but that he has seated his professional consciousness in a place other than his personal ego. It takes tremendous strength of character to do this, because our deepest instincts run counter to it. Evolution has programmed us to feel rejection in our guts. This is how the tribe enforced obedience, by wielding the threat of expulsion. Fear of rejection isn’t just psychological; it’s biological. It’s in our cells…
    An amateur lets the negative opinion of others unman him. He takes external criticism to heart, allowing it to trump his own belief in himself and his work.

Die Aspekte, die ich in diesem Artikel beschrieben habe, treffen auf alle Menschen zu, die etwas Neues in die Welt bringen möchten, sei es ein Produkt, ein ganzes Unternehmen oder einfach nur ein persönliches Vorhaben. Für mich war noch einmal besonders interessant zu lesen, welche zentrale Rolle Disziplin im kreativen Prozess spielt, weil besonders dieser Aspekt von vielen gerne ausgeblendet wird.