In meinem letzten Artikel Unternehmensstruktur und Innovation bin ich auf die wichtige Rolle der Unternehmensstrukturen und Prozesse in Hinblick auf Innovation eingegangen. Diese beeinflussen ganz maßgeblich, wie innoviert wird und ob sich eine Kultur der Innovation entwickeln kann.
Dabei bin ich von einer hierarchischen Organisationsform ausgegangen, die ja nach wie vor den Großteil aller Unternehmen und Organisationen prägt.

Zumindest in Europa und den USA zeichnet sich jedoch in den letzten 2 – 3 Jahren ein Trend hin zu selbst-organisierten Unternehmen ab, besonders im Bereiche der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Eine von mehreren Vorgehensweisen ein Unternehmen so zu organisieren ist Holacracy aus den USA. Ein Interview mit einem holakratisch organisierten Unternehmen habe ich vor über zwei Jahren hier geführt. Auch creaffective wird in diesem Jahr einen Wandel hin zu Holacracy vollziehen.

Grundcharakteristika eines selbst-organisierten Unternehmens sind:

  • es gibt keine Hierarchien im klassischen Sinne mit Vorgesetzten- Untergebenen-Verhältnis.
  • Menschen agieren in klar definierten Rollen. Dabei kann ein Mitarbeiter mehrere Rollen inne haben oder ausfüllen
  • Autorität ist verteilt, d.h. einzelne Rollen haben klar definierte Verantwortungen und Entscheidungsbefugnisse in Ihrer Verantwortung. Keiner im Unternehmen kann einem hier Entscheidungen vorschreiben und eine Rolle muss Entscheidungen in einem definierten Bereich auch nicht absegnen lassen.
  • Entscheidungen werden damit anders getroffen. Konsens- und Mehrheitsprinzipien spielen eine geringere oder keine Rolle. Was nicht heißt, dass man sich mit anderen nicht abstimmen muss.

In der Konsequenz sind selbst-organisierte Unternehmen agiler, lernfähiger und können sich deutlich schneller an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen.

Auswirkungen auf Innovation

Organisationsformen wie Holacracy bezeichnen sich dabei als „organizational operating system“ also das Betriebssystem der Organisation. Dabei wird grundlegend durch die Architektur des Betriebssystems vorgegeben wie Macht- und Rollen verteilt und wie Meetings ablaufen und bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Alle anderen Aspekte eines Unternehmens werden durch dieses Betriebssystem nicht vorgegeben. Dafür kann man sich dann „Apps“ installieren, die bestimmte Fähigkeiten ermöglichen. Wie Innovation betrieben wird ist durch das Prinzip der Selbstorganisation auch erst einmal nicht definiert.

Momentan habe ich hier noch deutlich mehr Fragen als Antworten. Die Antworten versuche ich im Rahmen meines aktuellen Buchprojektes zu finden.
Ich habe einige Fakten und einige Vermutungen, die ich in den nächsten Monaten testen werde.
Die Fakten:

  • Interesse und Motivation spielen bei der Frage, welche Ideen weiter verfolgt werden und umgesetzt werden grundsätzlich eine größere Rolle. Das Buch Reinventing Organizations beschreibt in konkreten Fallstudien von selbst-organisierten Unternehmen, dass Ideen mehr als Angebote zu sehen sind, die jemand aufgreifen kann oder auch nicht. Ideen werden nicht an einen zuständigen zugewiesen, der dann zu Umsetzung verdonnert werden kann.
  • Selbstorganisierte Unternehmen werden häufiger von einem Zweck getrieben, einer Daseinsberechtigung, die über bloßes Geldverdienen hinaus geht. Dieser Zweck beeinflusst die Wahl der Innovationsprojekte.

Meine Vermutungen, die ich in den kommenden Monaten prüfen möchte:

  • Es gibt weiterhin Kriterien und explizite Kriterien anhand derer Ideen und Innovationsvorhaben ausgewählt werden. Der Zweck der Organisation und die Frage, ob ein Vorhaben diesem dient, werden vermutlich eines davon sein.
  • Es gibt weiterhin ein Verfahren der Budgetallokation für Ideen, die sich nicht kostenneutral oder ihm Rahmen von Bestehendem umsetzen lassen.
  • Finanzielle Erwägungen sind ein Kriterium, aber nicht das Hauptkriterium. Ein Innovationsvorhaben muss sich finanziell rechnen, es werden aber nicht unbedingt die Themen priorisiert, die den größten Umsatz versprechen. Hier spielt der Zweck der Organisation eine wichtige Rolle.

Fragen, die sich mir stellen:

  • Es wäre interessant zu wissen, ob die meisten selbst-organisierten Organisationen wie auch traditionelle Firmen mit einem stage-gate-artigen Prozess arbeiten und ob es Entscheidungsgremien gibt für Innovationsprojekte.
  • Ich fände es auch spannend zu verstehen, ob es so etwas wie eine Innovations-Strategie oder Suchfelder gibt. Was ich bisher verstanden habe, deutet darauf hin, dass der Zweck des Unternehmens eine explizite Innovationsstrategie überflüssig machen könnte.

Ich bin sehr gespannt auf meine Erkenntnisse im Rahmen meines Projektes. Ich glaube, es gibt hier viel Potenzial die Art wie Innovation betrieben wird zu verändern.