Kürzlich bin ich im Artikel „die Grundprinzipien des kreativen Denkens“ darauf eingegangen, dass es für systematisches kreatives Denken elementar ist, die Entwicklung von Alternativen von der Auswahl der Alternativen zu trennen. In die Fachsprache spricht man hier auch von divergierendem und konvergierendem Denken. Divergierendes Denken beschreibt eine breite Suche nach vielen unterschiedlichen und neuen Alternativen. Konvergierendes Denken bezeichnet die Bewertung, Eingrenzung und Auswahl von Optionen.

Für beide Arten des Denkens gibt es ein paar einfache Grundregeln. Die Grundregeln für das divergierende Denken möchte ich in diesem Artikel vorstellen:

  • Beurteilung zurück stellen
    Jede Form der Beurteilung (positiv „tolle Idee“ und negativ „ja,aber geht nicht“), sowohl ausgesprochene als auch die im Kopf statt findende wird zurück gestellt.
    Die Beurteilung meldet sich im Kopf und in Gruppen in Form der (un)ausgesprochenen „ja, aber“-Stimme, die sofort weiß, warum etwas nicht angemessen, nicht richtig oder sonst irgendwie unpassend ist. Je stärker jemand in einem Thema involviert ist, desto häufiger besteht die Gefahr, dass sich diese Stimme zu Wort meldet. Beim Beurteilung zurück stellen, geht es darum, diese bewertende Stimme für den Moment zurück zu stellen und den Gedanken zu Ende zu führen oder fest zu halten.
    Wichtig ist, dass Beurteilung zurück stellen nicht heißt, dass wir niemals bewerten. Zurückstellen heißt lediglich, dass wir im Moment nicht bewerten.
    Dies bezieht einerseits darauf, Alternativen nicht zu schnell auszuschließen und (!) darauf sich nicht zu schnell in eine Alternative zu verlieben und alle anderen auszublenden.
  • Quantität vor Qualität
    Diese Regel klingt für viele erst einmal sehr kontra-intuitiv:
    Um gute Optionen zu erreichen müssen vor allem viele Optionen entwickelt werden.
    Beim kreativen Denken geht es darum, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die guten Optionen zu finden. Dies geschieht durch die Entwicklung von vielen Optionen. Ob es eine Option gut ist, ist Bewertungssache, diese ist nicht Teil des divergierenden Denkens.Wenn wir eine gute Idee gefunden haben, dann ist diese im Nachhinein meist immer logisch und offensichtlich. Im Vorhinein kommt man allerdings allein durch logisches Denken nicht zum Ziel. Daher gehen wir in dieser Phase auf viele Ideen.
  • Wilde Ideen suchen
    Es ist relativ einfach, aus einer „verrückten“ Idee schrittweise eine umsetzbare Lösung zu entwickeln. Oft haben die auf den ersten Blick „verrückten“ Ideen großes Potenzial, das in den nächsten Schritten genutzt werden kann.
    Ein wirklich neuer Gesichtspunkt, der mit unseren bisherigen Erfahrungen nicht zusammen passt, wird von den meisten Menschen immer als wild betrachtet werden. Oft sind es diese Alternativen, die ein Ausbrechen aus bestehenden Denkmustern ermöglichen oder zumindest ein Sprungbrett für Ideen darstellen, an die man bisher nicht gedacht hat.
  • Auf Bestehendem aufbauen / Verbindungen herstellen
    Interessante Lösungen entstehen oft durch das Weiterentwickeln und Kombinieren von bestehenden Elementen. Im kreativen Denken sollte jeder Gedanke als Ausgangspunkt genommen werden, der mit anderen Elementen kombiniert und weiterentwickelt werden kann. Dadurch entstehen noch mehr Alternativen. Es ist dabei unwichtig, von wem eine Idee kommt. Mit dieser Regel nimmt man jede Idee auf, ohne diese zu bewerten und überlegt, was man aus dieser Idee noch machen könnte.

Diese Regeln sind alle intellektuell einfach zu verstehen. Trotzdem handelt es sich um eine lebenslange Übung, diese wirklich anzuwenden.
Divergierendes Denken ist nicht gleichzusetzen mit Kreativität, es handelt sich jedoch um einen wichtigen Bestandteil des kreativen Denkens, der Erwachsenen meist wesentlich schwerer fällt als Kindern.