Lynda Gratton, Professorin an der London Business School und Autorin der Bücher hot spots und the shift war im letzten Jahr auf der norwegischen Innotown Konferenz zu Gast. Dort hielt sie einen Vortrag über die Zukunft der Arbeit und einige Trends, die uns dabei wahrscheinlich beeinflussen werden.

Quelle: http://www.innotown.com

Dabei berichtete sie eine Anekdote von ihrem Sohn, der als Teil einer Aufnahmeprüfung ein Essay zu einem biologischen Thema schreiben sollte, von dem er zuvor nie etwas gehört hatte. Gratton schildert amüsant, wie ihr Sohn innerhalb von einer Stunde vor allem basierend auf Wikipedia-Artikeln ein Essay zu diesem Thema verfasste. Kurz darauf wurde ihm zu diesem brillanten und tiefgründigen Essay gratuliert. Die provokante Frage die Gratton stellte: Hat ihr Sohn wirklich Ahnung von diesem Thema? Nein. Er war vor allem gut darin, sich die Infos schnell über das Internet zu besorgen auf einem Niveau, das für die Prüfung ausreichend war. Auch das ist eine sehr wichtige Kompetenz. Die Fähigkeit, sich schnell Wissen zu einem Thema zusammen zu suchen, haben allerdings viele Menschen. Für Gratton heißt das, dass es in Zukunft nicht reichen wird, lediglich Wissen auf Wikipedia-Niveau zu haben, denn dann gäbe es für den Einzelnen keinen Unterscheidungsmerkmal und keinen Wettbewerbsvorsprung.
Ihre These lautet daher: „The future is about learning something really deeply and becoming masterful. The age of generalism is over.“ Meisterschaft wird meist erst nach 10 Jahren kontinuierlicher Übung und Erfahrung erreicht und ist damit weit mehr, als man sich in einer Stunde über Wikipedia aneignen kann.

Gefahr des Fachidiotentums

So wichtig die Konzentration auf ein Fachgebiet und Meisterschaft in diesem Fachgebiet auch ist, dieses Vorgehen birgt auch Gefahren. Besonders im Hinblick auf Kreativität und Innovation. Je mehr Wissen ein Mensch zu einem Thema hat und intensiver sich jemand mit nur einem bestimmten Aspekt beschäftigt, desto größer ist die Gefahr, sich zu einem beschränkten Fachidioten zu entwickeln. Diesem Fachidioten fehlen wichtige neue Impulse von außen, was dazu führt, dass meist wenig wirklich Neues entsteht.
Notwendig sei daher laut Gratton, Offenheit und Diversität zu sicherzustellen.
Ihr Tipp dafür: Meister in einem Gebiet sollten sich mit der gleichen Energie und dem gleichen Aufwand in zwei Arten von Netzwerken tummeln. Erstens in Fachnetzwerken, um sich mit anderen tiefgehend zum eigenen Fachgebiet auszutauschen und zweitens in völlig fachfremden Netzwerken, um mit möglichst unterschiedlichen anderen Menschen und Gebieten in Kontakt zu kommen. Die Fachnetzwerke sollten dabei keine Priorität haben, beide sind gleich wichtig.

Der Durchbruch kommt oft über Umwege

Zwei Anekdoten aus der creaffective Praxis können den Nutzen dieses Vorgehens illustrieren. In einer Studie (deren Quelle ich nicht mehr habe) untersuchten Wissenschaftler andere Wissenschaftler, die Patente hatten, um herauszufinden, ob es Faktoren gibt, die die Anzahl der Patente beeinflussen. Dabei wurden die Forscher in drei Gruppen unterteilt, Forscher mit keinen Patenten, Forscher mit einigen wenigen Patenten und Forscher mit vielen Patenten. Im nächsten Schritt machten sich die Autoren der Studie daran, nach Faktoren zu suchen, die die Anzahl der Patente erklären können. Eine Gemeinsamkeit, die sie bei allen Forschern mit einer hohen Anzahl an Patenten fanden, war die Tatsache, dass diese sehr viel lasen und zwar vornehmlich außerhalb ihres Fachgebiets. Diese Exkursionen in andere fachfremde Gebiete brachten immer wieder Erkenntnisse, die sich positiv auf die Forschung im eigenen Fachgebiet auswirkten. Ganz nach dem Sprichwort: Innovation passiert an den Grenzen [verschiedener Fachgebiete].
Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte einer Kundin, die mit ihrem Team im Bereich der Polymerforschung tätig ist und an einem kniffligen Problem arbeitete und seit längerer Zeit nach einer Lösung für dieses Problem suchte. In ihrer Funktion ist sie außerdem viel auf Reisen, vor allem um an Fachkonferenzen teilzunehmen. Wir gaben ihr den Tipp, sich für ihre nächste Flugreise am Flughafen mit Zeitschriften einzudecken, die sie normalerweise nicht lesen würde bzw. bisher noch nie gelesen hat und einfach neugierig darin zu blättern. Zu Zeitschriften, die die Dame normalerweise nicht liest, gehören Beauty Magazine, die es besonders in Asien in rauen Mengen gibt. Also kaufte sie sich einige dieser Beauty Magazine und stolperte über eine Mascara Werbung, die die Länge und der Form der Wimpern anpries, die man durch die Anwendung des Mascara Produkts bekäme. Die Abbildung der Wimpern erinnerte unsere Kundin sehr an ihr Polymerproblem und brachte ihr einige wichtige Ideen zur Lösung dieses Problems. Direkt nach der Landung erhielten wir eine begeisterte E-Mail von ihr.
Eine Garantie, dass dieses Vorgehen immer funktioniert gibt es natürlich nicht, es illustriert allerdings schön, wie fachfremde Reize in Kombination mit Fachwissen zu neuen Lösungen führen können.