Wie die Beboachtung von Lead Usern Markttrends erahnen lässt

In den letzten Jahren ist das Thema der nutzer-generierten Innovationen immer präsenter geworden. Viele sehen sich selbst weniger in der Rolle des passiven Konsumenten und wollen stattdessen aktiv bei der Entstehung von Produkten und Dienstleistungen involviert sein. Daher erfreut sich auch der Begriff Co-Creation zunehmender Beliebtheit. Wenn aber keine Kooperation zwischen Herstellern und Kunden stattfindet, sondern die Kunden sich selbst behelfen, kann man nicht mehr von Co-Creation sprechen. Der Erfolg von Plattformen wie beispielsweise Kickstarter zeigt, dass der Schritt vom Konsumenten zum Produktentwickler und Entrepreneur nicht so groß ist. Wer kennt die Bedürfnisse der Anwender denn auch besser als die Anwender selbst? Das Buch „Democratizing Innovation“ von Eric von Hippel greift genau dieses Thema im Detail auf. Der Titel dieses Artikels ist daher auch an eines der Konzepte des Buches angelehnt.

Lead User als Innovationsquelle

Anwender kennen sich natürlich selbst am besten, aber Marktforschung ist in vielen Fällen nicht die richtige Lösung. Denn wer ein Produkt für den Alltag kauft und zufrieden ist, der bietet wenige Erkenntnisse zu möglicher Innovation. Daher muss der Fokus auf solche Nutzer gerichtet werden, die „ihrer Zeit“ voraus sind. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zum Design Thinking, in dessen Theorie die Extrem-Nutzer eine große Rolle spielen. Von Hippel spricht hier von Lead Usern, die sich immer an der äußersten Grenze ihres Gebiets bewegen. Dadurch nehmen viele von ihnen Trends vorweg, indem sie ihren Fachbereich – egal ob dieser geschäftlicher, künstlerischer oder sportlicher Natur ist – in eine bestimmte Richtung weitertreiben. Häufig schaffen diese Lead User ihre eigenen Innovationen, weil der Markt ihre gesteigerten Bedürfnisse noch nicht adressiert. Bei vielen spielt aber auch ein Interesse am Innovations- bzw. Schaffensprozess eine große Rolle. Je nach Gebiet ist das kommerzielle Potential mal größer, mal kleiner. Es gibt aber viele Fälle der erfolgreichen Kommerzialisierung solcher „Lead User Innovationen“, nicht selten auch durch Dritte.

Individuelle Innovation durch User Firms

Lead User B2B-Bereich werden von von Hippel als User Firms bezeichnet. Sie übernehmen eine ähnliche Rolle wie einzelne Lead User. Der große Unterschied ist, dass es ihnen um effizientere Arbeit geht. Demnach wird immer auch wirtschaftlich abgewägt, ob sich die eigene Entwicklung neuer Lösungen lohnt. Ist der Ressourcenaufwand gering, wird selbst innoviert; ist er hoch, könnte der käufliche Erwerb einer Lösung interessant werden. Spannend für etablierte Firmen ist, dass viele User Firmen für eine individuell angepasste Lösung tief in die Tasche greifen. Was aber, wenn niemand Lösungen bereitstellt? Wie kann es sein, dass ein Markt brach liegt?

Zu kleine Nischen führen zu Marktversagen

Einzelne User (oder User Firmen) erweitern quasi den Markt, in dem sie sich bewegen, bieten aber noch kein wirtschaftliches Potential. Erst ab einer gewissen Menge von Abnehmern lohnt sich die Entwicklung einer passenden Lösung, denn gerade am Anfang muss viel investiert werden. Wenn die Eigenentwicklung für einzelne Nutzer zu aufwendig und teuer ist, sich ein Angebot durch Dritte aber nicht lohnt, dann versagt der Markt. Die Nutzer bekommen einfach keine Lösung für ihr Problem. Hier greift in manchen Bereichen der Open Source Ansatz, der es erlaubt, einzelnen Anwendern Teile einer Lösung zu entwickeln. Zusammengenommen bieten die Einzelteile dann für alle Anwender einen Mehrwert.

Warum Innovation durch Marktversagen?

Wenn Open Source aber keine zufriedenstellende Lösung bietet – was gerade in hochtechnologischen Bereichen häufiger der Fall ist –, oder die Open Source Lösung noch nicht völlig ausgereift ist, dann bietet sich das Potential für profitable Innovation. Das Marktversagen kann nämlich als Zwischenschritt zwischen dem Aufkommen eines Bedürfnisses und der Rentabilität einer Lösung gesehen werden. In manchen Bereichen können einzelne Lead User rentabel sein, wie beispielsweise durch die werbetechnische Ableitung im Profisport. Dort wird Equipment für bekannte Profisportler konzipiert und an Hobbysportler verkauft. Meistens geht es dabei aber mehr um den Namen und den Testimonial-Effekt als um tatsächliche Innovation, auch wenn beides manchmal Hand-in-Hand geht.
Der Knackpunkt ist: Nicht jeder Lead User stellt wirklich einen Vorboten großer Trends dar. Anstatt also jedem möglichen Extremnutzer zu folgen kann es Sinn machen, sich auf diejenigen zu konzentrieren, die ihr Wissen und ihre Innovation anderen Nutzern frei zugänglich machen. Das wäre ein Anzeichen für eine entstehende Open Source Nische. Diese kann man mit eigenen, professionellen Lösungen adressieren. Oder man geht den Weg vieler Softwareunternehmen, die sich auf die Anpassung von Open Source Lösungen und die Dienstleistungen im angrenzenden Bereich spezialisieren.
Natürlich ist auch das eine Frage des Timings. Wer zu lange wartet, der verliert den entstehenden Markt entweder komplett an umfangreiche Open Source Lösungen oder an Konkurrenten, die die Gunst der Stunde besser genutzt haben. Wer also an vorderster Front Innovation schaffen möchte, muss ständig nah an potentiellen Lead Usern, aber auch an den entsprechenden Communities sein. Und er muss bereit sein, sein Geschäftsmodell gegebenenfalls anzupassen, sich also vom Anbieter eigener Lösungen zum Dienstleister um Open Source Angebote herum zu entwickeln.