Letzte Woche hatte ich die Ehre, als ausländischer Experte zu einem Gesprächstermin beim Erziehungsministerium (Ministry of Education) in Singapur eingeladen gewesen zu sein. Das Gespräch fand statt mit den Verantwortlichen für curriculum policy, die sich sowohl um akademische als auch nicht akademische Fächer kümmern.

Grund für die Einladung war, dass Singapur einige Schlüsselfertigkeiten für das 21. Jahrhundert identifiziert hat, bei deren Entwicklung Schulen in Zukunft eine stärkere Rolle spielen sollen. Neben dem Thema global literacy sind kritisches Denken und kreatives Denken mit auf dieser Liste. Interessant ist, dass in einem auf Wirtschaft fokussierten Staat wie Singapur der Begriff kreatives Denken durch den Begriff erfinderisches Denken ersetzt wurde, da dieser eher Assoziationen in Richtung Produktivität und Wirtschaft weckt. Vor einigen Jahren ist mir dieses Vorurteil auch noch bei deutschen Unternehmen begegnet, dies hat sich jedoch in der Zwischenzeit gewandelt. Für das Ministerium war es nun interessant mit jemanden zu sprechen, dessen Tätigkeitsschwerpunkt nicht auf Schulen liegt und der eine ausländische Sicht einbringt.

Verankerung von Kreativität im Lehrplan

Das Ministerium plant, Kreativität in Zukunft als wichtigen Bestandteil im Lehrplan zu verankern und Lehrer so auszubilden, dass diese Schüler dabei unterstützen, ihre kreativen Fertigkeiten zu stärken oder diese nicht wie bisher (unabsichtlich, aber trotzdem aktiv) den Schülern auszutreiben. Dabei soll der Inhalt Kreativität vor allem in akademischen Fächern, wie Sprachen, Natur- und Gesellschaftswissenschaften zur Anwendung kommen.

Vor dem Hintergrund der jetzt aktiven Lehrer ist klar, dass einige Zeit vergehen wird, bis erste Effekte sichtbar werden. Ähnlich wie in Deutschland haben die Lehrer (besonders akademischer Fächer) in Singapur nur begrenzt Interesse und Bereitschaft Kreativität als Inhalt oder als Ansatz zur Vermittlung des bisherigen Stoffes zu verwenden. Dies liegt einerseits daran, dass Lehrer vor allem daran gemessen werden, wie gut ihre Schüler in standardisierten Tests abschneiden und es wie in Deutschland eine große Stofffülle gibt, die Lehrer den Schülern vermitteln sollen und „keine Zeit da ist, noch mehr zu machen“. Bei manchen spielt sicherlich auch mit hinein, dass beim Thema Kreativität ein Rollenwechsel des Lehrers statt finden wird, von einem Lehrer hinzu einem Coach. Auch die Kategorien, richtig oder falsch lassen sich bei Kreativität nur selten anwenden.

Lässt sich Kreativität abprüfen?

Einig waren wir uns darin, dass Kreativität eine Fertigkeit ist, die jeder Mensch hat, die aber andererseits sehr stark durch das erzieherische Umfeld positiv oder negativ beeinflusst werden kann. Dabei sind grundlegende Fertigkeiten des kreativen Denkens so generisch, dass diese auf unterschiedliche Fachinhalte angewendet werden können.

Interessant war für mich auch die Diskussion, ob und wie man Kreativität in Schulen prüfen und testen kann. Bisher gibt es keinen Test und kein Messinstrument, um Kreativität direkt zu messen oder zu testen. Man kann immer nur Elemente testen und messen, die mit Kreativität in Verbindung stehen, wie zum Beispiel die Fähigkeit des divergierenden Denkens.
Sinnvoller als standardisierte Tests erschien uns qualitative Rückmeldung an die Schüler zu Verhaltensweisen, die mit Kreativität in Verbindung stehen.

Kreativität auf dem Lehrplan auch in Deutschland?

Für mich spannend zu wissen wäre es, ob es von Kultusministerien in Deutschland ähnliche Überlegungen wie in Singapur gibt. Bisher gibt es systematische Kreativität (im Gegensatz zu künstlerischer und musischer Ausdrucksfähigkeit) meines Wissens nach in keiner Form in deutschen Schulen, weder als Methode um normalen Stoff zu vermitteln, noch als Inhalt des Unterrichts an sich. Sicherlich gibt es jedoch viele gute Lehrer, die durch ihren Unterricht genau die Dinge fördern, auf die man auch in einem expliziteren Ansatz zur Vermittlung des kreativen Denkens Wert legen würde. Für Schüler ist es im Moment jedoch Zufall und Glück an einen solchen Lehrer zu kommen. Ken Robinson stellt in seinen viel beachteten TED-Reden ja die These auf, dass Schulen der Hauptgrund dafür sind, dass die Fertigkeiten des kreativen Denkens abnehmen statt zunehmen.