Unser Gehirn hat sich evolutionär so entwickelt, dass es uns in Hinblick auf Kreativität und Innovation oft Stolpersteine in den Weg legt. Ein natürliches – und vom Gehirn präferiertes – Verhalten ist es, Neues wenn möglich zu umgehen. Präferenz ist jedoch nicht gleich zu setzen mit Fähigkeit. Jeder Mensch ist sehr wohl in der Lage innovativ zu sein, es ist nur anstrengend, deswegen vermeiden wir es gerne.

Das Gehirn ist effizient! Effizienz erschwert Innovation

Vor einigen Jahren habe ich in Edward de Bono’s Thinking Course de Bonos Behauptung gelesen, dass das Gehirn nicht darauf ausgelegt sei, kreativ zu sein und dass es ein evolutionärer Vorteil war, nicht kreativ, sondern effizient zu sein. Wie immer, gibt es in Büchern von de Bono keinerlei Quellenangaben, die Welt lässt sich vollständig mit de Bono erklären. Zum Glück gibt es andere Autoren, die hier etwas wissenschaftlicher vorgehen. Der Neurowissenschaftler Gregory Berns beschreibt in seinem Buch Iconoclast sehr schön, dass das Gehirn ein Organ mit begrenzten Energievorräten ist und dass unser Gehirn daher gezwungen ist, so effizient wie möglich zu sein. Dies zeigt sich darin, dass das Gehirn eine Vielzahl von Denk- und Wahrnehmungsmustern gespeichert hat, die es abruft, sobald ein entsprechender Schlüsselreiz vorliegt. Das macht Sinn, so müssen wir nicht alles immer neu berechnen. Außerdem erhöht es die Geschwindigkeit. Wie Berns zeigt, vervollständigt das Gehirn besonders beim Prozess des Sehens automatisch die Reize, die über unsere Augen zu ihm kommen und schafft so unsere Wahrnehmung. Daraus hat sich in früheren Phasen der Menschheitsgeschichte ein evolutionärer Vorteil ergeben. Im Hinblick auf Innovation handelt es sich um Effizienzfallen.

Die Reaktion auf Angst hemmt Innovation

Ein zweiter Faktor, der Innovation erschwert ist unser körpereigener Angstmechanismus. Die Amagydala in unserem Gehirn ist wohl eine der Hauptbeteiligten, Gefahren zu identifizieren und Angriffs- bzw. Fluchtreaktionen auszulösen. Diese Reaktionen sind nicht rational! Sie finden statt, bevor unser Ratio einsetzt. Auch hier wiederum handelt es sich um einen Überlebensmechnismus, der bei Neuem, bei Unbekannten und bei anderen potenziellen Gefahren einsetzt. Als wir Menschen noch von Säbelzahntigern und anderem Getier angegriffen wurden, war es überlebenswichtig, ein System zu haben, dass ohne Überlegen Angriffs- oder Fluchtreaktionen auslösen kann.

Die Umstände heute haben sich geändert, das gehirneigene System ist das gleiche geblieben. Im Kontext von Kreativität und Innovation greift dieses System schnell zu, wenn wir mit Neuem und Unbekannten konfrontiert werden: Unser Gehirn versucht uns zu beschützen und bringt uns damit in Gefahr (Neues nicht zu ermöglichen).

Noch schwieriger ist dies in einem kulturellen Kontext, in dem es wenig wertgeschätzt wird, von Bestehenden abzuweichen oder unvollständige Gedanken zu äußern. Dies wird mir hier in China gerade wieder erneut bewusst. Dies erklärt auch, warum asiatische Innovation oft in inkrementellen Verbesserungen besteht.

Metakognitives Denken heißt Innovation ermöglichen

Im Kontext von Kreativität und Innovation führt die Kombination aus dem Effizienzstreben unseres Gehirns und unsere natürliches Warnsystem dazu, dass wir Neues sehr schnell abschießen. Dies äußert sich dann in den berühmten Phrasen: „Geht nicht“, „Haben wir noch nie so gemacht“ oder einfach einem schlichten „Nein“. Diese Angst vor Neuem und Unbekannten lässt sich überall beobachten, sei es bei Neuem in der Politik oder Unternehmen.
Die gute Nachricht ist, dass wir Menschen, wenn es sich nicht um Situationen wie im obigen Video handelt, durchaus in der Lage sind, die Mechanismen unseres (primitiven) Gehirns zu überdenken und nicht auszuführen! Hier spricht die Wissenschaft auch von meta-kognitivem Denken, also dem bewussten Denken über das Denken. Durch meta-kognitives Denken können wir uns selbst dabei beobachten, wie und wann wir mental eine Angstreaktion abspulen und können diesen Prozess bewusst hinauszögern bzw. unterbinden. Dieses meta-kognitive Denken erkläre ich Teilnehmern meiner Kreativitätstrainings durch die Grundprinzipien des kreativen Denkens: Die bewusste Trennung des divergierenden und konvergierenden Denkens. Ohne diese Grundlagen sind alle Kreativitätstechniken und systematischen Prozesse der Kreativität wertlos. Deshalb besteht meine Hauptarbeit darin, den Teilnehmern zu helfen, sich dieser Prozesse erst einmal bewusst zu werden und diese zwei Tage lange schrittweise zu verändern. Nur lässt sich eine Kultur der Innovation schaffen.

Innovation ermöglichen heißt auf der Ebene von Teams- und Individuen anzufangen

Mir fällt auf, dass sich die meiste Literatur und die meisten Konferenzen vor allem um Innovationsmanagement drehen. Wie muss ein Innovationsprozess aussehen? Wann gibt es welches Review? Welches IT-System brauchen wir?
Alles wichtig! Alles wenig hilfreich, wenn auf der Ebene der Menschen und Teams keine kreative Haltung herrscht, wenn also die oben geschilderten Grundprinzipien des kreativen Denkens nicht in die Köpfe und das Verhalten der Menschen übergegangen sind. Nur so lässt sich eine Kultur der Innovation schaffen, die dann durch entsprechende Änderungen auf der ebene von Systemen begleitet werden sollte.
Der schönste Stage-Gate Innovationsmanagementprozess und das ausgefeilteste Ideenmanagement-IT-System hilft nichts, wenn neue Ideen zu schnell abgeschossen werden, weil wir Menschen unseren effizienten mentalen Prozessen folgen.
Nun frage ich Sie: Woran mangelt es aus Ihrer Sicht eher, an Innovationsmanagement-Prozessen oder an einer Kultur der Innovation?

Unternehmen die es mit Innovation ernst meinen, fangen bei den Köpfen Ihrer Führungskräfte an.