Wer regelmäßig zu den Themen Kreativität und Innovation liest, der hat in den letzten 2 – 3 Jahren einen wahren Medienhype um Design Thinking feststellen können. Das ist einerseits gut, da es mehr Aufmerksamkeit auf das Thema systematische Kreativität als ein wichtiger Baustein von Innovation lenkt. Andererseits kann man fast den Eindruck bekommen, dass Design Thinking ein Allheilmittel für die Lösung aller Probleme ist. Dass Design Thinking diesen Anspruch nicht erfüllen kann und daher viele enttäuschen wird, davor warnen nun bereits frühere Verfechter wie Bruce Nussbaum (in seinem Artikel Design Thinking Is A Failed Experiment. So What’s Next?).

Design Thinking ist unter anderem auch ein Modell eines kreativen Prozesses und damit eines von vielen Modellen, wie zum Beispiel auch das ebenfalls aus den USA stammende Creative Problem Solving Modell oder die aus der ehemaligen Sowjetunion stammende TRIZ Methodik. Alle drei werden auch heute noch kontinuierlich weiter entwickelt und an Universitäten erforscht und gelehrt. Da ich das Glück hatte, in allen drei Schulen eine Ausbildung zu erhalten, stelle ich fest, dass es sich bei keinem der Vorgehen um eine Wunderwaffe handelt und dass außerdem alle auf den gleichen Grundlagen aufbauen. Trotzdem gibt es Unterschiede und Besonderheiten jeder Schule, die über das reine Marketing und den Medienhype hinaus gehen.

Design Thinking stellt den Nutzer an erste Stelle

Design Thinking hat seinen Anfang in der Denk- und Vorgehensweise von Designern, daher der Name. Unter Designern wird hierbei mehr verstanden, als Menschen, die ein Produkt hübsch machen.

Der Ausgangspunkt im Design Thinking
Design Thinking stellt den Nutzer und die Bedürfnisse des Nutzers in den Mittelpunkt. Alle Innovationen müssen sich irgendwann mit die Frage der Wirtschaftlichkeit, oft der technischen Machbarkeit und der Wünsche der Nutzer auseinander setzen. Für das Vorgehen des Design Thinking spielt jedoch die Reihenfolge eine entscheidende Rolle: Die Bedürfnisse des Nutzers eines zukünftigen Produktes oder einer Dienstleistung stehen beim Design Thinking am Anfang und im Zentrum aller Überlegungen. Danach kommt die Frage, mit welchen technischen Mitteln dieses Bedürfnis befriedigt werden könnte (falls diese Frage überhaupt relevant ist). Die wirtschaftliche Rentabilität ist ein notwendiges Kriterium an die Lösung, jedoch keinesfalls Ausgangspunkt der Überlegungen.

Im Gegensatz dazu beschäftigt sich die TRIZ-Methodik fast ausschließlich mit der technischen Machbarkeit, oft gibt es bei den erfinderisch-technischen Fragestellungen auf die TRIZ angewandt wird, nicht einmal einen Nutzer.

Creative Problem Solving ist das generischste aller Modelle, das mit allen anderen Schulen kombiniert werden kann. Deshalb arbeiten wir von creaffective viel damit, weil es sehr gut an alle anderen Vorgehen anschlussfähig ist.

Durch den Ansatz, den Nutzer ins Zentrum aller Überlegungen zu stellen unterscheidet sich Design Thinking auch von der Herangehensweise der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen vieler Unternehmen. Auch wenn Firmen öffentlich natürlich das Gegenteil behaupten, so stehen sehr oft technische oder wirtschaftliche Überlegungen am Anfang. Ich erlebe es oft, dass besonders in ingenieursgetriebenen Unternehmen überlegt wird, was technisch den noch machbar sein könnte ohne dabei einen Nutzer im Blick zu haben.

Design Thinking als Prozessmodell des kreativen Denkens

Das unten stehende Bild zeigt Design Thinking als Prozessmodell des kreativen Denkens. Als besonders hervorzuheben – auch im Gegensatz zu den anderen Schulen des kreativen Denkens – sind hier zwei Schritte: Beobachten und Prototyping.

Der Design Thinking Prozess

Beobachten im Design Thinking – pain points des Nutzers verstehen

Beim Beobachten geht es darum, mit Hilfe eines interdisziplinären Teams (dazu mehr später) zentrale Bedürfnisse und Schwierigkeiten von Nutzern zu erkennen und emphatisch zu verstehen. Wie der Name „Beobachten“ bereits andeutet geht Design Thinking hierbei über Mittel der quantitativen Marktforschung, die oft mit Befragungen oder Fokusgruppen arbeitet, hinaus. Beim Beobachten im Sinne des Design Thinking geht es auch darum, Dinge herauszufinden, die Menschen möglicherweise nicht ausdrücken oder explizieren können, weil sich zum Beispiel nicht einmal darüber bewusst sind. Dieses Vorgehen kann sehr aufwändig sein und oft ist es nur schwer möglich, eine statistisch relevante Anzahl von Nutzern wie in der quantitativen Marktforschung zu erreichen.

