Komisch ist die Frage für manche auf den ersten Blick sicherlich. Kann man Glück – im Sinne von glücklich sein – als Fähigkeit bezeichnen, die man erlernen kann bzw. sich durch Training annähern kann? In diesem Blog beschäftige ich mich ja bekanntlich sehr gerne mit Techniken und Methoden, die man trainieren und erlernen kann, um bestimmte Fähigkeiten zu erlangen. So glaube ich, dass man mit Hilfe von Arbeitstechniken seine Arbeit effektiver gestalten kann und dass jeder mit Hilfe von Denkwerkzeugen sein Denken verbessern kann, eine Behauptung auf die auch viele beim ersten Hinhören sehr skeptisch reagieren. Daher passt die Frage ganz gut: Kann man Glück erlernen?

In seinem vor kurzem auf Deutsch erschienen Buch „Glück“ behauptet Matthieu Ricard genau das. Der Franzose Ricard hält einen Doktor in Biologie, ist buddhistischer Mönch und fungierte und fungiert seit vielen Jahren als Begleiter und Übersetzer des Dalai Lama. Er gründete ein Kloster in Nepal und unterstützt mit einer Hilfsorganisation Projekte in Süd-Ost-Asien. Man kann ihm also schon zutrauen, dass er qualifiziert etwas dazu sagen kann. Er versucht in seinem Buch sowohl die buddhistische Perspektive als auch die Positionen der Glücksforschung in der Psychologie und Ökonomie zu berücksichtigen.

Glück: Ein nachhaltiger Zustand ohne innere Konflikte
Ricard definiert Glück als ein nachhaltiges Gefühl der Zufriedenheit und Erfüllung, das sich dadurch auszeichnet, dass keine inneren Konflikte vorherrschen und belastende Gedanken verschwinden. Ricard unterscheidet Glück von Freude und Vergnügen, die nur kurzzeitiges Wohlgefühl bringen, nicht nachhaltig sind und meist von äußeren Faktoren abhängen. Für ihn ist Glück ein innerer Zustand, eine positive Geisteshaltung, eine Weltsicht die vor allem von der Wahrnehmung abhängig ist. Aus diesem Grund ist Glück auch trainierbar, den Wahrnehmung kann man ändern und im Fall von Glück bewusst in eine Richtung verändern. Dass Wahrnehmung durch gezielte Techniken geschult und gelenkt werden kann, habe ich im Rahmen zahlreicher Posts über Edward de Bono und Denktechniken bereits mehrmals angesprochen.

Die Gedanken: Sorgenquelle und Lösungsansatz
Ursache dafür, dass viele von uns anhaltend unzufrieden oder zumindest nicht glücklich – im Sinne Ricards – sind, sind negative Gedanken oder „Geistesgifte“. Mark Twain hat es einmal schön formuliert: „Es gab viele Probleme in meinem Leben, die meisten davon nur in meinem Kopf“.
Gedanken können sich oft verselbstständigen und schaffen damit Probleme und Unzufriedenheit. So ist das beste Mittel garantiert unglücklich zu werden, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Es gibt immer jemanden, der besser, schöner, reicher etc. ist. Der relative Unterschied macht uns unzufrieden. Jeder von uns kennt es, wenn er z.B. von jemandem angerempelt oder dumm angeredet wird und sich Stunden danach noch darüber ärgert, obwohl z.B. der körperliche Schmerz schon nach ein paar Sekunden vorbei war. Das Problem: Das Ego. Dadurch, dass bei den meisten Menschen die Gedanken ausschließlich um das „Selbst“ kreisen entstehen eine Menge Blockaden und Verletzlichkeiten und im Endeffekt schränken wir uns in unserer Freiheit ein. Negative Gedanken verengen die Wahrnehmung und lassen uns die Welt durch eine negative Brille sehen und interpretieren und lösen dadurch oft eine Negativspirale aus.
Ziel muss es sein, eine innere Weite zu erlangen und die Dinge aus der Distanz zu sehen, um uns nicht so stark von ihnen beeinflussen zu lassen. Diese Technik ist z.B. auch aus dem NLP (neurolinguistisches Programmieren) bekannt, wo man sich durch dissoziieren bewusst vorstellt, dass man das aktuelle Geschehen aus Sicht eines unbeteiligten Dritten betrachtet und es nicht auf sich selbst bezieht.

Die Methode: Meditation
Die buddhistische Technik, die uns mit viel Übung und Geduld auf dem Weg zum Glück behilflich sein kann, ist die Meditation: „Spiritual practice can be enormously beneficial. The fact is, it is possible to undergo serious spiritual training by devoting some time every day to meditation. More people than you might think do so, while leading regular family lives and doing absorbing work.“ S. 55

Meditation ist dabei nicht an eine Religion gebunden, sondern kann als Technik verstanden werden, die jeder einsetzen kann. Ziel der Meditation, egal welche Art man praktiziert, ist die innere Transformation. Durch die Innenschau erlebt man zuerst einmal eine Beruhigung seiner ständigen Gedankenströme sowie ein besseres Verständnis seiner selbst, seiner Gedanken und die Entstehung dieser Gedanken. Nach und nach kann man dann lernen, diese Gedanken zu kontrollieren und Geistesgifte gar nicht erst entstehen zu lassen: „By gradually acquiring through introspective experience a better understanding of how thoughts are born, we learn how to fend off mental toxins. Once we have found a little bit of inne peace, it is much easier to lead a flourishing emotional and professional life.“ S. 56

Wie (leider) alle Techniken, sind diese theoretisch schnell erklärt. Um davon zu profitieren, hilft allerdings nur machen und üben. Auch bei der Meditation ist das so und hier wohl länger und ausdauernder als bei anderen Techniken.

Spirituelle Weiterbildung
Ricard beschreibt sehr schön, dass es sich lohnt, etwas Energie und Zeit in das Training und die Übung spiritueller Techniken zu stecken und beklagt aber auch, dass diese Denkweise vor allem in der westlichen Welt überhaupt nicht vorhanden ist. Wenn jemand sagt, er macht ein einjähriges MBA Studium, dann ist das völlig normal. Wenn jemand sagt, er macht ein zweiwöchiges Meditationstraining wird er – zumindest bei uns – von den allermeisten schief angesehen. Und dabei sei doch Glück in unserem kurzen Leben das allerwichtigste überhaupt, wichtiger als Geld, Macht, und ein MBA-Studium: „We willingly spend a dozen years in school, then go on to college or professional training for several more; we work out at the gym to stay healthy; we spend a lot of time enhancing our comfort, our wealth, and our social status. We put a great deal into all this, and yet we do so little to improve the inner condition that determines the very quality of our lives.“ S.34