In einem früheren Gastbeitrag hat Stefan Scheurer ein erweitertes Rezept für die Abgrenzung von Problemen aufgestellt. Einer der Handlungsschritte war, solange nach dem Warum? zu fragen, bis man das Problem abgegrenzt hat. Das ist meiner Meinung nach ein sehr gutes Vorgehen. Oft stellt sich nämlich heraus, dass die erste Formulierung oder das angenommene Problem gar nicht das eigentliche Problem ist oder es sinnvoller wäre ein anders zugeschnittes Problem zu lösen.

Eine Technik die bei der Abgrenzung des Problems und dem Erkunden des Problemterrains helfen kann, ist die Methode „Leiter der Abstraktion“. Ziel der Methode ist es, ein Problem wirklich zu verstehen und flexible Möglichkeiten der Problembetrachtung zu eröffnen.

Die Technik ist in zwei Phasen unterteilt:
1.Ausgehend von der ursprünglichen Problemformulierung fragt man nach dem Warum? Jede der Antworten wird nun wieder in eine Problemformulierung konvertiert, die mit „Wie kann ich …“ beginnt. Dann fragt man auch hier wieder nach dem Warum? und zwar so lange, bis es keinen Sinn macht, noch weiter zu fragen. Jedes Warum? führt eine Abstraktionsstufe höher.

2.Bei jeder neuen Problemformulierung kann man nun mit „Was hält dich davon ab?“ ansetzen. Sinn dieser Frage ist es, konkrete Handlungsschritte herauszuschälen. Diese Frage kann man ausgehend von einer Problemformulierung so lange stellen, bis ein konkret umsetzbarer erster Handlungsschritt herausgekommen ist. Hier steigt man die Leiter der Abstraktion in umgekehrter Richtung wieder herunter.

Ein Beispiel

Freund: Wie kann ich Englisch lernen?

Ich: Warum möchtest du Englisch lernen?

Freund: Damit ich meine Qualifikationen verbessern kann?

Ich: Wie kann ich meine beruflichen Qualifikationen verbessern?
Warum möchtest du deine Qualifikationen verbessern?

Freund: Damit ich meine beruflichen Chancen verbessern kann?

Ich: Wie könnte ich meine beruflichen Chancen verbessern?
Warum möchtest du deine beruflichen Chancen verbessern?

Freund: Damit ich mir einen anspruchsvolleren Job suchen kann?

Ich: Wie könnte ich mir einen anspruchsvolleren Job suchen?
Warum möchtest du einen anspruchsvolleren Job suchen?

Freund: Damit ich mehr Geld verdienen kann?

Ich: Wie könnte ich mehr Geld verdienen?
Warum möchtest du mehr Geld verdienen?

Freund: Damit ich meiner Familie und mir ein schöneres Leben ermöglichen kann.

Ich: Wie könnte ich meiner Familie und mir ein schöneres Leben ermöglichen?
Warum möchtest du dir und deiner Familie ein schöneres Leben ermöglichen?

Freund: Weil es mich erfüllter und zufriedener macht!

Vielleicht zeigt sich nun, dass die ursprüngliche Problemformulierung gar nicht die richtige ist und man das Problem von einer höheren Abstraktionsebene angehen sollte, z.B. von Wie könnte ich meine beruflichen Qualifikationen verbessern?

In jede dieser Problemformulierungen kann man nun einsteigen und fragen „Was hält dich davon ab…“ und die Leiter nun in die andere Richtung abschreiten und zu immer konkreteren Handlungsschritten kommen, solange bis ein konkreter ausführbarer Schritt übrig bleibt.

Nehmen wir noch einmal das Ausgangsproblem: Wie kann ich Englisch lernen?

Nun frage ich: Was hält dich davon ab?

Freund: Ich habe nicht genug Zeit!

Nun formuliere ich diese Aussage in eine Problemfrage um.
Ich: Wie könntest du mehr Zeit haben?
und frage: Was hält dich davon mehr Zeit zu haben?

Freund: Ich habe zu viele Verpflichtungen!

Ich: Wie könntest du weniger Verpflichtungen haben?
Was hält dich davon ab, weniger Verpflichtungen zu haben?

Freund: Ich traue mich nicht, einige meiner vielen Engagements abzusagen!

Ich: Wie könntest du die trauen, einige deiner Engagements abzusagen?
Was hält dich davon ab dich zu trauen?

Freund: Ich möchte die Leute nicht vor den Kopf stoßen.

Ich: Wie könntest du die Leute nicht vor den Kopf stoßen?
Was hält dich davon ab, die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen?

Freund: Ich habe mir noch keine gute Formulierung überlegt!

Warum?
Gute Lösungen findet man vor allem dann, wenn man den Problembereich gut verstanden und abgegrenzt hat. Die Leiter der Abstraktion kann dabei helfen.