Der Online-Salon Edge.org hat kürzlich ein interessantes Gespräch mit Joichi Ito, dem Direktor des MIT Media Lab veröffentlicht. In dieser Konversation, die sowohl als Text als auch als Video vorliegt, sprach Ito über die Bedingungen von radikaler Innovation und warum es vielen Organisationen und auch der Wissenschaft so schwer fällt, diese radikale Innovation hervorzubringen. Radikale Innovation im Gegensatz zur inkrementellen Innovation zeichnet sich dadurch aus, dass das Ergebnis sich im Bereich neuer Technologien, Märkte und Geschäftsmodelle befindet und nicht „lediglich“ bestehendes variiert.

Es ist keinesfalls so, dass es wünschenswert wäre für Organisationen sich ausschließlich auf radikale Innovation zu konzentrieren, weil diese mit langen Zeithorizonten und großen Unsicherheiten verbunden ist. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass es für die meisten Organisationen nicht ausreichend ist, sich ausschließlich auf inkrementelle Innovation zu konzentrieren.

Inkrementelle Innovation ist „Tagesgeschäft“

Wie auch das Buch „The Other Side of Innovation“ beschreibt Ito, dass inkrementelle Innovation für die meisten Unternehmen als auch für die Wissenschaft Tagesgeschäft ist und dass diese Art der Innovation gut gelingt. Dies liegt auch daran, dass bestehende Strukturen und Regeln darauf ausgerichtet sind, das Bestehende effizient zu managen und zu messen. Da sich inkrementelle Innovation nicht so weit weg vom Bestehenden befindet, kommen die meisten Organisationen mit ihrem bestehenden System. gut damit zurecht. Was für inkrementelle Innovation gut funktioniert, wird für radikale Innovation zum Problem.

Stolpersteine auf dem Weg zu radikaler Innovation

Einige Aspekte bestehender Organisations- und Wissenschaftssysteme machen es so schwer, radikale Innovation hervorzubringen:

  • Alles muss gemessen werden: Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Unternehmenswelt ist es wichtig, dass Neues gemessen werden kann. Das ist ab einem gewissen Punkt sicherlich wichtig und sinnvoll. Meist würden allerdings für radikale Innovation zu früh messbare Kriterien erwartet. Am Beispiel eines neuen Bibliothekskonzepts erklärt Ito:“The problem is that you can’t figure out what to measure for the success of a library until you know what you want the library to be. But how do you fund the design of a future of a library when you don’t know what it is, right? This gets back to venture capital, which has the same thing, which is if you can measure it, it’s probably not that interesting, because it means you already know what it is, right? And you can’t really have real progress without venturing into those spaces where you don’t understand it.
  • Geldvergabe: Sowohl in der Wissenschaft als auch im Unternehmen braucht es für Innovationsprojekte Finanzierung. Wenn das Projekt nicht gut begründet ist, gibt es keine Finanzierung. Gleichzeit, so Ito, lassen sich Projekte radikalerer Innovation oft nicht gut begründen:“If you sit there and you write a grant proposal, basically what you’re doing is you’re saying, okay, I’m going to build this, so give me money. By definition it’s incremental because first of all, you’ve got to be able to explain what it is you’re going to make, and you’ve got to say it in a way that’s dumbed-down enough that the person who’s giving you money can understand it.
  • Fokussiertheit: Wissenschaftliche Forschung und Unternehmen sind fokussiert, auch in Hinblick auf den Einsatz ihrer Zeit. Es gibt spezifische Ziele und Projekt auf die die Zeit verwendet werden soll. Auch das wiederum ist sinnvoll und wichtig. Für radikale Innovation braucht es nach Ito allerdings auch die Möglichkeit auf die Seiten blicken zu können und das wiederum benötigt Zeit.“What’s really important for the future of science and technology and the future of just the society, is that people need to have the freedom to be able to have the peripheral vision, look at the innovation on the edges. Companies like Google have 20 percent time, and things like that, Scotch and all these other people who have been doing innovation, give a little bit of extra time for the people on the edges.
  • Aufteilung in Disziplinen: Wissenschaft gliedert sich in Forschungsbereiche, Unternehmen gliedern sich in Abteilungen. Diese Spezialisierung sorgt dafür, dass man in einem Bereich tiefes Wissen erlangt und darin besonders gut sein kann. Die gesamte Theorie der Engpass-Konzentrierten-Strategie baut darauf auf. Besonders radikale Innovation findet eben oft an den Rändern unterschiedlicher Disziplinen statt. Deshalb bilden sich in Wissenschaft und Unternehmen interdisziplinäre Projekte, um diesem Umstand Rechnung zu tragen.
    Trotzdem passiert es bei diesem Vorgehen leider oft, dass die einzelnen Teilnehmer mental in ihren Disziplinen verharren und schön aneinander vorbei reden und arbeiten.
    Auf dem Heidelberger Symposium „Wie kommt Neues in die Welt“ wurde das schön beschrieben. Dort wurde dann der Begriff transdisziplinär geprägt. Im Gegensatz zur Interdisziplinarität geht es hierbei darum seine Disziplin zurück zu lassen und unvoreingenommener in ein Projekt zu gehen.Ito spricht hier von anti-disziplinär: „The other point about this is it’s not interdisciplinary. Interdisciplinary is you’ve got an engineer and a physicist and a designer and they work on a project together. That’s an interdisciplinary project. An anti-disciplinary project is when you can’t tell who the designer is and who the engineer is, and the engineer knows designing, and the person who’s dancing is going to be the one also doing the molecular biology.

Stolpersteine auf dem Weg zu radikaler Innovation gibt es sicherlich noch mehr. Ito bringt weißt aus meiner Sicht auf einige Aspekte hin, die das Gegenteil des Standards in den meisten Organisationen beschreiben. Deshalb tun sie sich auch so schwer damit, diese zu verändern.