Der Begriff Erfahrung ist positiv besetzt. Menschen mit viel Erfahrung trauen wir viel zu. Je komplexer und schwieriger ein Aufgabe, desto erfahrener muss die Person sein, der diese Aufgabe anvertraut wird, so die Denke in vielen Organisationen. Aber: Von Kurt Tucholsky stammt das Zitat „Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen“. Das spielt darauf an, dass die Tatsache, dass jemand Erfahrung hat, noch nichts über die Qualität und die Nützlichkeit der Erfahrung aussagt.

Welche Rolle spielt eigentlich die Erfahrung für die Kreativität? Bei Kreativität geht es ja um das Hervorbringen von etwas Neuem. Ist es dabei hilfreich, viel „Altes“ im Kopf zu haben? In der Tat herrscht ja bei vielen die Auffassung, dass man eher junge Leute braucht, wenn wir frischen Wind in eine Sache bringen möchten. Erfahrene Leute kommen besonders dann zum Einsatz, wenn nichts schief gehen darf.

Erfahrung – ein zweischneidiges Schwert

Um die Frage zu beantworten, ob Erfahrung für Kreativität nützlich ist, sollten wir uns einmal ansehen, was Erfahrung für unser Gehirn bedeutet. Edward de Bono bezeichnet das menschliche Gehirn als ein sich selbst organisierendes Mustersystem. Mit jeder Erfahrung werden Verknüpfungen (Denkbahnen) im Gehirn angelegt. Je öfter wir ein Denkmuster benutzen, desto stabiler wird dieses und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es beim nächsten Mal wieder abläuft. Die Verknüpfungen verstärken sich somit selbst. Das ist die Grundlage für Lernprozesse und erklärt auch die Bedeutung von Wiederholungen für das Lernen.

Für die Kreativität kann das nun positive und negative Auswirkungen haben. Das Hervorbringen von etwas Neuem bedeutet immer auch, aus bestehenden Mustern auszubrechen und neue Verknüpfungen zu ermöglichen. Beim Entwickeln von Optionen (divergierendes Denken) kann der negative Effekt von Erfahrung darin bestehen, dass Menschen nur schwer aus ihren verfestigten Denkbahnen ausbrechen können und das Denken im wahrsten Sinne des Wortes beengt ist. Der positive Effekt von Erfahrungen kann darin bestehen, dass ein Mensch mit viel Erfahrung auf eine großes Repertoire an Verknüpfungen zurück greifen kann und damit viele Möglichkeiten für neue Verknüpfungen und Kombinationen hat.

Während der Auswahl und Bewertung von Optionen (konvergierendes Denken) kann der negative Effekt von Erfahrung darin bestehen, dass Menschen zu schnell Schlussfolgerungen treffen und basierend auf Ihrer „Erfahrung“ Neues als nicht machbar oder unrealistisch ablehnen, weil dies nicht in das Muster ihrer bestehenden Erfahrung passt. Das ist oft besonders fatal, da das Neue ja zu einem gewissen Grad grundsätzlich nicht in bestehende Muster passt. Der positive Effekt von Erfahrung kann sein, dass die Einschätzung, ob etwas möglich ist und funktionieren könnte, leichter fällt und damit die Auswahl von Ideen erleichtert wird.

Erfahrung + X

Woran liegt es nun, ob sich die Erfahrung eines Menschen positiv oder negativ auf den Kreativprozess auswirken? Wissen und Erfahrung, das zeigt auch die Kreativitätsforschung sind wichtig für Kreativität. Ob die positiven Möglichkeiten von Erfahrung genutzt werden können, hängt an anderen Charaktermerkmalen eines Menschen, wie der Grad der Offenheit gegenüber Neuem und der Neugier.
Wenn ein Mensch offen (und damit nicht arrogant) und neugierig ist, dann kann Erfahrung sowohl bei der Entwickelung von Optionen als auch bei der Auswahl und Bewertung sehr hilfreich sein. Oft ist es jedoch leider so, dass bei vielen Menschen mit zunehmendem Alter nicht nur die Erfahrung zu nimmt, sondern auch gleichzeitig der Grad der Offenheit und die Neugier abnimmt. Das ist jedoch nicht zwangsläufig so. Die Herausforderung besteht somit für jeden einzelnen darin, sich seine Offenheit und seine Neugier zu bewahren und seine Erfahrung richtig einzusetzen.
In den creaffective Innovationsworkshops fördern wir die positiven Effekte der Erfahrung mit dem Einsatz bestimmter Denkwerkzeuge, die Denkmuster durchbrechen oder verhindern dass bei der Bewertung zu schnell geschlussfolgert wird.