Diese Beobachtungen fließen dann in die Synthese ein, in der dann die wahrgenommen Kernprobleme des Nutzers und damit Innovationsstoßrichtungen abgeleitet werden. Dieses Vorgehen ist dabei oft sehr intuitiv und unterscheidet sich damit völlig vom Vorgehen der TRIZ-Methodik, wo die Innovationsstoßrichtungen teilweise ausgerechnet werden (können).

Prototyping im Design Thinking – Ideen schnell konkret erfahrbar machen

Ein weiterer Schritt, der den Prozess des Design Thinking abhebt ist die Betonung des Prototyping. Sobald erste Ideen entwickelt und ausgewählt wurden, geht es im Design Thinking darum, diese möglichst schnell und mit einfachen Mitteln konkreter erlebbar zu machen. Das Design Thinking unterscheidet dabei verschiedene Ausprägungen und Detailierungsgrade von Prototypen. Am Anfang werden hierzu simpelste Materialien verwendet, um möglichst schnell und mit wenig Aufwand ein konkreteres Erlebnis einer Idee zu bekommen. Ich durfte es selbst mehrmals erleben: Die Effekte können dabei erstaunlich sein, weil man beim Bau eines simplen Prototypen sofort merkt, was funktionieren wird und wo eine Idee womöglich noch nachgebessert werden muss. Dadurch kann in sehr kurzer Zeit ein deutlich höherer Reifegrad einer Idee erreicht werden und die Idee sehr schnell weiter entwickelt werden. Im Schritt Testen des Design Thinking geht es darum, Rückmeldung zu einem Prototypen zubekommen, um die dahinter stehende Idee anzupassen und zu verändern. Dadurch wird die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationen deutlich erhöht, weil man sich iterativ zu einer funktionierenden Lösung vorarbeitet.

Gemischte Teams im Design Thinking

Das gemischte Teams (Stichwort diversity) Vorteile im kreativen Prozess bringen ist eigentlich lange bekannt. Trotzdem sind diese in Unternehmen keineswegs Standard. Innovationsprojekte werden oft sequenziell durch zuständige Abteilungen gereicht, die sich meist aus sehr homogenen Gruppen mit sehr ähnliche Denke zusammensetzen. Anders das Vorgehen im Design Thinking: Ein weiteres Kernelement im Design Thinking ist der Einsatz von gemischten Teams. Gemischte Teams kann dabei bedeuten, dass die Teammitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen, unterschiedlichen Abteilungen oder sogar unterschiedlichen Unternehmen (!) kommen, jedoch alle ein Verständnis für den Prozess des Design Thinking haben.

Die Kreativitätsforschung hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit in gemischten Teams von Einzelnen oft als anstrengender empfunden wird, weil die Menschen so unterschiedliche Herangehens- und Denkweisen haben, was zu Reibungen führen kann. Wenn diese Unterschiede allerdings konstruktiv genutzt werden können, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass bessere Ergebnisse erzielt werden, als in homogenen Teams, höher.

Die Rolle der Raumarchitektur im Design Thinking

Die britische Dokumentation „The Secret Life of Buildings“ zeigt auf beeindruckende Weise, wie wichtig die Rolle von Innenarchitektur und Raumgestaltung für die Produktivität und Kreativität in Unternehmen ist. Design Thinking legt auch hier ein besonderes Augenmerk darauf. Idealerweise zeichnen sich Räume im Design Thinking vor allem durch hoch flexible Elemente aus, die je nach Anforderung des Prozesses ständig verschoben werden können. Trotz immer mehr Möglichkeiten von Computern arbeitet man im Design Thinking noch weitgehend analog, d.h. mit Stiften und vielen Post-its. Ein Grund ist, dass im Design Thinking sämtliche bisher gesammelten Informationen ständig sichtbar sein sollten, und die Gruppe den Raum zur Arbeit nutzen sollte. Dazu eignen sich verschiebbare Stellwände einfach ideal.

Elementar: Der Geist der Kreativität im Design Thinking

Zentral für das Funktionieren des Design Thinking ist der kreative Geist der Gruppenmitglieder in einem Design Thinking Team. Diese sollten sich durch große Offenheit und Neugier auszeichnen und Ideen nicht vorschnell beurteilen. Elementar für das Funktionieren des Design Thinking Prozesses ist auch hier – wie bei allen anderen Schulen des kreativen Denkens – die Trennung von divergierendem und konvergierendem Denken und die Offenheit und Flexibilität des Prozesses.
Kritiker wie Burce Nussbaum diagnostizieren genau dies als den Hauptgrund, warum Design Thinking in vielen Unternehmen scheitert. Wie leider so oft werde ein Prozess um des Prozesses willen durchgenudelt ohne dass der dafür notwendige Geist vorhanden ist. Diese Erfahrung können wir von creaffective in unserer Arbeit leider auch bestätigen, deshalb geht es in unseren Kreativitätstrainings auch so stark darum, diesen Geist in den Teilnehmern wieder zum Leben zu erwecken. Die gute Nachricht ist, dass man diese Aspekte bewusst trainieren und verbessern kann und damit die Qualität von Kreativprozessen steigern kann.